Heute morgen beginnt in Genf der zweite Prozess gegen den mutmasslichen Mörder der Genfer Sozialtherapeutin Adeline. Die Verhandlung muss komplett neu aufgerollt werden, weil die bisherigen Richter wegen Befangenheit in den Ausstand treten mussten.
Der 42-jährige Angeklagte ist wegen Mordes, Freiheitsberaubung, sexueller Nötigung und Diebstahls angeklagt. Der französisch-schweizerische Doppelbürger riskiert eine lebenslängliche Verwahrung. Die Diskussionen darüber hatten im letzten Oktober dazu geführt, dass sämtliche sieben Richter in den Ausstand gesetzt wurden.
Der Angeklagte hatte im ersten Prozess im Oktober 2016 nicht bestritten, dass er der 34-jährigen Sozialtherapeutin Adeline am 12. September 2013 während eines Freigangs die Kehle durchschnitten hatte. Die psychiatrischen Gutachter machten beim Täter ein hohes Rückfallrisiko aus. Die beiden französischen Experten lehnten es allerdings im Gegensatz zum Gutachten von zwei Schweizer Psychiatern ab, Prognosen zur Heilbarkeit des Angeklagten abzugeben.
Streitpunkt lebenslange Verwahrung
Die Richter zeigten sich wenig überzeugt von den Schlussfolgerungen der Gutachter. Sie ordneten zur allgemeinen Überraschung während des laufenden Prozesses an, dass ein drittes psychiatrisches Gutachten einzuholen sei. Aus diesem Grund sei der Prozess auszusetzen.
Die Verteidigung wehrte sich gegen dieses Vorgehen und sprach von einer Befangenheit der Richter. Diesen passe wohl das Gutachten der Franzosen nicht, kritisierte die Verteidigung. Um eine lebenslange Verwahrung aussprechen zu können, braucht es zwei unabhängige Gutachten, die grundsätzlich zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen.
Die Berufungskammer des Strafgerichts kam im Januar dann zum Schluss, dass das Vorgehen des Gerichts tatsächlich an seiner Unbefangenheit zweifeln lasse. Aus diesem Grund müssten sämtliche Richter in den Ausstand treten und der Prozess neu aufgerollt werden.
Die neu bestellten Richter, darunter Gerichtspräsident Fabrice Roch, werden wieder bei Null anfangen müssen. Sie werden beispielsweise den Angeklagten neu befragen, ebenso wie die Psychiater. Der Prozess dauert mehrere Tage. Wann das Urteil gesprochen wird, ist noch nicht klar.
Neue Zeugenaussagen möglich
Möglich ist, dass diesmal auch Zeugen vorgeladen werden, die beim Prozess im letzten Oktober aus medizinischen Gründen dispensiert waren, so etwa die ehemalige Direktorin des Zentrums «La Pâquerette». Sie war überzeugt vom Konzept der Resozialisierung und mitverantwortlich für den fatalen, begleiteten Freigang des Angeklagten. Dieser war wegen zweier Vergewaltigungen in den Jahren 1999 und 2001 bereits zu insgesamt 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Der Mord an Adeline und der lockere Umgang mit gefährlichen Sexualstraftätern hatte in der Schweiz eine Welle der Empörung ausgelöst. Das Verbrechen an der jungen Mutter eines acht Monate alten Babys geschah nur gerade vier Monate nach dem Tötungsdelikt an der 19-jährigen Marie im Kanton Waadt, die ebenfalls von einem rückfällig gewordenen Sexualstraftäter getötet worden war.
Der Mörder von Marie wurde im März 2016 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe und einer lebenslänglichen Verwahrung verurteilt. Ein Rekurs ist beim Bundesgericht aber noch hängig. (sda)