Ein komischer Klumpen. Am Anfang schenkten die Archäologen den korrodierten, zusammengepressten Kupferteilen kaum Beachtung. Zu viel Grösseres hatten sie vor Augen, als im Jahr 1900 Schwammtaucher zufällig auf ein etwa 70 vor Christus gesunkenes Riesenschiff vor der griechischen Insel Antikythera stiessen. Münzen, Amphoren, Schmuck, Möbel sowie bronzene und marmorne Statuen von Philosophen, Göttern, Helden und Pferden – oder zumindest deren Gliedmassen.
Der erste Taucher, der den Schatz sichtete, soll zu seinen Kollegen gesagt haben: Da liegen lauter tote Frauen auf dem Meeresgrund! So gut waren einige der teilweise überlebensgrossen Figuren erhalten geblieben. Der Schatz von Antikythera gehört zu den wichtigsten Funden der Unterwasserarchäologie.
Doch der komische Klumpen erwies sich nach und nach als das eigentlich wichtigste Objekt von allen. Als Gerät von derartiger Komplexität, wie sie in Europa nach langem Vergessen erst wieder in der Renaissance hergestellt werden konnte – rund 1500 Jahre später. Als Maschine von einer technischen Fertigkeit, die man den Griechen bis dahin so nicht zugetraut hatte. «Der Fund dieses Mechanismus schreibt die Geschichte der Technologie neu», sagt der Mathematiker Tony Freeth in einer BBC-Dokumentation.
Mit dem antiken Rechner konnten die alten Griechen die Zyklen von Sonne und Mond sowie den Stand der fünf damals bekannten Planeten – Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn berechnen. Nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft. Und zwar den Stand all dieser Himmelskörper gleichzeitig an x-beliebigen Kalendertagen. Auch Mond- und Sonnenfinsternisse konnte das Gerät voraussagen. Und als einziges nicht astronomisches Phänomen die Daten diverser Olympischer Spiele – für die Griechen genauso herausragende Ereignisse.
Vom Rechner erhalten geblieben sind rund 30 bronzene Zahnräder sowie Reste eines Holzrahmens und einer Abdeckplatte. Viele Teile fehlen. Sie liegen wahrscheinlich noch auf dem Meeresgrund. Insgesamt muss die Maschine aus rund 60 vielfältig ineinandergreifenden Zahnrädern verschiedenster Grössen, in eine Holzschachtel verpackt, bestanden haben. So genau weiss man das erst, seit Wissenschafter 1990 erstmals auf die Idee gekommen sind, den Klumpen mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten.
Nun wird ein grosser Teil des Schatzes von Antikythera zum ersten Mal ausserhalb Griechenlands ausgestellt. Viele Museen weltweit haben sich darum gerissen, das Antikenmuseum Basel hat als einziges den Zuschlag erhalten. «Wir pflegen seit vielen Jahren sehr gute Kontakte zu den Kollegen in Athen», sagt dazu dessen Direktor, Andrea Bignasca.
Die Originalteile des antiken Rechners sind allerdings nicht dabei: Dessen Zahnräder sind zu brüchig für einen Transport; sie bleiben im Archäologischen Nationalmuseum Athens. Das ist aber nicht so schlimm; die Teilchen sind für Laien weiterhin wenig aussagekräftig. Hilfreicher fürs Verständnis sind die Rekonstruktionsversuche und eine 3-D-Videoanimation, die den Besuchern in Basel das Gerät näherbringen werden.
Bis heute bietet der äusserst komplexe Mechanismus viele Rätsel auf, denen Forscher aus aller Welt weiterhin auf der Spur sind. Unklar ist auch, wann genau und von wem er gebaut worden ist. Neuste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass dieser älteste analoge Rechner rund 200 vor Christus gebaut worden ist und auf den Ideen des genialen griechischen Mathematikers Archimedes basiert. Und so ausgereift, wie er ist, kann er kaum der erste seiner Art gewesen sein. Forscher vermuten, dass bereits zuvor etliche ähnliche Maschinen gebaut worden sind.
Das Schiff, mit dem der Mechanismus versunken ist, war auf dem Weg nach Italien gewesen. Die Römer hatten Griechenland militärisch erobert. Nach und nach holten sie sich nicht nur deren Kunst nach Hause, sondern auch deren Wissen und Technik. «Als Eroberer wurden die Römer selbst erobert», sagt Bignasca – von der griechischen Kultur.
Vor einem Jahr hat eine neue Ausgrabung bei Antikythera begonnen, mit neuster Unterwasser-Technologie. «Man weiss, dass es dort unten noch viel mehr gibt», sagt Bignasca. Wahrscheinlich ist diese Ausstellung über Antikytheras Schätze nicht die letzte.
(Nordwestschweiz)