164 Kilometer Luftlinie östlich des berühmten Bali liegt die indonesische Insel Lombok. Es ist Mitte August und kahl in Lombok. Die 3,5 Millionen Einwohner der Insel finden sich gerade mitten in der Trockenzeit wieder.
Eine Windböe fegt der Küste im kleinen Örtchen Kuta an der südlichen Küste Lomboks entlang. Sie wirbelt Sand und einen durchsichtigen Plastiksack durch die Luft. Höher und höher steigt er, verschwindet hinter dem nächsten Hügel – und findet schliesslich Halt auf der türkisfarbenen Meeresoberfläche. Risman* folgt dem Zickzack des Sacks mit seinen Augen, seufzt und vergräbt seine Füsse im Sand.
«Der Plastik, er ist einfach überall», sagt der 37-jährige Sasak, wie die Einwohner Lomboks genannt werden, mit einem traurigen Kopfschütteln.
Und tatsächlich: Der Kunststoff, er ist kaum zu übersehen. Am Strassenrand picken die Hühner in achtlos weggeworfenen Styroporboxen herum. Der Sand an den Stränden ist gespickt mit bunten Plastikröhrli und zerfledderten Plastiksäcken.
Vor rund zwei Monaten beschloss Risman, dem ein Ende zu setzen. Gemeinsam mit einer Handvoll Freunden und Freiwilligen gründete er die Organisation Lombok Plastic Free. Ihr Ziel: ein Gesetz zu erwirken, das Einwegplastik von der ganzen Insel verbannt. «Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist», sagt Anton*, Mediensprecher der Organisation.
Zu spät – das war es bereits auf der Nachbarinsel Bali. Vier Millionen Touristen reisen jedes Jahr auf die Insel im Indischen Ozean. Das sind fast so viele, wie Bali Einwohner hat. Der Tourismus ist der mit Abstand wichtigste Devisenbringer. Doch er hat auch seine Schattenseiten. Ende 2017 rief Balis Regierung den Müll-Notstand aus. Die Insel versank im Plastik. 100 Tonnen Abfall mussten täglich von den beliebtesten Stränden Balis abtransportiert werden. Seit Juni 2019 gilt auf der ganzen Insel ein Verbot von Einwegplastik.
«So weit darf es hier nicht kommen. Wir müssen für unsere Insel kämpfen», warnt Anton. Er weiss, wovon er spricht. Viele vergleichen Lombok mit Bali vor dem Sündenfall. Noch gilt die knapp 4800 Quadratkilometer grosse Insel als Geheimtipp, der Tourismus steckt in den Kinderschuhen. Doch das wird sich bald ändern. Investoren haben das grosse Geld gewittert. An der Südküste entlang werden grosse Hotelkomplexe hochgezogen. Mit den Hotels kommen die Touristen – und mit ihnen der Müll.
Eine Petition, lanciert von Lombok Plastic Free, will dem genug früh entgegenwirken. «Wir brauchen mindestens 100’000 Unterschriften, damit die Regierung auf uns aufmerksam wird», erklärt Anton. Doch er betont auch, dass es mehr braucht als nur ein Verbot von Einwegplastik. «Wir müssen in den Schulen und der Bildung ansetzen. Das Verhalten der Menschen muss sich ändern», so der 27-Jährige. Risman und Anton prangern auch ihr eigenes Verhalten und das ihrer Landsleute an.
«Vor 20 bis 30 Jahren haben wir den Reis noch aus Bananenblättern gegessen», erinnert sich Anton. Nach dem Snack wurden die Bananenblätter am Strand liegen gelassen, schliesslich handelte es sich um eine organische Verpackung. Als die Plastikverpackungen kamen – und sie kamen rasant schnell – haben die Leute «einfach so weitergemacht», sagt Anton. Mit dem Unterschied, dass die Verpackungen heute Jahrzehnte brauchen, bis sie abgebaut sind.
Risman und Anton haben einen Traum. Sie stellen sich ein komplett plastikfreies Lombok vor. «Wir wollen, dass sich der Tourismus in Lombok nachhaltig entwickelt», so Risman. Im Küstenort Kuta, wo die beiden wohnen, tingeln sie dafür von Restaurant zu Restaurant und versuchen die Besitzer bereits vor einem allfälligen Plastikverbot davon zu überzeugen, Plastikröhrli mit solchen aus Bambus, Stahl oder Glas zu ersetzen.
Ihr Engagement stösst auf viel Anklang: Sowohl bei Einheimischen als auch bei Touristen und Expats. Zwei Beachcleanings hat Lombok Plastic Free bereits organisiert. Das Aufräumen an den am stärksten verschmutzten Stränden stösst auf reges Interesse. Bis zu 100 Menschen durchkämmten den Sand und befreiten ihn vom Plastik.
Doch Risman und Anton wissen: Im Grunde nützen die Beachcleanings nichts. Der Müll wird vom Meer angeschwemmt. Es erinnert an Sisyphos, den König zu Korinth. Die Flut ist der Gipfel. Mit ihr rollt der Plastik zurück an die Strände – und alles beginnt von vorne.
In der Regenzeit wird es noch schlimmer werden. Dann, wenn sich die ausgetrockneten Flussbette mit Wasser füllen, wird der achtlos weggeworfene Müll in die Meere gespült. Risman und Anton wollen Netze an den Flussmündungen spannen, die den ganzen Kunststoff davon abhalten sollen, die Natur zu verschmutzen und Tieren zu schaden.
Sie tun, was eigentlich Aufgabe der Regierung wäre. Doch diese ist noch nicht so weit. Indonesien, das nach China der zweitgrösste Müllverursacher der Welt ist, beginnt erst langsam zu realisieren, wie gross das Problem wirklich ist. Fehlende Ressourcen und Korruption stehen im Weg. Immerhin: In Lombok hat die lokale Regierung ein Zero-Waste-Programm gestartet.
Doch es wird Jahre dauern, bis die nötige Infrastruktur für Abfalltrennung und Recycling vorhanden ist. Und auch die lokale Bevölkerung muss einen neuen Umgang mit dem Kunststoff lernen. Noch wird der Hausmüll einfach verbrannt. Fährt man frühmorgens durch Kuta, wehen einem beissende Rauchschwaden entgegen. Am Strassenrand mottet der angezündete Plastik und verpestet die Luft.
«Wir leben in einem Drittweltland, es wird einige Zeit dauern, bis es besser wird», sagt Risman mit ernster Stimme. Während eine Handvoll Touristen am Strand von Kuta den malerischen Sonnenuntergang geniesst, wuselt er zwischen den Klippen umher. Er pickt plattgedrückte Bierdosen und Plastikbecher zwischen den spitzen Steinen hervor und packt sie in einen Sack. Energisch schreitet er zum nächsten Abfalleimer, wirft den Müll in dessen Schlund. Hinter ihm wirft die flammend rote Sonne einen kitschigen Schimmer über den Himmel. Er blickt zurück, strafft den Rücken und murmelt: «Wir können das schaffen.»
*Nachname der Redaktion bekannt
Erfahrungsgemäss ist die einheimische Bevölkerung schlimmer als fast jeder Tourist. Überall in Asien stapelt sich der Abfall, weil alles noch 3 fach verpackt wird. Am Mekong hat es bei Tiefwasser mindestens 2 Meter Plastikabfall in jedem Busch und leider sehen inzwischen fast alle Inseln in Südostasien ähnlich aus. Hier sind dringende Massnahmen längst überfällig.