Vor der Küste Südkoreas hat sich am Mittwoch eine der schwersten Schiffskatastrophen der jüngeren Geschichte ereignet. Beim Untergang der Fähre «Sewol» kamen mindestens neun Personen ums Leben. 287 werden vermisst, ihre Überlebenschancen sind gering. Vieles rund um die Havarie ist noch unklar, die Angaben sind teilweise widersprüchlich. Eine Einordnung:
Die 146 Meter lange «Sewol» mit Baujahr 1994 verliess den Hafen von Incheon am Dienstagabend um 21 Uhr Ortszeit mit rund zwei Stunden Verspätung wegen schlechter Sicht. Sie sollte um die Mittagszeit des folgenden Tages auf der Insel Jeju im Süden des Landes ankommen. Jeju ist ein beliebtes Ferienziel, die Insel wird auch als das «Hawaii Südkoreas» bezeichnet.
An Bord befanden sich nach offiziellen Angaben 475 Passagiere und Besatzungsmitglieder, darunter 324 Schülerinnen und Schüler der Danwon High School in Ansan, einem Vorort von Seoul. Sie waren unterwegs zu einem viertägigen Schulausflug auf Jeju.
Um 8.58 Uhr setzte die Besatzung einen Notruf ab. Laut koreanischen Medien soll die Fähre jedoch bereits mehr als eine Stunde zuvor abrupt zum Stillstand gekommen sein. «Das Schiff blieb etwa um 7.40 Uhr plötzlich stehen. Fenster zerbarsten, die Leute konnte sich kaum aufrecht halten», sagte ein Crewmitglied der Nachrichtenagentur Yonhap. Andere Überlebende berichteten von einem dumpfen Geräusch.
Etwa um 8.50 Uhr begann die «Sewol» zu kentern. Um 8.52 Uhr ging bei einer Notrufzentrale der Anruf eines Passagiers ein: «Das Schiff sinkt. Ich weiss nicht, wo wir sind.» Erst sechs Minuten danach erfolgte der Notruf der Crew. Das Schiff neigte sich danach immer stärker zur Seite und sank etwa um 14 Uhr Ortszeit. 179 Personen konnten gerettet werden.
Die Ursache des Unglücks ist unklar. Die Ermittler vermuteten anfangs, das Schiff sei mit einem Felsen kollidiert, ähnlich wie die «Costa Concordia» vor zwei Jahren vor der Insel Giglio. Inzwischen geht die südkoreanische Küstenwache laut der «Korea Times» offenbar davon aus, dass die Ursache im Innern des Schiffes zu suchen ist, genauer im Frachtraum.
In der Gegend des Unglücksorts pflegen Schiffe häufig den Kurs zu wechseln. Die Ermittler vermuten, es könnte zu einer derart abrupten Wende gekommen sein, dass Frachtgegenstände – darunter grosse Container – losgerissen wurden und gegen die Schiffswand prallten. Dabei könnte die Steuerung beschädigt worden sein, und das könnte auch das dumpfe Geräusch erklären.
Experten zweifeln jedoch gemäss der «Korea Times» an der Theorie. Fähren seien so designt, dass sie plötzliche Richtungsänderungen problemlos absorbieren könnten. Die «Sewol» sei innerhalb von wenigen Stunden gesunken, was auf eine durchlöcherte Hülle hindeute. Dadurch habe sich die Fähre schnell mit Wasser füllen können. Also doch ein Felsen? Vermutlich kann erst nach der Bergung des Schiffes geklärt werden, was zum Untergang führte.
Lee Joon-Seok wird bereits mit dem unseligen «Costa Concordia»-Skipper Francesco Schettino verglichen. Der 60-Jährige war als Ferienvertretung für den eigentlichen Kapitän auf der Brücke. Er soll nicht nur den Notruf viel zu spät abgesetzt, sondern auch das Schiff als einer der Ersten verlassen haben, etwa um 9.30 Uhr, zusammen mit sechs weiteren Besatzungsmitgliedern.
Ein solches Verhalten widerspricht dem internationalen Seerecht und wäre mit jenem von Schettino vergleichbar. «Ich schäme mich. Es tut mir für die Familien der Passagiere so leid», sagte Lee am Donnerstag vor Reportern. Er wisse nicht, was er sagen solle. Gegenüber der Zeitung «Dong A Ilbo» sagte er zur Unglücksursache: «Die Fähre ist plötzlich gesunken. Ich weiss nicht weshalb. Ich habe keinen Felsen gerammt.»
Ein Hauptvorwurf an Kapitän und Crew lautet, die Passagiere nicht nur im Stich gelassen, sondern auch ihre Rettung viel zu spät eingeleitet zu haben. «Bewegt euch nicht, es ist gefährlich», sei über die Lautsprecher durchgegeben worden, berichteten Überlebende gemäss CNN. «Man sagte uns, wir sollen bleiben wo wir sind, also taten wir das», sagte ein geretteter Passagier. Dann jedoch sei das Wasser immer stärker angestiegen. «Kinder schrien vor Angst um Hilfe.»
Nur wer sich den Anweisungen widersetzte und vom Schiff ins Wasser sprang, hatte demnach die Chance zu überleben. Für ein Versagen der Besatzung spricht auch die Tatsache, dass offenbar nur eine Rettungsinsel schiffbar gemacht wurde.
Am Donnerstag herrschte im Unglücksgebiet schlechtes Wetter. Auch starke Strömungen im Meer behindern die Suche nach möglichen Überlebenden. Drei Taucher, die es auf eigene Faust versuchten, wurden sofort weggetrieben. Noch besteht eine gewisse Hoffnung, dass sich einige Vermisste in Luftblasen retten konnten. Doch eine Wassertemperatur von nur zwölf Grad macht es zunehmend unwahrscheinlich, dass viele der 287 Vermissten noch am Leben sind.
Die südkoreanische Staatspräsidentin Park Geun Hye sagte nach einem Besuch am Unglücksort, angesichts des kalten Wassers sei «jede Minute kritisch, falls es Überlebende gibt». Bei den Familien der Opfer wächst die Wut auf Behörden und Reederei, vor allem bei den Eltern der Schülerinnen und Schüler aus Ansan. Ministerpräsident Chung Hong-Won (im Bild links) wurde von aufgebrachten Angehörigen mit einer Wasserflasche beworfen, als er sich mit ihnen treffen wollte.