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Du willst nur das Beste? Voilà:
Sein letzter Marathonlauf dürfte einige Zeit her sein. Joschka
Fischer ist nicht mehr so rank und schlank wie in seinen Anfängen als
deutscher Aussenminister von 1998 bis 2005. Der 67-jährige
Grünen-Politiker hat wieder die rundliche Form von einst. Doch nicht
nur er selber, auch sein Wort hat Gewicht. Das konnte man am Montag
in Zürich erleben, als er vor der Handelskammer Deutschland Schweiz
einen Vortrag hielt zum Thema «Scheitert die EU? Scheitert Europa?» Im Anschluss konnten wir ihm einige Fragen stellen.
Die Anschläge
von Paris werden als «Europas 11. September» bezeichnet. Was halten Sie davon?
Joschka Fischer: Es gibt Ähnlichkeiten, wobei solche Vergleiche immer auch hinken. Von der
Qualität her war das ein gewaltiges Verbrechen, das einer
entsprechenden Reaktion bedarf. Man darf nur die Fehler nicht
wiederholen, die die USA nach 9/11 gemacht haben.
Europa hat in den
25 Jahren seit dem Kalten Krieg in einer gewissen Selbstgefälligkeit
gelebt. War das nun das böse Erwachen?
Es war eine
Illusion. Man hat gedacht, uns geht es gut, Europa ist friedlich,
doch die Welt ist nicht so. Wer sich damit beschäftigte und viel
herumkam, wusste das. Die Mehrheit aber hat sich nicht entsprechend
verhalten, und die Regierungen sind dieser Mehrheit gefolgt. Das muss
sich ändern.
Man hat zu lange
die Friedensdividende genossen?
Sie ist verbraucht.
Was halten Sie
von den Forderungen nach einer «Festung Europa»?
Wer ein wenig die
Militärgeschichte kennt, weiss, dass Festungsdenken nicht gerade von
Erfolg gekrönt ist. Es braucht eine selbstbewusste, demokratisch
kontrollierte Sicherheitsstruktur und eine gemeinsame Kontrolle der
Aussengrenzen, aber keine Festung.
Fischer ist ein
Phänomen. Er hat es vom Frankfurter Strassenkämpfer ohne Berufs-
oder Studienabschluss zu einem Politiker von Weltformat gebracht.
Seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in einer einfachen und
prägnanten Sprache auf den Punkt zu bringen, beeindruckt das Publikum in
Zürich. Für den eingefleischten Europäer ist die EU keineswegs
gescheitert: «Am Ende der aktuellen Krisen werden wir es mit einem
stärkeren Europa zu tun haben.»
Der Euro und
Schengen/Dublin haben sich als Schönwetter-Konstrukte entpuppt.
Das
muss man so sagen, und das muss anders werden.
Wie soll sich das
künftige Europa konstituieren?
Im Kern wird die
Eurozone stehen, sie muss die politische Integration voranbringen.
Darüber hinaus werden die sicherheitspolitischen Krisen zu einer
verstärkten militärischen und polizeilichen Zusammenarbeit führen,
was auch gut und richtig ist. Die Krise des Asylsystems wird ein
neues System mit gemeinsamem Schutz der Aussengrenzen notwendig
machen. Das kann man nicht einfach an die Länder delegieren, die das
Pech haben, dort zu leben. Hinzu kommt aus meiner Sicht ein
gemeinsames System des Aufnehmens und Verteilens. All das muss und
wird kommen.
Sie wollen ein
Europa, das vorwärts geht. Braucht Europa nicht gleichzeitig mehr
und weniger Integration?
Das
ist eine alte Debatte, sie dreht sich darum, dass man mehr zu Hause
entscheiden kann. Meine These lautet: So lange das entscheidende
Instrument der Integration der gemeinsame Markt ist, wird das mit der
Subsidiarität nichts werden. Erst wenn wir eine politische
Integration haben, würde sie zum Tragen kommen. Dann können
Entscheidungen mehr zu Hause stattfinden.
Eine Rückkehr zu
einem Europa der Nationalstaaten ist für Joschka Fischer keine
Lösung. Deren Einfluss sei in der globalisierten Welt des 21.
Jahrhunderts beschränkt. «War es eine souveräne Entscheidung der
Schweiz, das Bankgeheimnis aufzugeben?» stellt er eine «ketzerische» Frage. «Sie kennen den autonomen Nachvollzug, wir nicht.
Wir wollen ihn auch nicht kennenlernen», verschiesst er einen
weiteren Giftpfeil an die Adresse der Schweiz.
Die «Willkommenskultur» von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist stark
in die Kritik geraten ...
… was heisst
geraten? Sie war von Anfang an in der Kritik. Zugleich war sie das
Richtige. Sehr viele Menschen haben sich dafür engagiert.
Gleichzeitig gab es von weit rechts diese üblen Angriffe auf
Flüchtlinge und Unterkünfte. Ich finde, Deutschland tut das Richtige, das Land verhält sich
grossartig und verdient jede Unterstützung.
Es heisst aber,
Merkel habe das falsche Signal ausgesandt. Nun kämen die Flüchtlinge
von überall, sogar aus Afrika.
(genervt) Die kamen
vorher! Es war doch nicht die Angela Merkel! Ist es ein fatales
Signal, wenn man eine humanitäre Krise abwendet? Das ist grotesk.
Tausende
unregistrierte Flüchtlinge in Deutschland sind kein Risiko?
Bitte warum? Das
grösste Risiko sind nicht die Flüchtlinge, sondern die in Europa
lebenden Staatsbürger, die sich dem «IS» angeschlossen haben.
Es besteht aber
die Gefahr einer Radikalisierung, wenn die Integration der
Flüchtlinge misslingt.
Man kann sie doch
integrieren.
Auch wenn eine Million oder mehr nach Deutschland kommen?
Da bin ich
vollkommen zuversichtlich, wenn man sich die demografische
Entwicklung in Europa anschaut. Wobei ich die in der Schweiz nicht
kenne.
Wir profitieren
von der Personenfreizügigkeit.
Ihr profitiert von
ihr und wehrt euch gleichzeitig dagegen. So trägt jeder seine eigene
Schizophrenie mit sich herum.
In der
Flüchtlingskrise stellt sich Fischer bedingungslos hinter Angela
Merkel, auch aus eigener Betroffenheit: «Ich bin selber ein
Flüchtlingskind!» Fischers Eltern gehörten der deutschsprachigen
Minderheit in Ungarn an, nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie in den Westen vertrieben. Hier wurde Joseph Martin, genannt
Joschka, 1948 geboren. Für die Bedenken Osteuropas gegenüber den
Flüchtlingen hat er Verständnis, nicht aber für den ungarischen
Regierungschef Viktor Orban, der von der Weltwoche zum «Verteidiger Europas» hochgejubelt wurde.
Fischer verhehlt
nicht, wie sehr ihn Orbans nationalkonservative Abschottungspolitik
anwidert. Die Ursachen für den grossen Flüchtlingsandrang ortet er
auch in Europa: «Deutschland hat die Mittel für den
UNO-Flüchtlingshochkommissar gekürzt. Dieser hat im Gegenzug die
Leistungen für die syrischen Flüchtlinge gekürzt. Da muss man sich
nicht wundern, wenn sie sich auf den Weg zu uns machen.» In der
Terrorwelle des «Islamischen Staats» ortet er die grosse Chance,
dass sich die verschiedenen Player zusammenraufen: «Der Krieg in
Syrien muss beendet werden.»
Kann es eine
Lösung ohne Baschar Assad geben?
Mit Assad wird es
keine Lösung geben. Die Frage lautet, ob man einen Kompromiss
erreichen kann, der das Regime Assad überführt in eine Regierung
der nationalen Einheit. Die Kräfte, die das Regime gestützt haben,
müssen darin berücksichtigt werden. Aber genauso wichtig wird es
sein, die Opposition einzubinden. Das ist alles andere als einfach.
Im Libanon dauerte der Bürgerkrieg 13 Jahre, ehe ein Abkommen
geschlossen werden konnte.
Wichtige Player
wie Russland, die Türkei, Iran, Saudi-Arabien verfolgen aber ihre
eigenen Interessen.
Umso wichtiger ist
es, eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Wenn es gelingt, im
UNO-Sicherheitsrat eine Kapitel-VII-Resolution (die den Einsatz gewaltsamer Mittel ermöglicht, Anm. der Redaktion) zu erarbeiten,
zu der auch der diplomatische Lösungsprozess gehört, dann könnte
ich mir vorstellen, dass es voran geht.
Eine militärische
Option ist notwendig?
Wenn man Frieden in
Syrien will, wird das mit dem «Islamischen Staat» nicht gehen.
Deutschland tut
sich schwer mit dem Einsatz von militärischen Mitteln. Muss das Land
Abschied nehmen von der Idee, eine «grosse Schweiz» zu sein?
Das liegt weniger an
der «grossen Schweiz» als an der deutschen Geschichte. Die
Deutschen sind in der Mehrheit skeptisch gegenüber Militäraktionen.
Ich finde das auch nicht besorgniserregend, sondern eher eine
Selbstverständlichkeit. Man kann sie aber überzeugen und muss das
auch.
In Ihrer Zeit als
Aussenminister haben Sie das vorgemacht, im Kosovo-Krieg und beim
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.
Es bedarf der
mutigen Führung durch die Regierung.
Der Schweiz
widmet sich Joschka Fischer in Zürich ausführlich, er bezeichnet sich als
Freund unseres Landes, würdigt seine Leistungen für Europa, etwa
den Bau der Alpentunnels, und sieht es gar als Vorbild für Europa: «Die Schweiz hat bewiesen, dass kulturell unterschiedliche
Identitäten erfolgreich zusammenleben können.» Dies sei eine
grossartige Leistung. Umso mehr wundert er sich, «dass Europa von
der Schweiz als Bedrohung empfunden wird».
Für einen
EU-Beitritt der Schweiz plädiert er nicht: «Wir haben genug
Euroskeptiker in der EU.» Dennoch lässt er im Vortrag und im
Interview durchblicken, dass der Sonderweg der
Schweiz für ihn ein Auslaufmodell ist: «Die Zukunft der
Währungsunion beeinflusst das Schicksal der Schweiz entscheidend.» Eine Mehrheit der Bevölkerung spüre, dass es für sie von
Bedeutung sei, was die EU tue, ist Fischer überzeugt.
Könnten in einem
neuen Europa neue Möglichkeiten für die Schweiz entstehen?
Die Schweiz gehört
zu Europa, sie wird der EU nicht entkommen. Die Frage lautet, wie
schwer es sich die Schweizer machen wollen. Wie können sie ihr
Verhältnis zu dieser grossen EU regeln, dass es im gegenseitigen
Interesse liegt? Mit Pragmatismus und einem gewissen
Vertrauensverhältnis ist alles regelbar, so lange die Schweiz nicht
die Vorstellung hat, man müsse eine grosse Krise mit der EU
herbeiführen, indem man an deren Grundfreiheiten rüttelt.
Ein Nachgeben der
EU bei der Personenfreizügigkeit ist undenkbar?
Das ist völlig
illusorisch. Wer das behauptet, hat von der EU wirklich keine Ahnung.
Seinen
letzten Seitenhieb richtet der Ex-Aussenminister gegen SVP-Vordenker Christoph
Blocher, der letzte Woche in der NZZ behauptet hat, er wisse,
dass «die EU die Wirtschaftsverträge mit der Schweiz nicht
fallen lässt, wenn wir die Personenfreizügigkeit aufgeben».
Fischers Antwort: «Ich bitte Sie flehentlich, glauben Sie den
Sirenenklängen von alt gewordenen Sirenen nicht!» Dies könnte zu
einem bitteren Erwachen führen. «Auch wenn manche in der Schweiz
dies glauben: Der Schwanz wackelt nicht mit dem Hund.» Anders
gesagt: Die Schweiz kann nicht der EU den Tarif diktieren.
Hat der
bilaterale Weg eine Zukunft?
Auf mittlere Sicht
nicht mehr, er ist viel zu kompliziert. Ein EWR-Beitritt wäre das
Vernünftigste gewesen. Aber das ist keine Option mehr.
Europa fängt dort an, wo auch kleine Staaten einen Platz haben - im heutigen Europa ist für die Schweiz noch kein Platz. Und ja, wir sind immer noch empfindlich auf fremde Vögte!
sagt ein 68 Jähriger über einen 75 Jährigen der uns im interview mehrfach angst machen will was passiert falls wir nicht der EU beitreten...
Klar das Sie das nicht verstehen. Ihr (Deutschland) haltet euch ja nicht mal an die einfachsten Verträge. Schengen wurde durch Frau Merkel einseitig gebrochen, nicht mal die eigenen Reihen (EU) wurden gefragt. Das ist Verrat! Ist das Ihre Vorstellung von "Partnerschaft"? Warum noch Verträge mit der EU abschliessen?