Dürfen wir vorstellen:
Falls ihr es nicht mitbekommen habt, unser Chef hasst kurze Hosen an Männerbeinen. Er will sie im Büro nicht sehen.
Wenn das die MDRP-Jungs erführen! Denn jene britische Zwischenkriegs-Partei kämpfte mutig gegen die übliche Männerkleidung ihrer Zeit, die sie als unhygienisch und gesundheitsschädlich anprangerte.
Damals waren chemische Reinigungen noch nicht so weit verbreitet, was das Waschen der schweren, dunklen Anzüge sehr mühsam machte, weshalb gern ganz darauf verzichtet wurde. Das war dann auch der Grund, warum sie schwarz waren – damit man den Dreck nicht so schnell sah.
Die Herren der MDRP aber wollten nicht nur gesündere, sondern endlich auch hübsche Sachen tragen. Nicht länger nur auswählen zwischen schwarz und grau. Sie wollten Farben und Bequemlichkeit, sie sehnten sich nach Lebendigkeit und Freiheit. Sie wollten «keine grosse männliche Entsagung», wie es der Psychologe John Carl Flügel ausdrückte. Sie wollten den von der kapitalistischen Arbeit unterdrückten Mann seiner deprimierend unkreativen Kleidung entledigen.
Nachdem ihnen der Erste Weltkrieg bloss Uniformen, Elend, Verletzung und Leid gebracht hatte, war die Sehnsucht nach ein bisschen Erholung und Freude gross. Die Menschen sollten wieder zu Kräften kommen, gesund essen, sich mehr an der frischen Luft aufhalten, ihre Körper ertüchtigen – und luftige Kleider tragen dürfen.
Auf der gegnerischen Seite versammelten sich natürlich stracks die Konservativen, die, wie alle ernstzunehmenden rückwärts Gewandten aller Epochen, in jenem modischen Veränderungsappell den sofortigen zivilisatorischen Untergang witterten:
«Eine Lockerung der Fesseln wird die Menschheit allmählich dazu veranlassen, körperlich und geistig zu erschlaffen. Wenn Schuhbändel gelöst, Krawatten gelockert und Knöpfe geöffnet werden, wird das ganze Gefüge moderner Kleidung aufgehen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass dann auch die Gesellschaft in Stücke brechen wird. Solcherlei Fesseln waren nicht schädlich; sie waren die Grundlage, auf der die Zivilisation ruhte und die Menschen vor Wildheit und Dekadenz schützte.»
Kritiker-Worte aus dem «Tailor and Cutter»-Schneiderei-Magazin
Am Rockzipfel ihrer Mutterorganisation «New Health Society» hängend, versuchten die Reformer der neuen Kleiderpartei Arbeitgeber aufzurütteln – sie mögen doch bitte ihre Untergebenen nicht länger in diese atmungsinaktiven Keimschleudern zwingen.
Sie veranstalteten Kundgebungen, bei denen die Teilnehmer angewiesen wurden, doch bitte so zu erscheinen, wie sie seien, was den einen dazu bewog, in einer Toga aufzukreuzen, den anderen wiederum, sich in Jeans oder einfach in ganz gewöhnliche Abendgarderobe zu werfen.
Der MDRP-Vorsitzende – ein Arzt namens Caleb Saleeby – schrieb 1929 gar dem britischen Tennisdachverband Lawn Tennis Association (LTA), er möge seine Spieler doch bitte dazu ermutigen, die dem Sport bloss hinderlichen, schweren Hosen abzulegen und fortan in Shorts zu spielen.
Der erste Mann, der dies in Wimbledon tatsächlich in die Tat umsetzte, war der eher unbekannte englische Tennis-Spieler Brame Hillyard. Ein Jahr nach Saleebys Brief stand er in kurzen Hosen auf dem Court 10.
Trotz der neu gewonnenen Beinfreiheit, die ihm seine Shorts verliehen haben müssen, verlor er – und man hörte nicht wieder von ihm.
Berühmtheit erlangte erst Bunny Austin, ihm hat man fast die gesamte Ehre des frühesten Shorts-Tragens zuteil werden lassen, weil er seine nackten Beine auf dem Centre Court herzeigte – vor den Augen der Weltpresse.
Die Herren der MDRP waren in ihren Anfangsjahren ziemlich erfolgreich, zumindest was den Sektor von Sport- und Freizeitkleidung betraf. Sie betrieben mit ihrer unkonventionellen Ware sogar einen Laden und einen Versandhandel.
Und wer weiss, vielleicht wäre unser Chef darin sogar fündig geworden. Vielleicht hätte er sich da ein Paar freche Shorts gekauft. Natürlich nur so aus Jux. Rein ironisch gemeint.
(rof)