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Mit alles und scharf! Wie ein türkischer Milliardär beim FC Wil zum Grossangriff auf den Schweizer Fussball bläst

Bratwurst trifft auf Fenerbahce: Die Mannschaftspräsentation wird zum Freudentag für türkische Fans in Wil.
Bratwurst trifft auf Fenerbahce: Die Mannschaftspräsentation wird zum Freudentag für türkische Fans in Wil.bild: watson

Mit alles und scharf! Wie ein türkischer Milliardär beim FC Wil zum Grossangriff auf den Schweizer Fussball bläst

Der türkische Industrielle Mehmet Nazif Günal hat 1.21 Milliarden auf dem Konto und pflegt gute Kontakte zu Recep Erdogan. Neuerdings hält er die Mehrheit am Challenge-League-Klub FC Wil. Nun wollen die Ostschweizer mit millionenschweren Stars in die Super League aufsteigen. Sogar ein 25-facher brasilianischer Nati-Spieler ist darunter.
15.07.2015, 10:4815.07.2015, 18:13
Alex Dutler
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Mittagsmenü mit drei Gängen: 16.50 Franken. Ein halber Liter Schützengarten-Bier: 5.20 Franken. Café crème: 3.90 Franken. In der Dorfbeiz «Gemsli» nahe der IGP Arena des FC Wil kommt der Ostschweizer Sparfuchs noch so richtig auf seine Kosten. Draussen plätschert seit 1863 verlässlich ein Brunnen, drinnen geht es bodenständig und währschaft zu.

Niemand wäre verwundert, sässe Lukas Reimann hier am Nachbartisch. 2009 haben 68 Prozent der Wiler für die Minarettverbots-Initiative ihres SVP-Nationalrats gestimmt. Doch in Zukunft werden sich im «Gemsli» wohl vermehrt geheimnisvolle türkische Geschäftsmänner und ehemalige brasilianische Nationalspieler wie André Santos unter die Gäste mischen. 

Die Stadionbeiz «Gemsli» neben der Wiler IGP Arena. 
Die Stadionbeiz «Gemsli» neben der Wiler IGP Arena. bild: watson

Denn der 32-jährige Linksverteidiger tingelt ab sofort mit dem FC Wil durch die Challenge League. Noch bis 2013 war er bei Arsenal unter Vertrag. Sein Gehalt wurde auf 3,8 Millionen Franken pro Premier-League-Saison geschätzt. Santos hat 25 Länderspiele für die Seleção auf dem Buckel und darf sich Confed-Cup-Sieger nennen. Die Nati-Aufgebote hat sich der Brasilianer auch durch Meistertitel mit Fenerbahce Istanbul und Corinthians Sao Paulo verdient.

Invasion der Türken-Stars

Und Santos ist nur einer der vielen Überraschungs-Kracher, welche die Ostschweizer am Dienstagabend anlässlich ihrer Mannschaftspräsentation vor rund 500 staunenden Fans aus der Wunderlampe ziehen. Gleich zwölf neue Gesichter stellt der eigens engagierte SRF-Mann Dani Kern nach tagelanger Geheimniskrämerei erstmals der Öffentlichkeit vor. 

Da ist etwa Egemen Korkmaz: Innenverteidiger, 32-jährig, neunfacher Nationalspieler für die Türkei und vor zwei Monaten mit Fenerbahce als Stammspieler Vizemeister geworden. Geschätzter Marktwert: Rund drei Millionen Franken. 

Dani Kern begrüsst Egemen Korkmaz beim FC Wil.
Dani Kern begrüsst Egemen Korkmaz beim FC Wil.Bild: freshfocus

Mert Nobre: 34-jähriger brasilianischer Mittelstürmer mit 102 Toren für Vereine wie Besiktas und Fenerbahce und dreifacher türkischer Meister. 

Endogan Adili: 2010 mit 15 Jahren und 286 Tagen bei GC jüngster Super-League-Torschütze aller Zeiten. Zuletzt beim FC Basel glücklos unter Vertrag. 2014 wurde sein Transfer zu Galatsaray schon fix vermeldet, scheiterte dann aber an der fehlenden Arbeitsbewilligung.

Goalie Patrick Drewes: 22-jährig, bisher zweiter Ersatz hinter Diego Benaglio beim VfL Wolfsburg. Man hätte gerne Dortmunds Roman Weidenfeller gehabt, doch der hat leider abgesagt.

Der 46-jährige Trainer Fuat Capa ist ebenfalls ein Türke und hat seit seinem Karrierestart im Jahr 2000 bereits zwölf Klubs in Belgien, Holland und seiner Heimat trainiert. Er soll seinen kompletten türkischen Assistenzstab mitgebracht haben. Dass diesen drei Personen bisher die Schweizer Arbeitsbewilligung fehlt, dürfte mit ein Grund für die Wiler Geheimtrainings der vergangenen Tage sein. 

Trainer Fuat Capa versteht Türkisch, Englisch und Deutsch und antwortet auf Französisch.
Trainer Fuat Capa versteht Türkisch, Englisch und Deutsch und antwortet auf Französisch.Bild: freshfocus

Geld spielt plötzlich keine Rolle mehr

«Der letzte Match, den ich für SRF kommentieren durfte, war der Champions-League-Final. Vielleicht ist das ein Zeichen, in welche Richtung es mit Wil gehen wird», brüllt Dani Kern unter der Ostschweizer Abendsonne ins Mikrofon.

Eine realistische Ansage? Viele der Neuzugänge haben zumindest Erfahrung im internationalen Geschäft. Und deshalb zu ihren Glanzzeiten gemeinsam auch an die zehn Millionen Franken Jahresgehalt kassiert. Sie sollen langfristige Verträge von drei bis fünf Jahren unterschrieben haben. Zudem dürften weitere Verstärkungen folgen. So ist etwa durchgesickert, dass Wil an Winterthurs Sead Hajrovic baggert. Heimlich und ohne Wissen seines bisherigen Arbeitgebers.

Das angebliche Angebot klingt für Super-League-Verhältnisse fast schon unmoralisch spektakulär: Fünfjahresvertrag, knapp 200'000 Franken Fixlohn, 3000 Franken Siegprämie. Bisher verdient der Bruder des Bremen-Profis Izet Hajrovic knapp ein Drittel davon. 

Auch Winterthurs Sead Hajrovic dürfte bald das Wil-Trikot tragen.
Auch Winterthurs Sead Hajrovic dürfte bald das Wil-Trikot tragen.Bild: Andreas Meier/freshfocus

Ein Investor mit Nähe zu Erdogan

Doch wie sind solche Monster-Investitionen für einen Provinz- und Ausbildungsklub wie Wil plötzlich zu stemmen? Schliesslich haben die Ostschweizer zuletzt mit einem Jahresbudget von drei Millionen Franken operiert und den Abstieg in die 1. Liga Promotion erst am letzten Spieltag verhindert.

Die Erklärung heisst «MNG» und steht für die Holding des türkischen Grossindustriellen Mehmet Nazif Günal. Diese hat Anfang Juli für kolportierte sechs Millionen Franken 60 Prozent der Wil-Aktien übernommen und will den Klub nun mit aller Macht in die Super League befördern.

Der 67-jährige Unternehmer Günal verfügt laut Forbes über ein Vermögen von 1,21 Milliarden US-Dollar. Der Selfmade-Krösus hat es im Baugeschäft, der Tourismusbranche und im Transportwesen erwirtschaftet. Neuerdings besitzt er auch eine Goldmine in Liberia. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und gilt als Nummer 22 unter den reichsten Menschen der Türkei. Seine Holding beschäftigt rund 20'000 Mitarbeiter. 

Mehmet Nazif Günals neue Angestellten in Wil passen kaum auf ein Bild.
Mehmet Nazif Günals neue Angestellten in Wil passen kaum auf ein Bild.Bild: freshfocus

Günal ist Ehrenmitglied von Fenerbahce Istanbul und bekannt als Fussballfanatiker. In Wil bleibt er bisher ein Phantom. Erst nach der Generalversammlung vom 28. Juli, bei der er fünf neue türkische Verwaltungsräte installieren dürfte, will er sich persönlich der Öffentlichkeit präsentieren. So bleiben nur Informationen aus zweiter Hand.

«Das Unternehmen ist eng mit der Regierung Erdogan verbandelt. Es erhält viele Staatsaufträge», berichtet NZZ-Korespondentin Inga Rogg gegenüber Radio SRF. Dabei soll nicht immer alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Im Zuge der Korruptionsaffäre um Recep Erdogan geriet 2013 auch Mehmet Nazif Günal ins Visier der Ermittler. Praktischerweise hat der türkische Präsident das Verfahren gegen ihn gleich eigenhändig beendet.

Erinnerungen an das Belanow-Desaster

Aus neutraler Sicht schellen bei diesen Informationen alle Alarmglocken. Bereits 2004 stand der FC Wil am Abgrund, weil er mit Igor Belanow einem ausländischen Luftikus-Investor auf den Leim gegangen ist. Und schon davor hatte Ex-Präsident Andreas Hafen einen Grossteil seiner als Banker bei der UBS ergaunerten 51 Millionen im Verein verpulvert.

Nebst Belanows Episode haben auch sämtliche anderen sieben Engagements ausländischer Investoren im Schweizer Fussball ausnahmslos im Desaster geendet. Namen wie Kadji (Sion), Tschagajew (Xamax) sowie Roger und Pishyar (Servette) lassen die Fans bis heute erschauern. 

Noch-Präsident Roger Bigger erklärt, weshalb das neue Türken-Abenteuer in Wil besser enden soll: «Bei Belanow standen wir mit dem Rücken zur Wand. Nun haben wir aus einer starken Position heraus entschieden. Wir wissen, mit wem wir uns verheiratet haben. Es gab seit vergangenen Dezember 30 bis 40 Treffen mit dem neuen Investor. Wir haben uns gegenseitig intensiv durchleuchtet. An diesem Prozess waren namhafte Wirtschaftsprüfer beteiligt. Die Chemie hat zudem von Anfang an gestimmt. Er ist ein familiärer Mensch und wir sind ein familiärer Verein.»

Präsident Roger Bigger dürfte sein Amt an der anstehenden Generalversammlung verlieren.
Präsident Roger Bigger dürfte sein Amt an der anstehenden Generalversammlung verlieren.Bild: freshfocus

«Als Schweizer denkt man eben so»

30 Spieler hat der FC Wil in den letzten sieben Jahren Richtung Super League oder ins Ausland transferiert. Wesentlich mehr als der grosse Kantonsbruder St.Gallen. Darunter waren auch klingende Namen wie Nati-Verteidiger Fabian Schär oder Luzern-Stürmer Dario Lezcano. Das bisherige Erfolgskonzept als Ausbildungsklub hat laut Finanzfachmann Bigger aber durch die Einschränkung von Drittbeteiligungen an Spielern durch die FIFA im vergangenen Winter sein Fundament verloren: «Wir hatten zwei Optionen: Weiterwursteln oder ein ambitioniertes Projekt mit einem verlässlichen Partner lancieren. Wir wollen nicht ewig Lieferant bleiben, wir wollen ins europäische Geschäft.»

Aber was passiert, wenn der türkische Investor plötzlich die Lust an seinem neuen Spielzeug verliert? Die neuen Grossverdiener mit langfristigen Verträgen dürften für den Traditionsklub Wil zum existenzbedrohenden Risiko werden. Bigger gibt sich Mühe, auch diese Bedenken zu zerstreuen: «Ich verstehe diese Ängste, als Schweizer denkt man eben so. Aber Wil ist für den Investor kein Hobby, das plötzlich langweilig wird. Das ist ein Mann mit Visionen, der weiss wie man Erfolg hat.»

Wird Wil mit seiner Türken-Strategie glücklich?

Das unterstreicht auch Erdal Keser, der nun als Sportchef und Intimus von Investor Günal an dessen Stelle in Wil die Fäden zieht: «Wir wollen hier kein Geld verdienen. Der sportliche Erfolg steht klar im Vordergrund. Ziel ist der Aufstieg, wenn die Konkurrenz das zulässt. Ansonsten versuchen wir es nächste Saison erneut.»

Der ehemalige Dortmund-Profi dürfte die Wiler Mega-Transfers allesamt eingefädelt haben. Sein umfangreiches Kontaktnetz hat er unter anderem als Scout für die türkische Nati aufgebaut. Keser geniesst das Interesse an der Spielerpräsentation sichtlich. Braungebrannt, mit offenem Hemd, Goldkettchen und elegantem Einstecktuch präsentiert er sich vor seiner neuen Wundertruppe.

Sportchef Erdal Keser bringt sein internationales Beziehungsnetz nach Wil.
Sportchef Erdal Keser bringt sein internationales Beziehungsnetz nach Wil.Bild: freshfocus

Auf der Tribüne schauen sich derweil zwei Wiler Fans das ganze Treiben an. Einer trägt ein Gedenkshirt an das legendäre 11:3 gegen St.Gallen. Er stupst seinen Kollegen an: «Meinst du, dass die wenigstens auch einen neuen Grill mitbringen? Dann könnten wir die Bratwurst endlich mal warm essen.» Sein Kollege lacht. «Wahrscheinlich gibt es eher Kebab.»

Das «Gemsli» vor dem Stadion soll sonst eine wunderbare Adresse sein.

Das Schild am Catering-Stand in Wil liest sich schon jetzt wie das einer Dönerbude.
Das Schild am Catering-Stand in Wil liest sich schon jetzt wie das einer Dönerbude.bild: watson

Xamax feiert den Aufstieg in die Challenge League

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Xamax feiert den Aufstieg in die Challenge League
Spieler und Fans von Neuchâtel Xamax feiern am Sonntagnachmittag den Aufstieg in die Challenge League.
quelle: keystone / sandro campardo
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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lagovai
15.07.2015 11:31registriert Oktober 2014
Es bleibt wohl immer noch die Frage, was sie wirklich wollen? Wenn es nur um sportliche Ziele geht, hätte man auch Servette kaufen können. Da steht zumindest schon einmal ein passendes Stadion. Und eine höhere Fansubstanz ist theoretisch auch vorhanden. Aber gut, mal schauen wie lange das funktioniert.
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Linus Luchs
15.07.2015 16:25registriert Juli 2014
Auweia, ein Albtraum für jeden Fan, der mit Fussball so etwas wie lokale Identifikation verbindet. Dieser Mehmet Nazif Günal hat mit Wil so viel zu tun wie ein Tintenfisch mit dem Matterhorn. Wenn Fussball zum reinen Investitionsprojekt verkommt, verliert er die Seele. Dann kann man gleich mit Aktien handeln und Börsenkurse studieren.
Goldmine in Liberia, Vertrauter von Recep Erdogan – und Roger Bigger sagt: „Er ist ein familiärer Mensch und wir sind ein familiärer Verein.“ Das ist mehr Naivität, als die Polizei erlaubt.
Ich war noch nie so froh, kein FC Wil-Fan zu sein.
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Androider
15.07.2015 12:27registriert Februar 2014
Sollen die nur wursteln. Hauptsache nächste Saison steigt der Traditionsverein Xamax wieder auf! :D
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