Status und Selbstverständnis eines Unternehmens sind meist in der Firmenzentrale zu besichtigen. Apple zum Beispiel baut sich gerade für geschätzte fünf Milliarden Dollar das wohl teuerste Hauptquartier der Welt, entworfen von Stararchitekt Norman Foster. Der Firmensitz von Yahoo dagegen wirkt wie eine Versicherungszentrale, eine angestaubte Ansammlung grauer Klötze und anonymer Büros.
Auch Airbnb hat vergangenes Jahr ein neues Hauptquartier in San Francisco eröffnet: ein umgebautes Fabrikgebäude, ganz in weiss und lichtdurchflutet. Durch das knapp 30 Meter hohe Atrium rankt sich eine pflanzenbewachsene «lebende Wand» nach oben. Es gibt keine verkabelten Telefone und kaum Desktop-Computer, damit kein Angestellter an einen Schreibtisch gebunden ist. Der Konferenzraum ist dem «War Room» nachempfunden, der Krisenzentrale während eines drohenden Nuklearkriegs, aus dem Hollywood-Klassiker «Dr. Strangelove» von Stanley Kubrick. Zuletzt wurde das Unternehmen mit knapp zehn Milliarden Dollar bewertet, Tendenz steigend. Da kann man sich schon mal was Besonderes gönnen.
Andere Zimmer sind Nachbauten besonderer Unterkünfte, die Airbnb rund um die Welt anbietet, in Kopenhagen etwa oder auf Bali. Der Fokus auf Architektur und Stil ist kein Zufall: Zwei der drei Gründer sind studierte Designer.
Im Rückblick erscheint die Idee, einen Marktplatz zur Vermietung privater Unterkünfte zu bauen, so naheliegend wie simpel. Im ersten Jahr nach dem Start zählte Airbnb 21'000 Übernachtungen. Heute sind es rund eine Million im Monat. Weltweit bietet Airbnb rund 800'000 Unterkunftsangebote. Zum Vergleich: Die Hilton-Hotelgruppe verfügt über rund 680'000 Zimmer. Während der WM wurden alleine in Rio de Janeiro rund 17'000 Übernachtungsmöglichkeiten auf Airbnb angeboten. Darunter auch das Haus von Ronaldinho, inklusive Kino und Sambabühne.
Doch bis vor kurzem noch war es eine gewagte Vorstellung: Das eigene Bett, die eigenen vier Wände, regelmässig an Fremde unterzuvermieten. Sogar für die risikofreudigen Geldgeber im Silicon Valley schien es nur eine hübsche Idee, ohne Chance auf Realisierung. Nicht einen Dollar Startkapital hätten die Gründer zu Beginn auftreiben können, sagt Nathan Blecharczyk, der dritte Mitgründer des Unternehmens. Eine ganze Weile sah es so aus, als sei einfach keine kritische Masse an Vermietern zu erreichen. «Weniger als 200 Dollar in der Woche sind anfangs zusammengekommen», sagt Blecharczyk.
Der schlaksige Airbnb-Gründer ist ein umgänglicher Typ, freundlich und unaufgeregt. Er trägt kariertes Hemd, Jeans und Turnschuhe. Gerade ist er aus Schweden zurückgekommen, von einigen Testübernachtungen bei Airbnb-Vermietern, anonym natürlich.
Die Arbeitsatmosphäre bei Airbnb ist auffallend gelassen, freundlich, ruhig. Das ist alles andere als selbstverständlich im Haifischbecken Silicon Valley. Trotz des Booms, trotz der Millionen Dollar, mit denen so viele Unternehmen gefördert werden, scheitern die meisten Start-ups. Bei vielen Tech-Unternehmen im Silicon Valley geht es ein paar Jahre nach Gründung eher so zu: verkniffen, gestresst, aggressiv. Es wird gearbeitet bis zum Umfallen.
Die entspannte Stimmung bei den Airbnb-Mitarbeitern hat vor allem damit zu tun, dass sie überzeugt sind, das nächste grosse Ding nach Facebook und Twitter zu sein. Eines der wenigen Start-ups, denen es gelungen ist, mit digitalen Technologien etablierte Geschäftsmodelle zu sprengen und sie durch eigene, effizientere, zu ersetzen. Und damit eine globale Marke zu werden. Wenn das Unternehmen an die Börse geht, werden viele hier mit einem Schlag zum Millionär.
Nur: Mit dem Erfolg nimmt auch der Gegenwind zu. Seit Jahren liefert Airbnb sich einen Kleinkrieg mit Hotelindustrie, Stadtverwaltungen und Nachbarschaftsverbänden um illegale Vermietungen, ungleiche Regulierung und Steuern. Vor allem in touristisch attraktiven Städten kann der Erfolg des Übernachtungsmarktplatzes zum Problem werden. Immer mehr Vermieter finden Gefallen daran, ihre Wohnungen nur noch als private Hotelräume anzubieten, weil das so lukrativ ist. Doch gerade in Städten, die ohnehin unter Wohnungsknappheit leiden, verschlimmert das die Mietmarktsituation. In Berlin, New York oder San Francisco ist das bereits zu spüren.
Fast scheint es, als entstehe alle paar Wochen eine neue Front für Airbnb. «Es werden viele berechtigte Fragen gestellt», sagt Blecharczyk. Der Eindruck, dass Airbnb sich vor manchen Auseinandersetzungen einfach wegducke, sei aber falsch: «Viele der auftretenden Probleme sind komplex und wir müssen sie gemeinsam mit Regierungen, Stadtverwaltungen und anderen lösen, das ist nicht so einfach.»
Airbnb hat deswegen ein Modellprojekt mit der Stadt Portland entwickelt. Dort sammelt das Unternehmen künftig unter anderem wie normale Hotels auch Steuern für Übernachtungen ein. «Das soll eine offene Einladung an alle Städte sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.»
Blecharczyk ist allerdings sicher, dass der Aufstieg von Airbnb nicht mehr aufzuhalten ist: «Die Menschen wollen das.» Das Unternehmen wolle in den kommenden Jahren noch weitere Bereiche für sich erschliessen, sagt Blecharczyk. «Essen, Transport und all die anderen Services rund ums Reisen werden künftig für uns eine Rolle spielen.» Nicht nur Übernachtungen, sondern «der gesamte Tourismus» sei der Markt für das Unternehmen.
«Lokale Dienstleistungen» will man künftig anbieten, in diversen Städten seien bereits Teams mit deren Entwicklung beschäftigt. Blecharczyk lässt keinen Zweifel an den Ambitionen von Airbnb: «Der globale Markt für Übernachtungen ist ungefähr 500 bis 700 Milliarden Dollar gross.» In der gesamten Tourismusindustrie aber «geht es um Billionen Dollar».