Happy Birthday, Misao Okawa! Die Japanerin feiert am 5. März ihren 116. Geburtstag und gilt somit als älteste Frau der Welt. In ihrem Geburtsjahr 1898 sah die Welt einerseits noch ganz anders aus, wie die obige Karte veranschaulicht. Andererseits wurde damals Saat gesät, an der wir noch heute zu knabbern haben. Es wurden Weichen gestellt, welche die Historie nachhaltig beeinflusst haben, wie dieser bildhafte Spaziergang durch die Geschichte aufzeigen wird.
Der erste Schritt führt uns in die Schweiz, genauer gesagt nach Bern. Wenige Tage nachdem im fernen Asien Frau Okawa geboren wird, kommen in der Hauptstadt die Young Boys zur Welt. Die Brüder Max und Oskar Schwab gründen mit ihren Gspänli am 14. März einen Fussballclub, der schon fünf Jahre später Meister werden wird. Ein Match zwischen den Basler Old Boys und dem FC Bern hatte es ihnen derart angetan, dass die Schüler ihren eigenen Verein gründeten.
Neben dem Fussball, der von England langsam seinen Siegeszug nach Europa antrat, war die Zeit vor der Jahrhundertwende vom technischen Fortschritt geprägt. Im Deutschen Kaiserreich entschied sich die Stadt Essen nach zehnjährigen Beratungen, ein Elektrizitätswerk zu bauen. Dazu wurde am 25. April die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerks-Aktiengesellschaft ins Leben gerufen. Heute ist RWE milliardenschwer.
Nach Dampfkessel und Eisenbahn wurde die damalige Gesellschaft von Automobilen beschleunigt, die mit brandneuen Verbrennungsmotoren angetrieben wurden. Nach den ersten Modellen von Gottlieb Daimler und Carl Benz baute ein Franzose die erst dritte Automarke der Welt auf.
Als Louis Renault am Heiligabend erstmals mit seinem hölzernen Kraftfahrzeug durch Paris fuhr, bekam er prompt zwölf Aufträge und ging mit seinem «Type A» in Serie. Wenige Tage zuvor, am 6. Dezember, wurde in Genf der Automobile Club de Suisse startklar gemacht.
Neben kleinen Finessen wie der kompakten Fotokamera (siehe auch «Diese Bilder haben 120 Jahre auf dem Buckel») wurden die grossen Maschinen leistungsstärker, was sich auch in technischen Leistungen wie der Eröffnung der Gornergratbahn am 20. August 1898 in Zermatt widerspiegelte.
Weiter im Norden meldete ein Mann das «Reichspatent Nummer 98580 für einen lenkbaren Luftfahrzug mit mehreren hintereinander angeordneten Tragkörpern» an. Er war der Sohn eines adligen Baumwollfabrikanten und hatte seine Jugend im Schloss Girsberg in Emmishofen TG vebracht: Gemeint ist Ferdinand von Zeppelin, dessen Luftschiff in den kommenden Jahren am Boden für lange Hälse sorgen sollte.
Während der Vater des Luftschiffs aus dem süddeutschen Würtemberg stammt, feierte die Schallplatte im Norden des Reichs von Kaiser Wilhelm II. ihre Weltpremiere. In Hannover entstand am selben Tag, an dem der Schweizer Automobilclub ins Leben gehoben wurde, die Deutsche Grammophon Gesellschaft, die auch den ersten Plattenspieler erfunden hatte. In dem Werk wurde ausserdem eine weitere Errungenschaft jener Zeit hergestellt: das Telefon.
1898 ist nicht nur das Geburtsjahr von Frau Okawa, sondern auch dasjenige des ersten Naturschutzgebietes der Welt. Das ist umso ungewöhnlicher, als dass in jenen Tagen die Jagd zum guten Ton gehörte und als vornehme Freizeitbeschäftigung galt. Wilhelm II. brüstete sich beispielsweise damit, im Laufe seines Lebens rund 70'000 Tieren den Garaus gemacht zu haben.
Der Mann, der derart aus der Reihe tanzte, war zudem noch ein Staatsoberhaupt – aber gleichzeitig auch ein Rebell. Begraben wurde er 1904 in Clarens VD. Der noch heute existierende Kruger Nationalpark in Südafrika wurde nach Paul «Ohm» Kruger benannt. Der Sohn deutscher Einwanderer wurde 1882 zum Präsidenten der Republik Südafrika gewählt und sollte ein Jahr später einen Konflikt mit der Kolonialmacht Grossbritannien vom Zaun brechen, der als Burenkrieg in die Geschichte einging.
Und London hatte nicht bloss mit widerspenstigen Siedlern in Südafrika Probleme, sondern auch mit seinem (damals) traditionellen Widersacher Paris. Die Franzosen lieferten sich mit den Briten in Afrika einen Wettlauf um Einflusssphären, der beinahe in einem Krieg gemündet hätte. Die Ausgangssituation: Die Queen wollte ein zusammenhängendes Kolonialgebiet in Nord-Süd-Richtung, die Dritte Republik eine von West nach Ost.
Im sudanesischen Ort Faschoda trafen die Parteien aufeinander. Die Presse in beiden Ländern heizte die Situation auf, was dem deutschen Kaiser nur recht war. Doch weil vor allem Berlin von so einem Konflikt profitiert hätte und Paris daran gelegen war, Elsass-Lothringen zurückzuerobern, überliessen die Franzosen den Briten das Feld.
Ein weiterer Grund war die Rüstungspolitik des Kaisers, der der Seemacht Grossbritannien Konkurrenz machen wollte. Im Reichstag wurden die Flottengesetze zum Ausbau der Marine beschlossen. 1898 wurde auch der Flottenverein gegründet, der mit völkischer Propaganda Stimmung für die Aufrüstung machte, die von der SPD verdammt wurde: Deutsche Buben waren fortan häufig im Matrosen-Outfit zu sehen.
Nicht nur das forsche Militärprogramm machte der Supermacht Grossbritannien Sorgen, auch die neue Aussenpolitik des Hohenzollern konnte der Queen nicht gefallen, die mit dem Deutschen verwandt war. 1898 bereiste der Kaiser beispielsweise Palästina, das damals Teil des zerfallenen Osmanischen Reichs war. Argwöhnisch beobachteten die anderen Europäer, wie der Deutsche Sultan Abdülhamid II. bezirzte, um ihn wirtschaftlich und politisch zu manipulieren. Diese Entscheidungen legten mit den Grundstein für den Ersten Weltkrieg.
Die Vorboten des Krieges kamen bis in die Schweiz, genauer gesagt nach Genf. Die Kaiserin des brodelnden Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn beehrte die Stadt, nachdem sie von Baronin Rothschild aus der bekannten Banker-Familie eingeladen worden war. Als «Sissi» war die Regentin schon zu damaligen Zeiten ein Star.
Doch ihr Leben wurde jäh beendet, als sie vom Beau-Rivage aus die Heimreise antreten wollte: Ein italienischer Anarchist stach aus Hass auf die Obrigkeit auf offener Strasse auf die 60-Jährige ein, die später im Hotel verstarb. Der Täter Luigi Lucheni erhängte sich 1910 in seinem Genfer Gefängnis.
Nicht nur vor der Haustür deuteten die Zeichen der Zeit auf Krieg, sondern auch in Asien. Das Deutsche Kaiserreich sicherte sich 1898 per Vertrag ein Pachtgebiet in China – so wie es sich Wilhelm bei den Portugiesen (Macao) und Grossbritannien abgeguckt hatte. Die Briten «mieteten» sich nicht nur in Hongkong ein, das 1997 an China zurückfiel, sondern auch in Weihei.
Diese Kolonie musste London aber bereits 1930 räumen, denn die Pacht galt nur, solange Port Arthur russisch war. Und Port Arthur, das russische Hongkong, fiel schon nach dem Russisch-Japanischen Krieg 1905 an Tokio. Im Zweiten Weltkrieg besetzten es die Sowjets, ab 1955 regierte wieder Peking.
Den wohl langfristigsten Eingriff im pazifischen Raum unternahmen aber die USA, die Spannungen mit der Kolonialmacht Spanien bewusst eskalieren liessen. Ein Grund fand sich, als ein US-Kriegsschiff am 15. Februar 1898 im Hafen von Havanna explodierte. Washington bezichtigte kurzerhand Madrid der Schuld, zettelte einen Blitzkrieg an und erreichte, dass die Krone Kuba, die Philippinen und Guam freigab.
Heute steht fest, dass wohl eine Explosion innerhalb des Schiffs für das Unglück verantwortlich war. Doch für Uncle Sam zählte bloss, dass Havanna nun einfacher zu kontrollieren war und über Manila Südostasien in Reichweite gekommen war. Weiterhin konnte Guam unter amerikanische Herrschaft gestellt werden: Die Pazifik-Insel war im Zweiten Weltkrieg ein wichtiger US-Stützpunkt und dient noch heute als Basis im asiatischen Raum.
Last but not least tat Washington etwas, was die USA den Europäern stets vorgeworfen hatten: Sie annektierten Land. Präsident William McKinley machte die Republik Hawaii zum 50. Bundesstaat der USA, nachdem Repräsentantenhaus und Senat im Sommer entsprechende Gesetze abgenickt hatten – gegen den Willen der Mehrheit der Eingeborenen.