Es fühlt sich immer wieder gut an: verdutztes Kopfschütteln, Blatt her, aufzeichnen. Also, lieber Mann, schau, so sieht eine Klitoris aus. Ein Bumerang mit Köpfchen, von dem der vorderste Teil etwas herausragt. Und von dem du und viele anderen Menschen das Gefühl haben, das sei die Klitoris. Oder noch ärger: die Vagina, irgendwie. Hängt halt alles zusammen da unten.
Zum Glück ist man an dieser Stelle dann jeweils da und schüttelt den Kopf. Nein, liebe Menschen, so sieht «das da unten» nicht aus. «Das da unten» heisst Vulva und besteht aus Harnröhre, Anus, Klitoris, inneren und äusseren Schamlippen und der Vagina. Die Vagina ist keine Sammelbezeichnung für alles, was zwischen Frauenschenkeln sitzt, sondern ganz einfach der Muskelschlauch, der zur Gebärmutter führt.
Das weiss die aufgeklärte Frau von heute, und wenn sie es nicht weiss, hat sie es in letzter Zeit vermutlich gegoogelt oder gelesen. So blöd das Wort ist, die Vulva erlebt gerade den Hype ihres beschämend unbekannten Lebens.
Facebookchroniken, Blogseiten und Meistgeklickt-Charts – alle zehren sie von der Euphorie, nun endlich Licht auf das dunkle Terrain zu bringen. Und es mit der Liebe zu überschütten, die es verdient: Auf dem Instagram-Account «the vulva gallery» (162 000 Follower) kann man sich hübsche Aquarellbildchen von Vulven aller Farben und Formen anschauen.
«Let’s celebrate diversity and show that all vulvas are beautiful!» heisst es in der Bezeichnung. Und gleich darauf: «Shop your Vulva Gallery pins, tote bags, stickers, mugs, cards & more here!»
Diese Kommerzialisierung des weiblichen Geschlechtsteils mag empowering oder verwerflich sein, Fakt ist: Die Vulva ist gelandet. Und wem sie ein Rätsel ist, der hat jetzt die Möglichkeit, sie zu erkunden. Beste Herangehensweise: Man besorgt sich das Sachbuch «Viva la Vagina! Alles über das weibliche Geschlecht» der norwegischen Ärztinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl (siehe unten).
Der deutsche Titel mag missglückt sein («Viva la Vulva» hätte besser gepasst), das Buch aber ist interessant. Die Autorinnen reden über Zyklus, Orgasmen, Verhütung oder Frauenkrankheiten, unverkrampft und präzis, vielleicht stellenweise etwas zu bemüht sachlich, sie sind schliesslich Ärztinnen. Am Ende hat man auch als gut informierte Frau noch einiges dazugelernt. Und kann beim nächsten Aufklärungsgespräch nebst Klitoriszeichnung gleich noch vier hartnäckige Mythen demontieren.
Die Vorstellung ist weit verbreitet: Sobald man zum ersten Mal mit einem Mann schläft, sticht er mit seinem Penis durch das Jungfernhäutchen und reisst es entzwei, ratsch! Alles Unsinn! Das Jungfernhäutchen liegt keineswegs wie ein Stück gespannte Haushaltsfolie über dem Scheideneingang und wartet auf den Durchbruch. Sondern ist dick und robust und als ringförmige Schleimhautfalte wie ein Kranz um die Scheidenwand gelegt. Manchmal hat es ein Loch in der Mitte, manchmal ist es ganz durchlöchert, manchmal zerfranst oder halbmondförmig. Bei den wenigsten bedeckt es den ganzen Scheideneingang und bei längst nicht allen reisst es beim ersten Sex ein. Normalerweise lässt sich daran auch nicht erkennen, ob ein Mädchen schon Sex hatte oder nicht. Das mit dem Keuschheitstest ist also auch Unsinn.
Fast so hartnäckig wie das Jungfernhäutchen kursiert die Vorstellung, die Zyklen von Freundinnen würden sich mit der Zeit synchronisieren, enge Freundinnen hätten deshalb immer zur gleichen Zeit ihre Tage. Schuld an diesem Mythos ist eine wenig repräsentative Studie aus den Siebzigerjahren. Neuste Studien konnten die Synchronizität nicht nachweisen.
Wir kennen alle das Bild der tollkühnen Samenzellen, die sich ein Wettrennen um den ersten Platz bei der Eizelle liefern. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Nicht die Spermien rasen zur trägen Eizelle, vielmehr treibt die Eizelle auf die wartenden Spermien zu. Sie hat mindestens so heroisch gekämpft wie die Samenzellen: Jeden Monat reifen etwa tausend Follikel an, und nur der kräftigste darf zerspringen und seine Eizelle freigeben. Alle anderen sterben ab, ohne jemals ein Spermium gesehen zu haben. Eizellen/träge und Spermien/flink sind fragwürdige Zuschreibungen.
Oft ist die Rede von klitoralem und vaginalem Orgasmus – dabei gibt es streng genommen gar keinen Unterschied. Die Klitoris ist ein grosses Organ, nicht nur ein kleiner Knopf vorn an der Vulva. Ihre inneren Teile ranken sich um Harnröhre und Vagina – und werden bei Vaginalsex stimuliert. Die Vagina allein ist wenig empfindsam, ein vaginaler Orgasmus ist also nichts anderes als ein klitoraler Orgasmus – bei dem der hauptsächlich unsichtbare Teil der Klitoris stimuliert wird.
Alles über das weibliche Geschlecht. Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl, illustriert von Hanne Sigbjørnsen. 396 S.(aargauerzeitung.ch)
Tönt wie Otten.
😁
„Nein, liebe Menschen, so sieht «das da unten» nicht aus. «Das da unten» heisst Vulva und besteht aus Harnröhre, Anus, Klitoris, inneren und äusseren Schamlippen und der Vagina.“
Den Anus grosszügig zur Vulva zu zählen ist imho falsch. Wenn also belehren, dann doch bitte richtig.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vulva?wprov=sfti1