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Gewinnt China?

Xi der Gewinner
Bild: watson/shutterstock
Analyse

Gewinnt China?

Peking meistert die Pandemie besser als der Westen. Das könnte weitreichende geopolitische Folgen haben.
17.04.2020, 19:5517.04.2020, 19:56
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Erstmals seit Jahrzehnten schrumpft die chinesische Wirtschaft. Neuste Zahlen zeigen, dass es in Wuhan weit mehr Tote gegeben hat als bisher gemeldet. In den USA kursierte eine neue Version der Verschwörungstheorie, wonach das Coronavirus aus einem chinesischen Biolabor entwichen sei. Und trotzdem fragt der «Economist» in seiner neuen Ausgabe besorgt: «Is China winning?»

Die Frage ist berechtigt: Während bei uns die Ökonomen vor der schwersten Rezession seit der Depression der Dreissigerjahre warnen, werden in China die Fabriken wieder hochgefahren. Während bei uns die Anzahl der Toten und Infizierten zunimmt, gibt es kaum noch neue Ansteckungen in China.

Titelbild des «Economist».
Titelbild des «Economist».

Ja, und vergessen wir nicht: In China hat es weit weniger Opfer gegeben als in Italien, Spanien, den USA, Frankreich. Und das bei rund 1,5 Milliarden Einwohnern. Pro Kopf gerechnet sieht es übrigens auch in der Schweiz alles andere als gut aus.

Würde der viel zitierte Besucher vom Mars zu entscheiden haben, wer von den beiden Supermächten die Pandemie besser bekämpft, dann wäre sein Urteil schnell gefällt: In den USA herrscht ein Flickenteppich von sich teils widersprechenden Massnahmen. Die einzelnen Bundesstaaten kämpfen gegenseitig um dringend benötigte Schutzanzüge und Beatmungsgeräte, während der Präsident an seinen täglichen Pressekonferenzen prahlt, Unsinn erzählt und Gouverneure und Journalisten beschimpft.

In China tritt die Führung geschlossen auf und verfolgt eine klar definierte Strategie zur Bekämpfung der Pandemie. Inzwischen werden chinesische Hilfsgüter rund um den Erdball verschickt, und es ist denkbar, sogar wahrscheinlich, dass auch der erste Impfstoff aus dem Reicht der Mitte stammen wird.

President Donald Trump speaks about the coronavirus, accompanied by Dr. Anthony Fauci, director of the National Institute of Allergy and Infectious Diseases, in the James Brady Press Briefing Room of  ...
Peinliches Spektakel: die täglichen Briefings von Präsident Trump.Bild: AP

Präsident Trump zofft sich derweil mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und hat mittlerweile jeglichen Anspruch aufgegeben, in der möglicherweise schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg eine Führungsrolle zu übernehmen.

Der amerikanische Präsident beschleunigt so den Niedergang der USA. Dieser hat schon vor seiner Amtszeit begonnen. In seinem Buch «Unsere asiatische Zukunft» stellt der Publizist Parag Khanna fest:

«Aus asiatischer Sicht sind die beiden vergangenen Jahrzehnte gekennzeichnet von der Inkompetenz von Präsident George W. Bush, von Präsident Barack Obamas Halbherzigkeit und von Präsident Donald Trumps Unberechenbarkeit.»

Umgekehrt hat China seine Stellung in der Welt in den letzten Jahren sukzessiv ausgebaut. Zentraler Pfeiler dabei ist die «Belt & Road Initiative» (BRI), ein gewaltiges Infrastrukturprojekt, das Asien, Afrika und Europa umfasst. Es zeigt Wirkung, wie Khanna schreibt:

«Der Handel zwischen Europa und Asien übersteigt bereits heute denjenigen der beiden mit den Vereinigten Staaten. Beide betrachten BRI als eine lukrative Gelegenheit, den Handel auf den gesamten euroasiatischen Megakontinent auszudehnen.»

Doch auch Europa macht bisher in der Pandemie alles andere als eine gute Figur. In der «Financial Times» warnt Emmanuel Macron vor einem Kollaps der EU, sollte es nicht bald zu einer solidarischen Finanzierung der gewaltigen Schäden der Corona-Krise kommen.

Sieht die EU in Gefahr: Emmanuel Macron.
Sieht die EU in Gefahr: Emmanuel Macron.Bild: AP/AFP POOL

Die EU stehe vor der «Stunde der Wahrheit», so Macron. Ohne gemeinsame Verschuldungsstrategie würden die Populisten wie Marine Le Pen und Matteo Salvini zwangsläufig die Oberhand gewinnen und die Union sprengen.

Es sei auch unsinnig, Italien und Spanien bestrafen zu wollen. Der französische Präsident verweist auf den tödlichen Fehler nach dem Ersten Weltkrieg, als den Deutschen viel zu hohe Reparationszahlungen aufgebürdet wurden:

«Diesen Fehler haben wir nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wiederholt. Noch heute sprechen die Menschen vom Marshall-Plan. Wir nennen es nun ‹Helikopter-Geld› und wir sagen: ‹Wir müssen die Vergangenheit vergessen, neu starten und in die Zukunft blicken›.»

Die USA ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück, Europa droht zu zerbrechen – der «Economist» sorgt sich zu Recht: Die Chancen, dass die Zukunft Asien gehört, ist durch die Pandemie gestiegen. Wir müssen uns jedoch daran gewöhnen, in anderen Kategorien zu denken.

China will nicht die USA als Supermacht ersetzen. Und die Asiaten wollen das auch nicht. Nochmals Khanna:

«Asiens Zukunft ist viel mehr, als was China sich wünscht. Historisch gesehen ist China keine Kolonialmacht. Anders als die Vereinigten Staaten ist es sehr vorsichtig mit seinen Engagements mit anderen Ländern. China will fremde Ressourcen und Märkte, nicht fremde Kolonien.»
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144 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ilovepies
17.04.2020 19:57registriert Februar 2015
Die Zahlen und Infos von China sind allerorts frisiert und so wie gewünscht hingebogen. Es ist mir ein Rätsel, wie man diese Werte für Analysen und Artikel verwenden kann. Das ist doch nutzlos.
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Sackhegelbutzer
17.04.2020 20:03registriert Dezember 2018
Wann endlich begreift auch der letzte dass die Zahlen, welche China meldet, Propagandazahlen sind? Wenn die CCP (China Communist Party) keine Coronatoten will werden auch keine gemeldet. So funktioniert die Planwirtschaft.
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Reto Schnurrenberger-Stämpfler
17.04.2020 19:53registriert Dezember 2019
Ist es nicht schön in der Glaskugel genüsslich die dargebotenen Seiten zu durchstöbern und mit eigenem Gehirnsubstrat noch farbiger und facettenreicher zu gestalten? Nur bleibt die Realität nie zurück noch springt sie in die Zukunft.
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