Es war ein Satz von Tamara Funiciello auf Tele Züri, der für rote Köpfe sorgte. «Der Anspruch der SVP auf zwei Sitze ist unbestritten», sagte die SP-Nationalrätin und Ex-Juso-Präsidentin am 4. Oktober 2022.
Damit war klar: Die SP wird die Grünen nicht unterstützen, sollten sie versuchen, Ueli Maurers SVP-Bundesratssitz zu erobern. Die Grünen bliesen am 18. Oktober den geplanten Angriff ab – hoch verstimmt.
Funiciellos Satz könnte zur Schlüsselszene werden, wenn es um die Gesamterneuerungswahlen in den Bundesrat vom Dezember geht. Zwar hat die grüne Fraktion intern zweimal bekräftigt, dass sie die SP nicht angreifen will. Das ist jetzt aber infrage gestellt.
«Da gab es einen Bruch», sagt ein grünes Fraktionsmitglied. Einen Bruch dahin, dass immer mehr Grüne bereit sind, einen Bundesratssitz auf Kosten der SP zu holen, sollte die SP bei den Wahlen 2023 hinter die FDP zurückfallen.
Die meisten wollen sich nur anonym äussern. «Wir müssen alles diskutieren und dürfen nichts ausschliessen», sagt Fraktionsmitglied A. «Die Grünen müssen stärker für sich selbst und für ihre eigenen Anliegen schauen», sagt Fraktionsmitglied B. Und Fraktionsmitglied C betont: «Wir müssen Verantwortung übernehmen in Bezug auf unsere Wählerschaft.» Man könne ihr nicht einfach mitteilen, dass man den Bundesratssitz der SP überlasse.
Besonders deutlich wird Fraktionsmitglied D. «Lange dachten wir: Früher oder später werden wir einen Bundesratssitz bekommen.» Doch dem sei nicht so, habe man realisiert. «Sobald es um die Wahl in den Bundesrat geht, ist man als Partei auf sich selbst gestellt. Da gibt es keine Partner mehr.»
Das Mitglied erklärt die Fehleinschätzung mit der Geschichte der Partei. «Wir sind einfach nicht per se machtorientiert», sagt es. «Die Grünen mögen Konflikte und Kriege nicht unbedingt.»
Eine einzige grüne Nationalrätin deklariert offen, dass sie keine Beisshemmungen hat bei der SP: Irène Kälin. «Es geht um eine Grundsatzfrage: Wenn wir nach den Wahlen 2023 Anspruch haben auf einen Bundesratssitz, dann sind wir es unseren Wählerinnen und Wählern schuldig, alles zu tun, um diese Verantwortung zu übernehmen», sagt die Nationalratspräsidentin von 2022. «Es geht um das urdemokratische Prinzip Wählerwille. Meine Haltung hat sich nicht verändert: Für mich ist es kein Tabu, auch einen Sitz der SP anzugreifen.»
Bis 2019 waren die Grünen die kleine Schwester der grossen SP. Das hat sich mit der grünen Welle verändert. Die Grünen steigerten ihren Wähleranteil um 6.1 auf 13.2 Prozente, gewannen 17 Sitze und waren im Nationalrat mit 30 Sitzen auf einen Schlag grösser als die FDP mit 29 Sitzen.
Die Grünen begannen im Ständerat Allianzen mit Bürgerlichen zu schmieden und erreichten vor allem dank Lisa Mazzone und Mathias Zopfi, aber auch dank Maya Graf Kompromisse bei der Solaroffensive und dem Mantelerlass zu einer sicheren Stromversorgung.
Einen eigentlichen Coup landeten sie, als nach dem Nationalrat auch der Ständerat Ja sagte zum erleichterten Zugang der Sans-Papiers zur Berufsbildung – dank einer Allianz mit mehreren Mitte-Ständeräten. Das war ein Meilenstein.
Sie seien pragmatischer geworden, sagen Grüne selber. Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. 2018 waren die Grünen noch die Protestpartei schlechthin. Sie stimmten nur in 47 Prozent aller Nationalratsgeschäfte mit der Mehrheit. 2022 hingegen waren es 64 Prozent. Das zeigte eine Auswertung der «Sonntags-Zeitung».
Für viele Grüne hängt der pragmatischere Kurs mit Präsident Balthasar Glättli zusammen. Sein Kurs sei unideologischer als jener von Vorgängerin Regula Rytz, sagen einige. Andere glauben, Glättli sei einfach vorsichtiger, weil ein immenser Druck auf ihm laste für die Wahlen 2023.
Grundsätzlich wollen die Grünen gemeinsam mit der SP wachsen. Grüne und SP müssten bei den Wahlen zulegen, «damit wir einen dritten Bundesratssitz holen können», sagt Nationalrat Bastien Girod. Und Lisa Mazzone betont: «Wir werden alles dafür tun, dass SP und Grüne gemeinsam gewinnen, damit sich das Verhältnis zugunsten der progressiven Kräfte verschiebt.»
Noch weiter geht Fraktionschefin Aline Trede. Öffentlich spricht sie erstmals davon, dass sie eine progressive Mehrheit im Bundesrat erreichen will. «Bis spätestens in zehn Jahren müssen wir eine progressive Wende im Bundesrat schaffen – mit einer 4:3-Mehrheit für SP, Grüne und GLP», sagt Trede. «Eine solche Klima-Mehrheit ist dringlich.»
Um das zu erreichen, müssen beide Parteien ihre Wähler mobilisieren. Und hier sehen einzelne Grüne Probleme bei der SP. «Sie positioniert sich zurzeit sehr stark als grün – zu stark», sagt ein grünes Fraktionsmitglied. Damit vernachlässige sie die Arbeiterschicht. Die Grünen als postmaterielle Partei könne genau diese aber nicht erreichen.
«Wo sind die SP-Aushängeschilder für die Arbeiterschicht?», fragt das Fraktionsmitglied – und bilanziert: «Die SP erfüllt ihre Hausaufgaben nicht.» Hier muss aber angemerkt werden: Die SP tut einiges für diese Schicht – mit Prämienverbilligungsinitiative, Vorschlägen zu einer Stärkung der Kaufkraft und mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente.
Klar ist: Die Grünen werden bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates im Dezember mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Sitz eines Bundesratsmitglieds angreifen. Bastien Girod legt die Latte erstaunlich tief. «Die Grünen müssen dann antreten», sagt er, «wenn sie einen Wähleranteil haben, der bei 10 Prozent liegt.»
Nationalrat Felix Wettstein betont, die Grünen würden «nicht die SP, sondern die FDP» angreifen. Das aber in jedem Fall. «Ich setze mich dafür ein», sagt er, «dass wir das auch dann tun, wenn es keinen Rücktritt gibt.»
Und was sagt Präsident Balthasar Glättli selbst? Ende 2021 hielt er in einem CH-Media-Streitgespräch mit FDP-Präsident Thierry Burkart fest, die Grünen würden die SP angreifen, wenn sie nach den Wahlen 2023 schlechter dastehe als die FDP. Nach Krisengesprächen schlossen sich die Reihen aber wieder.
Diesmal sagt Glättli kein einziges Wort zur SP. Er betont, dass die Grünen «Wandel im Bundesrat» wollten «für mehr Klimaschutz». Als Musterbeispiel dafür erwähnt er den Zürcher Regierungsrat Martin Neukom, der vor dem Volk ein ambitioniertes Energiegesetz durchbrachte.
Glättli sagt aber auch: «Wenn der Bundesrat direkt von der Bevölkerung gewählt würde wie die Regierungen in den Kantonen, dann hätte es schon lange eine Grüne oder einen Grünen drin.»
Daraus lässt sich ablesen: Die FDP muss sich warm anziehen. Die SP aber vielleicht noch wärmer. (bzbasel.ch)
Natürlich Stand heute...
Vielleicht ändert sich das ja wieder, mal sehen.
Da ist es eigentlich nur logisch, dass Einer der zwei SP-Sitze an die Grünen geht und Einer der zwei FDP-Sitze an die Grünliberalen.
Die zwei SVP-Sitze und ein Mitte-Sitz können dann so bleiben.