Delfine sind bekannt dafür, dass sie Sex nicht nur zum Zweck der Fortpflanzung betreiben. Sie haben das ganze Jahr über Sex, unabhängig vom Zyklus des Weibchens. Und sie paaren sich auch gleichgeschlechtlich, sowohl die Weibchen wie die Männchen. Im letzteren Fall penetrieren die kreativen Meeressäuger auch schon mal das Atemloch auf dem Rücken ihres Partners. Dass Sex auch bei den weiblichen Delfinen mit Lust verbunden ist, legt nun eine aktuelle Studie nahe, die im Fachblatt «Current Biology» erschienen ist.
Ob Tiere beim Sex Lust verspüren, ist eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Wir können nicht messen, was die Tiere empfinden. Da jedoch der Geschlechtsakt bei Tierarten, die sich sexuell fortpflanzen, für den Fortbestand der Art sehr wichtig ist, könnte man annehmen, dass es ein Belohnungssystem gibt, das diese Tätigkeit attraktiv macht. Wer verschiedene Tierarten bei der Kopulation beobachtet, kann allerdings in manchen Fällen schnell zum Schluss kommen, dass die Belohnung eher einseitig anfällt – nämlich beim Männchen.
Weibchen wirken bei der Paarung oft unbeteiligt – etwa bei Riesenschildkröten – oder erleben dabei sogar Gewalttätigkeiten, wie es anscheinend bei Orang-Utans mitunter der Fall ist. Dort kommt es vor, dass Männchen die Weibchen zum Sex zwingen. Und noch schlimmer geht es bei Enten zu und her: Mehrere Erpel stellen einem Weibchen nach und drücken es während der Kopulation unter Wasser. In einigen Fällen ertrinkt das Weibchen dabei.
Viel harmonischer sieht es dagegen bei den Bonobos aus, einer Schwesterart der Gemeinen Schimpansen und mit diesen unsere nächsten Verwandten. Die matriarchal organisierten Menschenaffen lösen Konflikte durch Sex – wie beim Menschen und anders als beim Schimpansen dient Sex nicht einzig der Fortpflanzung. Bei diesen Primaten gibt es Anzeichen dafür, dass Weibchen Sex geniessen und möglicherweise selbst einen Orgasmus erleben. Sie stossen dabei spezielle Rufe aus und ihre Scheide zieht sich zusammen.
Möglicherweise dient dieses Verhalten aber auch dazu, die Männchen zu stimulieren, damit sie mehr Spermien abgeben. Der bekannte Primatenforscher Frans de Waal hat indes auch Bonoboweibchen beobachtet, die ihre Genitalien aneinander rieben, dabei das Gesicht wie zum Grinsen verzogen und spitze Schreie ausstiessen. In solchen Fällen war kein Männchen zugegen, dessen Spermienausschüttung hätte stimuliert werden müssen.
Das anatomische Rüstzeug, das sexuelle Lust wenn nicht ermöglicht, so mit hoher Sicherheit steigert, ist bei den Bonoboweibchen die Klitoris. Dieses auch beim Menschen lange unterschätzte Lustorgan hat – nun aber bei den Delfinweibchen – das Forschungsteam des Mount Holyoke College im US-Staat Massachusetts unter die Lupe genommen. Die Wissenschaftler um die Biologin Patricia Brennan untersuchten die Klitoris von elf Weibchen der Delfin-Unterart Grosser Tümmler (Tursiops truncatus), die auf natürliche Weise verstorben waren.
Neben der Grösse des Organs war das erste, was den Biologen auffiel, dass die Klitoris an einer Stelle beim Vaginaeingang liegt, die sich als günstig für eine Stimulation erweist. Die Eichel der Klitoris befindet sich nämlich bei den Delfinweibchen tiefer als beim Menschen, also näher am Scheideneingang. Damit ist keine Penetration denkbar, die nicht zugleich auch die Klitoris stimuliert. Aber auch die weiblichen Delfine machen ausgiebig Gebrauch davon, indem sie sich gegenseitig mit ihren Schnauzen, Schwanzflossen und Brustflossen («Flipper» genannt) an der Klitoris reiben. Brennan und ihr Team hatten sich schon 2019 in einem Vortrag mit der Lage der Klitoris bei Delfinen befasst.
Insgesamt gleiche die Klitoris der Grossen Tümmler verblüffend der menschlichen; den Delfinweibchen fehlen indes die Vorhofschwellkörper (Bulbi vestibuli), die sich auf beiden Seiten der Vulva unter der Schleimhaut des Scheidenvorhofes befinden. «Da das ganze Becken der Delfine sich sehr deutlich vom menschlichen unterscheidet, war es überraschend zu sehen, wie ähnlich die Form der Klitoris ist», stellt Brennan fest.
Die Klitoris der Tümmler-Weibchen wies zudem mehrere Schwellkörper auf: «Genau wie die menschliche Klitoris ist auch die Klitoris von Delfinen in grossen Bereichen mit Schwellkörpern durchzogen, die sich im Erregungszustand mit Blut füllen», erklärt Brennan. Sie stellt zudem fest: «Wir wussten, dass Delfine nicht nur zu Reproduktionszwecken Sex haben, sondern auch um den sozialen Zusammenhalt zu festigen, deshalb erschien es als wahrscheinlich, dass die Klitoris funktional sein könnte.»
Dass die Klitoris funktional ist, also einem Zweck dienen muss, zeige sich auch daran, dass sich die Form des erektilen Gewebes verändert, wenn die Weibchen die Geschlechtsreife erlangen. Brennan geht davon aus, dass dies ein Indiz dafür ist, dass es im Erwachsenenalter eine Funktion übernimmt. Ein weiterer Befund des Forscherteams weist ebenfalls darauf hin: Das Organ ist mit grossen Nerven ausgestattet – manche massen im Umfang mehr als einen halben Millimeter – und weist zahlreiche freien Nervenenden direkt unter der Haut auf. Diese ist überdies bedeutend dünner als in den angrenzenden Bereichen, wo die Delfine weniger empfindlich sind.
Und schliesslich fanden die Wissenschaftler im Klitoris-Gewebe auch Genitalkörperchen, sogenannte Krause-Körperchen oder Krause-Endkolben. Dabei handelt es sich um mechanische Rezeptoren, die Geschwindigkeitsveränderungen und Vibrationen registrieren. Solche Genitalkörperchen sind auch beim Menschen auf der Klitoris und auf der Eichel des Penis vorhanden, also jenen Körperstellen, die für das Lustempfinden zentral sind.
Die exakte Funktion dieser Genitalkörperchen ist freilich noch nicht geklärt. Für Brennan ist dies kein Wunder: Sie sieht darin einen Hinweis, dass weibliche Sexualität – sei es jene der Delfine oder jene der Menschen – in der Wissenschaft zu wenig erforscht wurde und wird. So sei selbst die Anatomie der menschlichen Klitoris erst in den Neunzigerjahren vollständig erforscht worden. Zwar seien Eigenschaften des Organs, die medizinisch relevant sind, genauer untersucht worden. Im Allgemeinen aber sei die Klitoris nicht unter einem evolutionären Gesichtspunkt betrachtet worden. Und dies sei wohl zumindest teilweise einer gewissen wissenschaftlichen Voreingenommenheit zu schulden. Die männlichen Genitalien, betont Brennan, seien viel eingehender untersucht worden.
Die Frage, ob Delfinweibchen auch einen Orgasmus erleben, kann Brennan allerdings nicht abschliessend beantworten. Dies lasse sich nicht wirklich untersuchen, räumt sie ein. Zugleich weist sie darauf hin, dass sexuelle Lust und Orgasmen nicht notwendigerweise miteinander einhergehen müssen. Viele Menschen würden beispielsweise sehr wohl sexuelle Lust erleben, auch ohne Orgasmus.
Mit Sicherheit lasse sich aber sagen, dass die Klitoris der Delfinweibchen morphologische Eigenschaften aufweise, die es nahelegen, dass das Tier Lust empfindet. Und dies sei aus einem evolutionären Gesichtswinkel auch sinnvoll: Wenn Sex Lust bereite, seien die Weibchen auch eher bereit, zu kopulieren. Mehr Sex könne zu höherem reproduktivem Erfolg führen – aber auch die soziale Bindung unter den Tieren festigen. (dhr)