Aussenminister Ignazio Cassis legt in diesen Tagen eine bemerkenswerte Selbstironie an den Tag. Wie er den gordischen Knoten lösen wolle im Europadossier, wurde er vergangene Woche an einer Veranstaltung in Schaffhausen gefragt. «Mit dem Reset-Knopf», antwortete der Neo-Bundesrat.
Reset: Cassis benutzte das Wort vor seiner Wahl in den Bundesrat. Von vielen Seiten wurde er dafür belächelt. Wie soll ein Neustart für das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU gelingen, das seit Jahren verhandelt wird, nicht vorwärtskommt und innenpolitisch als chancenlos gilt?
Langsam wird aus dem Unwort jedoch ein Hoffnungsschimmer. Über den «Reset-Knopf» scherzt heute nur noch Cassis selbst. Denn es zeichnet sich ab, wie zumindest ein Mini-Reset aussehen könnte: SP, CVP und FDP sind für eine Änderung des Verhandlungsmandates bereit. Dieses ist fünf Jahre alt und wurde in einer anderen Ära geschrieben: Bevor die Schweizer Bevölkerung einer Begrenzung der Zuwanderung zugestimmt und damit das Abkommen zur Personenfreizügigkeit infrage gestellt hat und bevor Grossbritannien den Austritt aus der EU beschlossen hat.
Cassis sondiertEnde Januar wird Aussenminister Cassis dem Bundesrat eine Auslegeordnung machen. Dann wird sich zeigen, ob auch die Regierungskollegen einen Neustart wollen. In Schaffhausen betonte Cassis, dass die Aussenpolitik in der Kompetenz des Gesamtbundesrates liege. Er erhofft sich von seinen Kollegen Mut und ein geschlossenes Auftreten: «Wir haben in den letzten vier Jahren in der Europapolitik nicht gut gearbeitet», sagte Cassis. Er wollte dies nicht als Kritik an seinem Vorgänger Didier Burkhalter verstanden wissen. Wenn schon, dann am Gesamtgremium.
Derzeit sondiert Ignazio Cassis bei seinen Regierungskollegen, ob und wie das Verhandlungsmandat abgeändert werden könnte. Eine solche Anpassung wäre ein starkes innenpolitisches Signal. Im Gegensatz zu Burkhalter ist Cassis gewillt, die Aussenpolitik stärker an schweizerischen Befindlichkeiten auszurichten.
Besonders umstritten beim Rahmenabkommen ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Welche Rolle soll er im Konfliktfall wahrnehmen, ohne dass die Souveränität der Schweiz tangiert wird? Das Stichwort dazu: «fremde Richter.»
Cassis hält sich mit seinen Ideen in der Öffentlichkeit zurück. Dem Vernehmen nach spricht man im Aussendepartement von einer «Zwei-Pfeiler-Lösung», in der auch das Schweizerische Bundesgericht eine Rolle spielen würde.
Zufall oder nicht: Auch der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann, der einen guten Draht zu Parteikollege Cassis pflegt, will das Bundesgericht einbeziehen. Das Problem sei nicht, dass der EuGH über die Regeln des europäischen Binnenmarktes urteile. Der springende Punkt sei, dass der EuGH nicht allein entscheiden dürfe, welches Recht – europäisches oder schweizerisches – betroffen ist, sagt der Aussenpolitiker.
Diese Frage ist nämlich nicht immer klar: «Bei den flankierenden Massnahmen etwa ist umstritten, ob es sich um EU-Binnenrecht oder nationales Recht handelt», sagt Portmann. Er schlägt vor: «Der EuGH und das Schweizer Bundesgericht sollen prüfen, welches Recht im Streitfall betroffen ist und wer für die Beurteilung zuständig ist.» Für die FDP dürfe sich die Anrufung und Auslegung des EuGH nur auf in den Abkommen enthaltene Elemente des EU-Rechts beziehen: «Durch die parallele Prüfung verhindern wir fremde Richter», sagt Portmann. Ein Schiedsgericht würde in einer zweiten Phase aufgrund der Auslegungen des EuGH und des Bundesgerichtes entscheiden, ob EU-Binnenrecht verletzt worden ist.
Für Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) ist das skizzierte Modell eine Möglichkeit. Die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates verlangt aber, dass der Bundesrat möglichst viele Optionen prüft: «Wichtig ist, dass Schweizer Institutionen in Konfliktfällen eine Rolle spielen, um den Rückhalt des Rahmenvertrages im Inland zu stärken.»
Und wo bleibt Operation Libero?