Im heutigen Profisport ist für Spieler wie Bill Werbeniuk kein Platz mehr. Am Tisch stehend rauchte er und vor allem trank er dabei auch Bier. Das machten damals auch andere Snooker-Spieler. Aber «Big Bill» Werbeniuk trank viel mehr als sie. Unfassbar viel mehr.
Werbeniuk litt nach eigener Aussage an essentiellem Tremor im rechten Arm. Oder wie es eine Grossmutter ausdrücken würde: Er hatte «den Zitteri». Was unzweifelhaft ein sehr ärgerliches Problem ist für einen Snooker-Spieler.
Um den Arm ruhigzustellen, liess sich «Big Bill» Gerstensaft reichen. Ein ums andere Glas. Schon vor einem Spiel genehmigte sich Werbeniuk sechs bis acht Pints. Und während einer Partie leerte er pro Frame ein weiteres Pint. So kamen schnell einmal zehn Liter Bier zusammen. «Ich konnte den Alkohol sehr schnell verbrennen», sagte er einst dem «Guardian». Überliefert ist eine Partie in Australien, als er gegen John Spencer 76 Büchsen herunterkippte – 27 Liter.
Die wahrscheinlich legendärste Partie war aber jene gegen den Schotten Eddie Sinclair. Der meinte, mit Bill Werbeniuk mithalten zu können. Doch nach 42 Pints Bier – 24 Litern – kippte Sinclair bewusstlos um. Derweil feixte sein Kontrahent: «Jetzt gehe ich an die Bar und gönne mir dort einen richtigen Drink.»
Am 27. April 1983 steht Werbeniuk im WM-Viertelfinal. Zum vierten Mal ist er an diesem Turnier so weit gekommen. Doch erneut scheitert er im Crucible Theatre in Sheffield knapp an der Weltnummer 1, Alex Higgins aus Nordirland. Dennoch wird er danach in der Weltrangliste so hoch geführt wie nie: auf Rang 8. «Dass er das trotz der besonderen Umstände schaffte, war eine bemerkenswerte Leistung», zollte ihm sein Konkurrent John Virgo Respekt. Wie viele andere war der Engländer davon überzeugt, dass Werbeniuk wegen seiner Probleme nie sein volles Potenzial ausschöpfen konnte.
Insgesamt hielt sich «Big Bill» während vier Jahren in den Top Ten. Seinen grössten Erfolg feierte er indes nicht als Einzelspieler, sondern mit dem kanadischen Team, mit dem er 1982 Mannschafts-Weltmeister wurde.
Nebst zahlreicher Trink-Geschichten blieb der gleichermassen beliebte wie beleibte Werbeniuk auch wegen anderer Vorfälle in Erinnerung. Einmal riss dem 120-Kilo-Mann in einem TV-Match die Hose, als er sich über den Tisch beugte. Die Zuschauer lachten über seinen nackten Hintern, derweil Werbeniuk so tat, als ob jemand im Publikum gefurzt hätte.
Und schliesslich gelang ihm auch ein «Stoss des Jahrhunderts», wie es der Kommentator formulierte. Werbeniuk liess den Spielball spektakulär über einen anderen Ball fliegen und versenkte damit einen roten Ball.
Um den immensen Alkoholkonsum reduzieren zu können, begann der Kanadier Mitte der 80er-Jahre, gegen das Zittern einen Betablocker zu nehmen. Doch als der Weltverband das Medikament Inderal auf die Dopingliste setzte und er es trotzdem weiter einnahm, wurde er gebüsst und gesperrt. «Ich betonte immer, dass Inderal nicht leistungssteigernd sei, sondern mir schlicht ermögliche, eine Leistung abzurufen», sagte er. Man wolle an ihm ein Exempel statuieren, war er überzeugt. «Würde ich koksen, würde ich milder bestraft werden.»
Werbeniuk versuchte, vom ärztlich verschriebenen Mittel wegzukommen, aber das gelang ihm nur, indem er dies mit noch mehr Alkohol kompensierte. Über die gesundheitlichen Auswirkungen war er sich im Klaren. In einem TV-Interview sprach er von einem «langsamen Weg in den Tod».
Seine Laufbahn als erfolgreicher Snooker-Profi war vorbei. An der WM 1990 blieb er in der Qualifikation hängen. Werbeniuk verlor mit 1:10 Frames und diktierte den Reportern anschliessend: «Ich hatte 24 Pints Starkbier und acht doppelte Wodkas, und ich bin immer noch nicht betrunken.»
Zwei Jahre versuchte es Werbeniuk noch, dann gab er auf. Er war 45 Jahre alt, als er in Vancouver bei seiner Mutter einzog. Vom Preisgeld – es gab damals im Snooker viel weniger zu verdienen als heute – war nichts mehr da. Er hielt sich mit Ergänzungsleistungen über Wasser, grosse Teile seiner letzten Lebensjahre verbrachte er im Spital. 2003 starb Bill Werbeniuk an Herzversagen. Er wurde 56 Jahre alt.
Das der zwischen dem WC noch Zeit hatte zum Spielen verwundert mich. Nach ein paar Grossen kann ich jeweils gleich am Pissoir stehen bleiben.