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Du willst nur das Beste? Voilà:
Mike, gestern Abend
hast du für deinen kleinen Bruder gekocht. Was gab's?
Mike Müller: Zander im Salzteig. Aus einer Schweizer Zucht.
Ich bin ja manchmal ein Arschloch: Mein Bruder hatte vorgestern Zander in einer Nobelbeiz gegessen und
gefunden, es sei so «okay» gewesen, da war es natürlich mein Ehrgeiz, besseren
Zander zu machen. Was im Salzteig total einfach ist. Zur Vorspeise gab's
übrigens Pulpo mit Sherrytomätchen aus dem Ofen.
Dani Levy: Wieso weiss jetzt Simone, dass du für deinen Bruder gekocht hast?
Mike Müller: Die kennen einander.
Das klingt nach einem
perfekten Dinner. Dani, was gab's bei dir?
Dani Levy: Gestern
Abend? Konkret? Da überfiel mich eine Einsamkeitsattacke in meinem Hotelzimmer,
eine eigenartige Schwermut. Ich fragte mich, wo ich eigentlich in meinem
Leben bin. Jetzt, wo mein Film rauskommt, bin ich auch besonders verwundbar.
Einen Film zu machen, ist etwas wunderbar Konstruktives, Sinnvolles, nach vorn Gerichtetes.
Aber jetzt fühl ich mich wie so ein Objekt, mitten in einem Wirbelsturm.
Du und der Film, beide
sind ausgeliefert ...
Dani Levy: Na
ja, der Film hat keine Gefühle.
Mike Müller: Wer
weiss, vielleicht war der gestern Abend auch einsam! Du, sind wir eigentlich
dein erstes Interview seit der Katastrophe mit Hugh Grant?
Nein, keine Sorge.
Dani, nach «Alles auf Zucker!» zeigst Du jetzt auch in «Die Welt der
Wunderlichs» die Familie als Treibhaus für allerlei Dachschäden. Wieso?
Dani Levy: Familie war für mich schon immer zentral als
komödiantisches Thema, ich finde Familien ungeheuer ergiebig. Da stecken so
viele Möglichkeiten für Irrtümer, Missverständnisse und Desaster drin. Zweitens sind psychische Störungen
heute kein exotisches Aussenseiter-Problem mehr, sondern in der Mitte unserer
Gesellschaft verankert. Es gibt so viele
Möglichkeiten am Leben zu verzweifeln. Es ist schneller geworden, wir sind
anspruchsvoller und immer erreichbar und durch den medialen Wahnsinn immer
ungeschützter.
Das klingt alles wahnsinnig traurig, dabei hast du
doch einen total lustigen Film gemacht.
Dani Levy: Komödien
nähren sich doch aus der Traurigkeit. Man
muss keine Komödien über Menschen machen, die keine Probleme haben. Meine
Figuren haben alle eine Not, und der Film hat ja auch etwas Melancholisches. Es
gibt bei Komödien immer diese Genre-Erwartung, dass sie ausschliesslich lustig
sein sollen. Dabei brauchen sie – nach
meinem jüdischen Komödien-Verständnis – ganz viele tragische
Dellen oder Täler, durch die man geht, um
dann wieder in der Komödie zu landen. Wenn in einer Komödie suggeriert
wird, dass jedes Problem nur ein Pseudoproblem sei, finde ich sie wertlos und
austauschbar. Das hat mit dem Leben nichts zu tun.
Mike, du
spielst in Danis Film den väterlichen, stets um seine Kandidaten besorgten Chef einer
Castingshow. Gibt es beim Fernsehen überhaupt so nette Menschen?
Mike Müller: Doch, doch.
Dani Levy: Mehrheitlich!
Und woher kennt
ihr euch so gut mit Castingshows aus?
Dani Levy: Ich mag diese
Shows einfach! Ich kann nicht leugnen, dass ich auch ein voyeuristisches
Vergnügen daran habe. Wenn in so einer Wiederfind-Show plötzlich ein verloren
gegangener Bruder auf die Bühne kommt, muss ich tatsächlich
heulen. Dafür schäm' ich mich auch, aber es passiert nun mal! Die packen mich
mit so einfachen, durchschaubaren Mitteln.
Meinst du mich
nicht! Mike schaut skeptisch und findet das sicher einen totalen Seich, oder Mike?
Mike Müller: Nein, ich find’s keinen Seich,
ich find’s einfach schlecht gemacht! Ich rege mich wahnsinnig über die Schnitte
auf: Wenn eine kanadische Truppe mit Trampolins kommt, dann will ich die
kanadische Truppe mit Trampolins sehen, keine Nahaufnahme von einem Fuss oder
die Dorfdeppen im Publikum. Ich finde, manche Fernsehmacher halten die Leute oft
für blöder als sich selbst und sie sind selbst schon recht blöd.
Wieso ist die
TV-Welt in der «Welt der Wunderlichs» so unzynisch?
Dani Levy: Meine Beobachtung von
Castingshows ergab: Dieter Bohlen war
gestern. Heute sind doch vielmehr unterstützende Formate wie «Voice of Germany»
angesagt. Mich berührt, was im Kern solcher Sendungen verhandelt
wird: Jemand hat
einen Traum und bekommt nun eine Bühne, auf
der dieser Traum in drei Minuten zur Wirklichkeit werden kann. Gerade Kinder
können in einer guten Castingshow, in der
sie weder blöd domestiziert noch entmündigt werden, über
sich hinauswachsen! Da werden rohe Diamanten gepflegt.
Mike Müller: Ja, wenn’s die gibt. Aber oft
ist es auch nur eine Masche, und es stört mich, wenn ein Zehnjähriger, der noch
nicht richtig singen kann, 100'000 Stutz kriegt und keiner regt sich darüber
auf. Doch wenn Sophie Hunger Geld kriegt, regen sich alle inkontinenten alten
Säcke darüber auf. Aber wir reden jetzt von verschiedenen Dingen. Ich wollte
einfach mal einen kritischen Einschub in eure schwülstige Schwärmerei einbringen.
Schon gut.
Eigentlich geht’s in dem Film auch gar nicht um Mikes Castingshow, sondern um
eine alleinerziehende Mutter mit einer komplett durchgeknallten Familie, die in
der Show ihre zweite Chance als Sängerin erhalten soll.
Dani Levy: Ja,
das Thema alleinerziehende Mutter liegt mir wirklich
am Herzen. Es ist doch eine überaus spezielle Situation, wenn eine Mutter
alleine mit einem Kind durchs Leben geht. Und wenn sie dann auch noch eine
Familie hat, auf die sie nicht zählen kann und die sie nur weiter belastet, ist
das, als müsste sie sich um noch viel mehr Kinder kümmern. Sie wird von diesen Egozentrikern total ausgesaugt und hat
keinerlei Chance überhaupt noch eigene Wünsche zu empfinden, geschweige denn
auszuleben.
Deine
Filmmutter hat einen 7-jährigen Sohn, der immer nur helfen will und das grösste
Chaos veranstaltet. Ein unfassbar hochbegabter Schauspieler!
Dani Levy: Ja, ein sehr spezieller, berührender Junge. Eigentlich
war er völlig ungeeignet: Er hatte noch nie
gedreht, war zu jung, schlief beim Dreh manchmal ein, hat oft nicht begriffen, was wir von ihm wollten,
verpasste seine Einsätze, sehr verträumt,
fast autistisch. Das Gegenteil eines fitten
Filmkindes, wie man sich das sonst so gewohnt ist. Aber er ist so faszinierend,
so komisch, zerbrechlich und eigen, dass ich unbedingt mit ihm arbeiten wollte.
Wozu brauchte
er ein Double?
Dani Levy: In Deutschland
dürfen Kinder höchstens vier bis fünf Stunden pro Tag arbeiten. Manchmal stand
schon nach zwei Stunden sein Vater da, so ein puerto-ricanischer Punkrocker aus
New York und sagte: «Schluss jetzt.»
Mike Müller: Das ist ganz wichtig. In der
Schweiz gibt’s sowas nicht. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Eltern
nach acht Stunden Dreharbeit ganz scheu sagen: «Ähm, mein Kind hat blaue
Lippen, denken Sie nicht, dass es jetzt langsam mal genug ist?»
Dani lebt schon
seit 36 Jahren in Berlin. Mike, ist Auswandern für dich eine Option?
Mike Müller: Grundsätzlich
gilt: Man findet es dort am tollsten, wo man gerade lebt. Aber klar, ich konnte
mir schon immer vorstellen, nach Deutschland auszuwandern. Obwohl mir natürlich
auch die kalifornische Wüste gefällt. Das Grösste wär, in Costa Rica zu sitzen
und einem Tukan zuzuschauen.
Dani Levy: Du hast natürlich auch keine
vorbelastete Vergangenheit. Für mich war Deutschland ein grosser Schritt wegen
der Geschichte meiner jüdischen Eltern. Als ich nach Berlin zog, war das
für meine Mutter, als würde ich ins Dritte Reich zurückkehren. Meine Mutter
kam 1939 in die Schweiz und lebte zuerst in einem Flüchtlingslager. Sie hatte Deutschland seither nicht mehr betreten. Ich
hab das Land dann mit den Augen meiner Eltern für mich entdeckt, da war
natürlich auch viel Kritisches dabei. Für mich muss etwas aber nicht unbedingt
gut oder gelungen sein, um interessant zu sein. Wichtig ist doch, dass gewisse
Spitzen nicht abgeschliffen werden.
Mike Müller: Das ist der Punkt! Das ist
doch genau das Problem mit dieser allgegenwärtigen sanften Umarmung in der
Schweiz! Dieses «Du bisch e Luschtige» und so. Das ist eine einebnende
Umarmung. Das haben wir hier in der Presse, der Politik, der Kunst. Deshalb ist
es typisch, dass eine Sophie Hunger drankommt: Weil sie ein bisschen eckig ist
und sich nicht umarmen lässt.
«Die Welt der Wunderlichs» läuft ab 20. Oktober im Kino.