Es war keine einfache Woche für Jean-Pascal Aribot, den Schweizer Chef der Fahrtenplattform Uber. Am Dienstag hatten seine Fahrerinnen und Fahrer in Genf eine Vereinbarung abgelehnt, mit der ausstehende Lohnnachzahlungen geregelt werden sollten. Wie es im Streit in der Westschweiz weitergeht, ist offen. Der 42-Jährige gibt sich im Gespräch in Zürich, wo die US-Firma neben dem Schweizer Hauptsitz in Carouge bei Genf ein zweites Büro unterhält, trotzdem entspannt.
Das Uber-Geschäftsmodell ist in der Schweiz ausgebremst worden. Im Kanton Genf gelten Sie seit Sommer offiziell als Arbeitgeber, nicht bloss als Vermittler. Können Sie mit dieser neuen Regel leben?
Jean-Pascal Aribot: Es ist natürlich eine grosse Änderung, vor allem für die Fahrerinnen und Fahrer. Wir haben den Gerichtsentscheid Anfang Juni erhalten...
... wodurch Sie Ihr Geschäft zeitweise einstellen mussten!
Ja, für einige Tage. Aber wir haben ständig mit dem Kanton kooperiert und ein neues Geschäftsmodell kreiert. Nun werden die Fahrer von einer Partnerfirma angestellt, die mit uns zusammenarbeitet. Wir bleiben also eine Vermittlungsplattform, die Chauffeure und Fahrgäste zusammenbringt.
Das Einschalten einer Drittfirma klingt nach einer Scheinlösung, bei der Sie sich aus der Verantwortung stehlen, anstatt direkt als Arbeitgeber aufzutreten.
Wir stehlen uns überhaupt nicht aus der Verantwortung. Und vergessen Sie nicht: Die Mehrheit der Fahrerinnen und Fahrer möchten eigentlich unabhängig und ihr eigener Chef bleiben, also ohne Festanstellung. Nun gibt es aber neue Rahmenbedingungen in Genf und wir halten uns selbstverständlich daran. Alle Uber-Fahrer haben nun einen Arbeitgeber und erhalten Sozialleistungen, obwohl dies nur rund 10 Prozent von ihnen möchten, wie unsere Umfragen zeigen.
Ist Uber an dieser Drittfirma beteiligt?
Nein, die Firma namens MITC Mobility SA ist völlig unabhängig. In der Deutschschweiz werden wir ebenfalls mit unabhängigen Partnern zusammenarbeiten.
Hätten Sie rückblickend nicht von Anfang ein solches sozialverträglicheres Modell anbieten sollen?
Das wollten die Fahrer nicht. Nun geben wir ihnen aber eine Wahlfreiheit.
Im Kanton Zürich hat ein Gericht das Genfer Urteil gestützt. Wird das Anstellungsmodell also bald schweizweit eingesetzt?
Nein, denn in Genf haben die Fahrer keine Wahl. Aber aufgrund der Erfahrung in Genf werden wir ein duales Modell im Rest der Schweiz lancieren. Dabei sollen alle Uber-Fahrer die Wahlfreiheit haben: Entweder können sie einen Anstellungsvertrag mit einem Partnerunternehmen unterschreiben, der auch Sozialleistungen beinhaltet, oder weiterhin unabhängig agieren. Parallel dazu setzen wir uns in Gesprächen mit den zuständigen Behörden für eine Lösung für Selbstständige ein, sodass sich künftig Flexibilität und soziale Absicherung nicht mehr ausschliessen müssen.
Ihre Haltung überrascht: Noch vor drei Jahren sagte Ihr Vorgänger, man werde die Schweiz wohl verlassen, wenn ein Gericht Uber als Arbeitgeber einstufen würde. Das war also eine leere Drohung!
Wir möchten flexibel bleiben. Das müssen wir auch, denn die Regeln sind je nach Kanton oder Stadt unterschiedlich. In Bern arbeiten wir nur mit lizenzierten Taxi-Fahrern. In Genf sind nun alle angestellt über die Drittfirma. Und in Zürich sind sowohl lizenzierte Limousinen- als auch Taxichauffeure dabei. Fakt ist, dass die Nachfrage für unser Angebot gross ist und wir in der Schweiz bleiben möchten.
Funktioniert Ihr Geschäftsmodell denn in Genf noch oder fahren Sie Verluste ein?
Das neue Modell hat einen Einfluss auf das Geschäft, klar. Wir sind zuversichtlich, müssen nun aber die Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten anschauen. Auf jeden Fall ist dieses duale Modell mit der Wahlfreiheit eine Schweizer Lösung.
Planen Sie eine Expansion in weitere Schweizer Städte?
Das ist immer ein Thema. Heute sind wir in Genf, Zürich, Basel Winterthur, Zug, Baden, Lausanne, Bern, Luzern, Olten, Sion, Freiburg und Yverdon.
Wie unterscheidet sich der Schweizer Markt vom Ausland?
Der Föderalismus ist einzigartig, was sich in den verschiedenen Modellen zeigt, mit denen wir je nach Stadt operieren. Aber nochmals: Wir sind hier, um hier zu bleiben. Die Schweiz ist ein herausfordernder Markt, aber gleichzeitig auch eine Möglichkeit für uns, je nach Kanton verschiedene Herangehensweisen auszuprobieren. Und es ist ein guter Markt, um neue Produkte zu lancieren und zu testen.
Zum Beispiel?
In Zürich haben wir letztes Jahr Uber Lux lanciert, für Fahrten mit luxuriösen, topmodernen Autos. Die Nachfrage danach ist gross, was sicher auch mit der Kaufkraft hierzulande zu tun hat. Das zeigt sich bei der Liste der gefragtesten Destinationen. In Zürich und Genf rangieren viele Fünf-Sterne-Hotels ganz vorne. Und kürzlich haben wir Uber Van gestartet, für das Buchen von Minivans zum Beispiel für Familien. Und Potenzial sehe ich bei Flugpassagieren.
Inwiefern?
Neu kann man die Flugdaten bei der Uber-Bestellung eingeben, sodass der Fahrer automatisch sieht, ob der Flug verspätet ankommt. Diese Funktion haben wir ebenfalls dieses Jahr in der Schweiz lanciert, als Europa-Premiere. Unsere Vision ist es, dass die Uber-App Teil aller Reisepläne wird. In Zürich sind zum Beispiel auch E-Trottinetts- und E-Bikes Teil davon. Und in London bieten wir neu auch öV-Tickets in der App an.
Ist das auch eine Option für die Schweiz?
Den Fahrplan des Schweizer ÖV haben wir schon in unsere App integriert. Wir diskutieren auch die Möglichkeit des Ticketverkaufs mit verschiedenen Verkehrsunternehmen, etwa den SBB oder der BLS. Es gibt von beiden Seiten ein Interesse daran, die jeweiligen Kundschaften zu erreichen. Ich denke da besonders an Touristen und Geschäftsreisende, die sich mit dem lokalen ÖV-System nicht auskennen. Wenn das Angebot des ÖV in unsere App oder umgekehrt integriert wäre, könnten sie dieses bequem nutzen.
Kannibalisieren Sie damit nicht das eigene Geschäft? Der ÖV in der Schweiz ist sehr gut ausgebaut, eigentlich braucht es Uber gar nicht.
Wir konzentrieren uns nicht auf Menschen, die von Basel nach Zürich mit Uber fahren wollen. Davon gibt es wenige. Aber es gibt verschiedene Bedürfnisse zu verschiedenen Tageszeiten. Manchmal bevorzugen Menschen den ÖV, manchmal den Scooter, manchmal uns - etwa, weil sie im Stress sind oder weil es regnet.
Die Transportunternehmen wollen den Ticketverkauf wenn möglich bei sich behalten. Haben diese überhaupt Interesse an einer Zusammenarbeit mit Uber?
Wir diskutieren das gerade mit ihnen. Wir können auf jeden Fall Erfahrung bieten. In Deutschland und Frankreich arbeiten wir erfolgreich mit ÖV-Betrieben zusammen. Ich glaube, dass es sinnvolle Möglichkeiten gibt, den ÖV und Uber zu kombinieren. Denken Sie etwa an die Nacht, wenn der ÖV häufig nicht verkehrt, oder an Randzeiten, zu denen heute oft halbleere Busse durch die Gegend fahren. Diese Passagiere könnten via Uber transportiert werden. Das wäre effizienter und nachhaltiger.
Eine Idee könnte also sein, dass Städte Uber bezahlen, damit sie zu gewissen Randzeiten kein teures ÖV-Angebot mehr zur Verfügung stellen müssen, sondern Passagiere mit einem normalen Ticket Uber benützen können?
Das wäre eine Möglichkeit, ja. In Frankreich und Deutschland gibt es schon solche «Letzte-Meile»-Projekte, und darüber sprechen wir auch mit den hiesigen ÖV-Unternehmen.
In Zürich, Basel, Winterthur, Zug und Uster können über die Uber-App auch E-Scooter und E-Bikes von Lime gebucht werden. Werden Sie dieses Geschäft ausbauen?
Wir wollen diese Möglichkeit auf weitere Städte ausrollen. In diesem Bereich setzen wir derzeit ausschliesslich auf Lime, aber wenn andere Anbieter auf uns zukommen, sind wir offen. Das gilt auch für Carsharing-Anbieter wie Mobility. In Australien beispielsweise arbeitet Uber bereits mit solchen Firmen zusammen.
Welche weiteren Dienste werden Sie in Zukunft lancieren?
Es geht vor allem darum, den Fahrern mehr Einnahmemöglichkeiten zu schaffen. Viele Kundinnen und Kunden wussten nicht, ob sie ihr Haustier mitnehmen dürfen ins Fahrzeug. Mit Uber Pet ermöglichen wir es Fahrern, dafür 5 Franken mehr pro Fahrt zu erhalten. Wir werden auch bald Uber Share lancieren. Mit dieser Option können Kundinnen und Kunden wählen, ob sie bereit sind, das Fahrzeug mit anderen zu teilen, die Teilstrecken mitfahren.
Welche Vorteile hat dieser Dienst?
Für die Kunden wird eine Fahrt billiger, aber der Fahrer verdient trotzdem gleich viel. Hier spielt der soziale Aspekt eine grosse Rolle: Viele Kundinnen und Kunden schätzen es, dass sie mit anderen Gästen und den Fahrern reden können und diese ihnen unterhaltsame Geschichten erzählen. Auch für viele Fahrerinnen und Fahrer ist der soziale Aspekt entscheidend.
In den letzten Monaten war der Treibstoffpreis hoch, ebenso die Inflation. Wurden die Preise erhöht?
Mit unserer App können Fahrerinnen und Fahrer jederzeit ihre Preise erhöhen, ohne das mit uns absprechen zu müssen. Wer am Freitagabend mehr verlangen will, kann das jederzeit tun. Wir haben keine genauen Daten, aber wir sehen hierzulande weniger Druck auf die Preise als anderswo, auch weil die Inflation vergleichsweise tief ist. Wir helfen den Fahrern zudem, die Kosten zu senken, etwa indem wir ihnen günstige Fahrzeuge vermitteln. Dafür arbeiten wir mit Autoherstellern wie Hyundai und Kia zusammen.
Wie sieht Ihre Strategie bezüglich Elektroautos aus?
Bis 2030 wollen wir in Europa, in den USA und Kanada nur noch elektrisch unterwegs sein. Mit der Option «Uber Green» können Kunden schon heute wählen, dass sie nur ein umweltfreundliches Elektro- oder Hybridfahrzeug wollen. Das wird häufig genutzt. Der Preis ist dabei derselbe.
Kommen auch selbstfahrende Uber-Taxis in die Schweiz?
Hier gibt es grosse regulatorische Hürden. Deshalb werden wir mit Partnern zusammenarbeiten. Wir verfolgen das Thema aufmerksam, aber noch ist nichts spruchreif.
Wie sieht die Nachfrage aus verglichen zu vor der Pandemie?
Global gesehen haben wir uns vollständig erholt. Uber vermittelt heute sogar mehr Fahrten als vor der Krise. Das zeigt, wie stark das Geschäftsmodell ist. Es hilft auch, dass Menschen wieder rausgehen, etwa in Restaurants und Kinos.
Wie sieht es in Sachen Sicherheit aus? Gibt es viele Kundinnen und Kunden oder Fahrer, die eine Maskenpflicht möchten?
In der Schweiz sehen wir das Gegenteil. Die Menschen möchten zurück zur Normalität. Auch im ÖV haben die wenigsten eine Maske an. Bei uns dürfen aber selbstverständlich alle Fahrerinnen und Fahrer und die Kunden eine Maske tragen, die das möchten.
Meldungen von übergriffigen Fahrern schrecken nach wie vor viele Kundinnen ab, ein Uber-Taxi zu buchen. Wie möchten Sie das ändern?
Das Gegenteil ist der Fall: Die Sicherheit ist ein grosser Vorteil von Uber. Die Kundinnen und Kunden kennen den Vor- und Nachnamen der Fahrer und allenfalls der Firma, bei der sie angestellt sind. Wir bieten die Möglichkeit, bei Problemen direkt mit unserer Hotline oder sogar der Polizei zu sprechen. Die App ermöglicht es auch, den eigenen Standort mit Freunden zu teilen, die so jederzeit sehen können, wo man sich befindet. Das gibt es bei anderen Mobilitäts-Angeboten nicht, und schon gar nicht alles in einer App. Gerade aus Sicherheitsgründen wählen viele Uber.
Die Taxi-Branche hat eigene Apps als Alternative zu Uber lanciert - etwa Go! oder Yourtaxi. Dessen Chef Zahangir Alam sagt, bei Uber müssten Fahrer etwa 27 Prozent Kommission zahlen - ohne Sozialabgaben. Bei Yourtaxi sind es nur 10 Prozent. Warum sind die Kommissionen bei Ihnen so hoch?
Die Zahlen sind korrekt. Uber bietet in der App aber viele Angebote, die es anderswo nicht gibt. Und: Wir sind offen, mit Taxi-Firmen zusammenzuarbeiten. Taxifahrer können auch nebenbei mit der Uber-App fahren, um ihr Einkommen aufzubessern, oder eine der anderen Apps zusätzlich nutzen. Uns stört das nicht.
Sie haben lange für Nestlé gearbeitet, eine grosse, traditionelle Schweizer Firma. Nun sind Sie bei einer Silicon-Valley-Firma angestellt. Was sind die Unterschiede?
Bei Nestlé arbeitete ich zwar einige Jahre am Hauptsitz, aber auch sieben Jahre in Afrika. Dort ging es darum, neue Märkte zu erschliessen und das Geschäft aufzubauen. Das war nicht derart traditionell. Uber ist auch eine grosse Firma, aber in den lokalen Märkten wie der Schweiz versuchen wir, den Start-up-Geist hochzuhalten.
Wie teuer war Ihre teuerste Uber-Fahrt?
Ich habe mal 170 Franken bezahlt für eine Fahrt aus den Alpen nach Lausanne.
Und haben Sie jemals etwas in einem Uber-Fahrzeug liegengelassen?
Ich versuche, das zu vermeiden.