Da haben die Albisgüetli-Besucher bestimmt herzhaft mit den flachen Händen auf die Schenkel geklopft: Christoph Blocher begann seine launige Rede damit, dass ihm seit 25 Jahren vorgehalten werde, er sei ein Populist, dabei wisse er bis heute nicht, was ein Populist genau sei. Kürzlich habe er in der «Neuen Zürcher Zeitung» gelesen, wer Gedichte lese, könne kein Populist sein.
Als nächstes las er deshalb feierlich ein Sonett von Gottfried Keller vor. Es folgten Zitate von Schiller, Goethe, Dürrenmatt und aus dem Matthäus-Evangelium. Der prall gefüllte Saal lauschte in andächtiger Stille, während Blocher in grossväterlicher Manier rezitierte.
Er erzählte von Hungersnöten, von der Überwindung der Knechtschaft, vom freiheitsliebenden Volk, das sich einst gegen fremde Landvögte auflehnte, und von der Gründung des liberalen Nationalstaates, der endlich Frieden und Wohlstand gebracht habe. Die bekannte Leier also. Und weiter:
Doch dieser Friede und Wohlstand sei in Gefahr, warnte Blocher die anwesenden «Fraue und Manne». Es sei traurig, festzustellen, dass die Classe politique in Bern in den letzten 25 Jahren alles getan habe, um den klaren Volksentscheid von 1992, das Nein zum EWR-Beitritt, auszuhebeln. Die Schweiz sei erneut «auf dem Weg zur Knechtschaft».
Die politische Elite, von Blocher auch als Gauner, Lügner und Verräter bezeichnet, habe diesen Entscheid im Grunde genommen nie akzeptiert. Inzwischen werde internationales Recht vor das von Volk und Ständen geschaffene Recht gestellt. Hier habe ein «stiller Staatsstreich» stattgefunden.
Auch Gastredner Ignazio Cassis bekam sein Fett ab: Das «Marktzugangsabkommen», das der Aussenminister in seiner Rede als Synonym für «Rahmenabkommen» verwendete, sei ein Versuch, mit schönen Worten einen Ankettungsvertrag zu verharmlosen. Der Name, der der Wahrheit entspreche, sei «Vertrag zur Abschaffung der schweizerischen direkten Demokratie».
Die SVP sei entschlossen, dem Staatsstreich in geordneten Bahnen entgegenzutreten, sagte Blocher in Bezug auf die Begrenzungs- und die Selbstbestimmungsinitiative. Er freue sich, auch 2018 den «Berner Augiasstall» auszumisten und im Wahljahr 2019 gegen das «Gauner-Syndikat» anzutreten, kündigte er an. «Es lebe die Schweiz!».
Zuvor hatte Gastredner Ignazio Cassis eine Rede gehalten: Er sei zwar noch keine 100 Tage im Amt und daher noch im «Bundesratspraktikum», stellte der Tessiner FDP-Bundesrat am Freitag gleich zu Beginn seiner Rede im Zürcher Schützenhaus klar. Er habe sich dennoch für den Auftritt vor dem SVP-Publikum entschieden – denn Aussenpolitik beginne im Inland, und daher auch im Albisgüetli.
Zunächst kam er auf die eben erst in die Unterschriftensammlung gestartete SVP– und Auns-Initiative für die Kündigung der Personenfreizügigkeit zu sprechen. Diese deute darauf hin, dass der Bilaterale Weg für die SVP «nicht unentbehrlich sei».
Die sieben Verträge der «Bilateralen I» garantierten jedoch einen einfachen europäischen Marktzugang, rief Cassis in Erinnerung. Und ein sicherer und stabiler Zugang zum europäischen Markt mit 500 Millionen Menschen sei zentral, wenn die Schweiz weiterhin ihre Produkte verkaufen und ihren Wohlstand behalten wolle.
Doch der SVP ist bekanntlich nicht nur das Freizügigkeitsabkommen ein Dorn im Auge. Auch von einer automatischen Übernahme von EU-Recht und von «fremden Richtern» will die Partei nichts wissen.
Cassis hatte vor der Bundesratswahl deshalb mit dem Versprechen, in der festgefahrenen Diskussion um ein Rahmenabkommen mit der EU die «Reset-Taste» drücken zu wollen, im SVP-Lager viel Sympathie-Punkte gesammelt. Er wurde dem prall gefüllten und gutgelaunten Festsaal am Freitag denn auch als «Mann mit dem Reset-Knopf» vorgestellt.
Mit dem «institutionellen Rahmenabkommen» sei es wie mit der Bibel, stellte Cassis fest: Alle sprächen davon, aber niemand wisse genau, was drin stehe. Das Ziel sei im Grunde genommen nichts anderes als ein Marktzugangsabkommen. Der Aussenminister lud die SVP-Anhänger dazu ein, den Reset-Knopf gemeinsam zu drücken.
Um mit der EU eine Einigung in den festgefahrenen Verhandlungen zu finden, schwebt Cassis gemäss Medienberichten ein neues Vertragspaket vor, das Marktzugänge und Teile aus dem umstrittenen Rahmenabkommen verknüpft. Das Paket soll laut der «SonntagsZeitung» einen Stromvertrag und ein Dienstleistungsabkommen für den Zugang für Schweizer Banken und Versicherungen zu den EU-Märkten sichern.
Integriert werden sollen auch Institutionen zur Überwachung der Marktzugangsverträge und ein Gericht, das bei Streitigkeiten über die Einhaltung der Verträge urteilt. Cassis erhoffe sich von der Paketlösung von Brüssel grösseres Entgegenkommen bei der heiklen Frage der «fremden Richter», indem die EU gemischte Gerichte statt den EU-Gerichtshof akzeptieren solle. (sda)