Schweiz
Wirtschaft

Firmenchefs widersprechen Martullo-Blocher bei der SVP-Initiative

Magdalena Martullo-Blocher, Vizepraesidentin und Delegierte des Verwaltungsrates, bei ihren Ausfuehrungen, aufgenommen am Freitag, 10. Juli 2020, bei der Halbjahres Bilanz Medienkonferenz fuer Januar  ...
Ems-Konzernchefin Magdalena Martullo-Blocher vermutet, dass Chefs mit ausländischem Pass andere Interessen haben als jene mit dem Schweizer Bürgerrecht.Bild: keystone

Eine gegen alle

Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher kritisierte, viele Schweizer Firmen würden von ausländischen Chefs geleitet. Diese seien gegen die Begrenzungsinitiative, weil sie oft andere Interessen hätten als «wir Schweizer Unternehmensführer». Aber wie denken Hansueli Loosli (Coop), Sergio Ermotti (UBS) oder Peter Voser (ABB) über diese Vorlage?
15.08.2020, 17:4316.08.2020, 12:27
patrik müller / schweiz am wochenende
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Oft verweigern Konzernchefs und Verwaltungsratspräsidenten die Auskunft, wenn man sie zu einer bevorstehenden Abstimmung befragt. Sie wollen sich nicht politisch exponieren. Bei der Begrenzungsinitiative der SVP, die am 27. September an die Urne kommt, ist das anders. Als die «Schweiz am Wochenende» die Firmenspitzen um Stellungnahmen bittet, folgen diese ­innerhalb zweier Tage.

Auch eine der wenigen Absagen ist bemerkenswert. Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident des Versicherers Swiss Life, lässt ausrichten, er habe sich entschieden, zur Begrenzungsinitiative keine Stellung zu nehmen. Noch bei der Masseneinwanderungs- und der Selbstbestimmungsinitiative empfahl Dörig ein Ja, wie die SVP und entgegen den Parolen der Wirtschaftsverbände. Ob er diesmal dagegen ist oder sich keinen Ärger mit den Verbänden einhandeln möchte, bleibt sein Geheimnis.

Darum geht es bei der Begrenzungsinitiative
Mit der sogenannten Begrenzungsinitiative – die Gegner sprechen lieber von «Kündigungsinitiative» – will die SVP erreichen, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländern aus der EU «eigenständig» regeln kann. Zum einen soll die geltende Personenfreizügigkeit abgeschafft werden. Und zum anderen soll die Schweiz mit anderen Ländern auch keine neuen Verträge oder Verpflichtungen eingehen dürfen, mit denen Ausländern eine Personenfreizügigkeit gewährt wird. Ein Ja am 27. September würde das Ende des Freizügigkeitsabkommens mit der EU bedeuten. Gemäss der Initiative müsste der Bundesrat zuerst auf dem Verhandlungsweg versuchen, es innerhalb von zwölf Monaten einvernehmlich aufzulösen. Klappt dies nicht, muss er das Abkommen innert eines weiteren Monats kündigen. (saw)

Diese Zeitung hat gezielt Firmenchefs mit Schweizer Pass befragt. Denn Ems-Chefin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher hatte in den Zeitungen der TX Group eine interessante Hypothese aufgestellt. Sie wurde gefragt, warum die Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse zum Schluss kommen, dass die Initiative der Wirtschaft schade – und sie selber nicht. Darauf antwortete die SVP-Politikerin:

«In vielen grossen Schweizer Konzernen sind heute Ausländer an der Spitze, oft aus dem EU-Raum. Sie verstehen das System der Schweiz nicht, stimmen auch nicht ab.»

Weiter sagte sie, viele Chefs stünden auf der Seite der EU: «Ein Teil von ihnen hat andere ­Interessen für die Schweiz als wir Schweizer Unternehmensführer.»

In der Tat beträgt auf der obersten Führungsebene der Ausländeranteil mehr als ein Drittel (siehe Text am Ende dieses Artikels). Aber gibt es einen Graben zwischen Chefs mit oder ohne Schweizer Pass? Unterstützen, wie Martullo insinuiert, Schweizer Chefs die Begrenzungsinitiative?

Wo sich UBS, CS und die Versicherungen einig sind

Mitnichten. UBS-Chef Sergio Ermotti, dem auch schon Sympathien zur SVP nachgesagt wurden, sagt klipp und klar: «Ich bin gegen die Begrenzungsinitiative. Als global integrierter Wirtschaftsstandort ist die Schweiz auf die unkomplizierte Rekrutierung internationaler Arbeitskräfte angewiesen.» Ermotti betont, selbst wenn es Steuerungsbedarf gäbe, «wäre diese Initiative nicht der richtige Weg, ein mögliches Problem zu adressieren». Ermotti sorgt sich zudem um das Verhältnis zur EU. «Angesichts der offenen Diskussion über die Zukunft des bilateralen Wegs und des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds sollte jetzt keine weitere Unsicherheit geschaffen werden.»

Der Chef der Erzrivalin am Paradeplatz, CS-CEO Thomas Gottstein, ist gleicher Meinung. «Selbstbestimmung ist wichtig», betont er, um hinzuzufügen:

«Aber in zentralen Fragen wie der Zuwanderung sollte sich die Schweiz mit der EU abstimmen und nicht die Konfrontation riskieren.»

Auch für die Versicherungen ist der Fall klar. Swiss-Re-Konzernchef Christian Mumenthaler etwa warnt eindringlich vor den Folgen der Initiative.

Besonders betroffen von einem Ja wäre die Pharmaindustrie. Roche-Chef Severin Schwan hat sich kürzlich einbürgern lassen. Nun darf der gebürtige Österreicher am 27. September selber abstimmen. «Für Roche als forschungsbasiertes Unternehmen ist der Zugang zu hoch ausgebildeten Mitarbeitenden extrem wichtig», sagt er. «Wir rekrutieren zwar sehr viele hoch qualifizierte Wissenschaftler oder Informatiker, die aus der Schweiz kommen. Aber wir können unseren Bedarf unmöglich nur mit Schweizern abdecken.» Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sei ein Nein wichtig, es gehe um die Wertschöpfung in Basel und der ganzen Schweiz.

Opposition aus den Reihen der SVP-Unternehmer

Geniesst die Initiative in der Binnenwirtschaft mehr Sympathien? Fehlanzeige. Hansueli Loosli präsidiert Coop, den zweitgrössten Arbeitgeber im Inland, sowie die Swisscom. Er sei gegen die Initiative, weil er den bilateralen Weg mit der EU und damit den Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt nicht gefährden wolle, sagt er. «Dieser weitgehend diskriminierungsfreie Zugang ist für unsere Exportwirtschaft und damit für die Arbeitsplätze und den Wohlstand in der Schweiz von grösster Wichtigkeit», sagt Loosli.

Besonders schmerzhaft für die SVP ist, dass auch ihr nahestehende Gewerbeunternehmer für ein Nein plädieren. Sogar Angehörige der eigenen Partei wie die Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr, die Mitinhaberin der Stahlbaufirma Ernst Fischer ist. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt hatte der SVP-Vorzeigeunternehmer Peter Spuhler in aller Deutlichkeit gegen die Vorlage Stellung bezogen und damit wohl auch andere Unternehmer ermutigt, sich zu exponieren. Spuhler sagte im März zu dieser Zeitung:

«Die Initiative ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum die SVP auf diese Initiative setzt.»

Unter den Chefs grosser Unternehmen gibt es nebst Martullo nur noch einen Ja-Verfechter. Walter Frey, Verwaltungsratspräsident der Emil Frey AG und ehemaliger SVP-Nationalrat. Er begründete seine Haltung im Juni in der «Schweiz am Wochenende»: «Für mich als Unternehmer wäre es einfacher, ohne jegliche Rücksicht im EU-Raum Personal zu rekrutieren. Aber es geht um das Wohl der Schweiz, es geht um Grundsätzliches.» Magdalena Martullo wollte sich zu ihrer Aussage, dass Schweizer Chefs andere Interessen hätten als ausländische, nicht mehr weiter äussern.

Je grösser, desto mehr Ausländer
Die Begrenzungsinitiative ist für die Wirtschaft die wichtigste Abstimmung in diesem Jahr. Bei früheren wirtschaftspolitischen Initiativen wurde oft das mangelnde Engagement der Unternehmen und ihrer Chefs kritisiert. Ein wichtiger Grund für den fehlenden Einsatz: Viele Wirtschaftslenker sind Ausländer.

Diese zieren sich, der Schweizer Bevölkerung zu sagen, wie sie abstimmen sollen. Tatsächlich ist der Ausländeranteil in den Chefetagen der grossen Schweizer Firmen hoch. Unter den 118 wichtigsten Unternehmen beträgt der Anteil 44 Prozent, wie eine Auswertung des Headhunters Guido Schilling zeigt. Werden nur die Chefs betrachtet, so sinkt der Ausländeranteil auf 36 Prozent.

«Gefragt sind heute nicht mehr die besten Manager der Schweiz, sondern die besten Köpfe weltweit», heisst es dazu in der neusten Studie namens Schillingreport. Fast jeder dritte ausländische Topmanager in den untersuchten Firmen stammt aus Deutschland. Mit grossem Abstand folgen die Amerikaner und Franzosen. Mit 37 Prozent ist der Ausländeranteil in den Verwaltungsräten der grössten Unternehmen etwas geringer. Auch hier dominieren die Deutschen und die Amerikaner.

Interessant: In vier der untersuchten Firmen sitzen keine Schweizer im Verwaltungsrat, während die Verwaltungsräte von 17 der 90 einbezogenen Unternehmen nur mit Schweizern besetzt sind. Bei den ganz grossen Firmen ist der Ausländeranteil am höchsten. Gut zwei Drittel der Geschäftsleitungsmitglieder der Unternehmen, die im Börsenbarometer Swiss Market Index vertreten sind, besitzen einen ausländischen Pass. Unter den Konzernchefs beträgt der Ausländeranteil noch 45 Prozent.

Zuletzt hat etwa bei der Credit Suisse ein Schweizer einen Ausländer an der Spitze abgelöst. Auf den Ivorer Tidjane Thiam folgte der Zürcher Thomas Gottstein. Hin und wieder lassen sich ausländische Firmenchefs einbürgern. So erhielt etwa Ulrich Spiesshofer, der ehemalige ABB-Chef, im Jahr 2016 die Schweizer Staatsbürgerschaft. Anlässlich der 125-Jahr-Feier des Unternehmens überreichte ihm der damalige Bundesrat Johann Schneider-Ammann persönlich den Schweizer Pass.

In diesem Jahr liess sich Roche-Chef Severin Schwan einbürgern. Der gebürtige Österreicher lebt seit vielen Jahren in Riehen BS. Zuvor wurde Roche-Präsident Christoph Franz Schweizer. Bereits seit zehn Jahren besitzt Glencore-Chef Ivan Glasenberg den Schweizer Pass.

(Andreas Möckli)
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103 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
15.08.2020 18:01registriert Juli 2014
Wer die Welt nur in der Polarität "Schweizer/Nicht-Schweizer" wahrnehmen kann, ist in seinem Urteilsvermögen stark limitiert. Wir sollten auf Leute hören, die zu differenzierteren Gedankengängen fähig sind.
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demian
15.08.2020 18:24registriert November 2016
Wieviele der bösen Einwanderer arbeiten den für unsere patriotische Magdalena?
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FrancoL
15.08.2020 18:18registriert November 2015
Auch die kleineren KMUs wettern gerne am Sonntag gegen die Zuwanderung, sind aber gerne bereit, wenn es die Finanzen fordern, sich an der Zuwanderung zu bedienen oder was „eleganter“ ist mehr Halbfabrikate oder Dienstleistungen im Ausland einzukaufen, weil man den hiesigen Preis nicht bezahlen mag.
Ein Doppelspiel das seit Jahren im Gange ist und vor allem auch von den vielen SVP nahen UN betrieben wird.
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