Werner Boller* war loyal. Vier Jahrzehnte lang. Fast sein ganzes Berufsleben arbeitete er in derselben Firma, ging durch alle Stürme hindurch. Und auch durch alle Abteilungen: vom Telefonverkäufer bis zum Logistikchef.
Er blieb, als andere gingen. Lernte, wuchs und passte sich an. Und wurde dann einfach aussortiert. «Ich fühlte mich wie ein Müllsack, den man vor die Türe stellt», sagt der mittlerweile 63-Jährige gegenüber watson.
Seit zwei Jahren ist Boller ohne Festanstellung. «Ich hätte nicht gerechnet, dass es mich einmal so treffen könnte.»
Es war ein Morgen, wie jeder andere, als ihn die Nachricht traf. Die Firma müsse europaweit 200 Stellen abbauen, hiess es. Bei Tausenden Mitarbeitenden nicht viel, aber genug, um Bollers Name auf der Lohnliste zu streichen. «Es kam für mich total unerwartet, ein Riesenschock», sagt er. Das zu verdauen, habe gedauert.
Sein Job wurde, wie er später erfuhr, ausgelagert: zu Teilen nach Deutschland, Österreich, Slowenien. Über den Kündigungsgrund kann er nur mutmassen: «Ich war vermutlich zu teuer. Und ich sagte offen, dass ich über eine Frühpensionierung nachdachte. Das hat wohl gereicht», sagt Boller.
Weil er seinem Arbeitgeber mitteilte, dass er mit einem Anwalt die Situation abklären wolle, wurden ihm schliesslich sechs ausbezahlte Monatsgehälter angeboten, zusätzlich zur Kündigungsfrist von vier Monaten. «Ohne etwas Druck hätten sie das vermutlich nicht gemacht, obwohl meine Kündigung laut der Rechtsberatung als missbräuchlich galt», sagt er.
Boller meldete sich sofort beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) an und absolvierte ein Bewerbungscoaching. Schliesslich hatte er keine Ahnung mehr, wie das funktionierte. «Für den Kurs war ich dankbar.» Noch in der Kündigungsfrist begann er, Bewerbungen zu schreiben. Zehn pro Monat seien vorgegeben gewesen. Über 150 Bewerbungen hat er inzwischen verschickt – keine einzige führte zu einem festen Job.
Auch eine Frühpensionierung kam mit 61 noch nicht infrage. Bei einem Termin mit seinem Bankberater wurde ihm vorgerechnet, dass es finanziell knapp würde. Also bewarb er sich weiter – erfolglos. «Es hagelte Absagen.» Doch dann kam ein Personalvermittler auf ihn zu und so kam Boller zu einem befristeten Zwischenverdienst im Logistikbereich, für den er qualifiziert war.
Zuerst für zwei Monate, zu 50 Prozent. Der Job wurde dann mehrmals verlängert. Schlussendlich arbeitete er 15 Monate zu rund 80 Prozent in diesem Betrieb. Trotz des Zwischenverdienstes musste er während der gesamten Zeit jeden Monat acht Bewerbungen verschicken, damit ihm die Arbeitslosenkasse den Ausgleich bezahlte.
Ende Januar dieses Jahres lief die befristete Anstellung aus: Boller war wieder arbeitslos. Einen neuen Job fand er bisher nicht. Nur einmal schien es fast zu klappen. Ein Personalchef habe ihn sympathisch gefunden – und offen zugegeben, dass der Job wegen des niedrigen Stundenlohns von 18 Franken für Jüngere kaum attraktiv sei. «Dann sagte er aber, er dürfe niemanden über 55 einstellen – interne Weisung.»
Boller kann das nicht verstehen: «Du bist bereit, alles zu geben. Würdest auch für wenig Lohn arbeiten. Aber niemand will dich.» So bleibe ihm nur das Arbeitslosengeld. Weil er während 15 Monaten befristet arbeiten konnte, konnte er «immerhin Taggelder sparen». Deshalb stünden ihm 520 Taggelder zur Verfügung.
Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft haben Personen ab 55 Jahren bei einer Beitragszeit von mindestens 22 Monaten Anspruch auf 520 Taggelder sowie auf zusätzliche 120 Taggelder, sofern sie innerhalb der letzten 4 Jahre vor dem Erreichen des AHV-Rentenalters arbeitslos werden – daraus ergibt sich ein maximaler Anspruch auf 640 Taggelder.
Was nach den Taggeldern komme, wolle niemand. «Dann bleibt nur noch der Gang zum Sozialamt», sagt Boller. Doch wer noch früher als er den Job verliere, könnte das fast nicht verhindern. «Deshalb ärgert mich die Debatte um das Rentenalter.»
Um die AHV zu entlasten, will der Bundesrat Frühpensionierungen finanziell unattraktiver machen und die Menschen dazu bewegen, freiwillig länger zu arbeiten, indem das Höchstalter 70 fallen soll. Für Boller ist das «eine Diskussion, die an der Realität vorbeigehe». Er sagt: «Wer bis 65 angestellt ist, kann vielleicht noch weiterarbeiten. Aber wer vorher rausfliegt, hat kaum mehr eine Chance. Da bleibt oft nur die Frühpensionierung, die sollte man nicht auch noch erschweren.»
Er kenne viele, denen es ähnlich erging. Männer, die mit 56, 58, 60 auf die Strasse gestellt wurden. Boller vermutet, dass es daran liege, dass sie zu teuer wurden. Aber nicht unbedingt wegen des Lohns, sondern wegen des BVG-Anteils. Ab 55 zahlen Unternehmen 18 Prozent. Von 25 bis 35 sind es 7 Prozent. «Das macht Loyalität teuer.» Trotzdem verstehe er, dass die Jungen auch keine Angleichung der Prozentsätze wollen, weil sie dann weniger Lohn ausbezahlt bekämen.
Und doch findet Boller: «Irgendeine neue Lösung braucht es. Vielleicht tut sich der Bundesrat gut daran, eine neue Finanzierungsquelle zu finden. Möglicherweise eine Art Quersubvention?» Auch wenn er selbst davon nicht mehr profitieren werde.
Noch 1.5 Jahre dauert es, bis er pensioniert wird. Bis dahin schreibt er weiter jeden Monat Bewerbungen – und fragt sich manchmal, was Loyalität heute noch wert ist.
Doch er gibt die Hoffnung nicht auf: «Ich möchte noch kein Rentner sein. Das Leben ohne Job ist ein Wechselbad der Gefühle. Und vielleicht habe ich ja nochmals Glück.»
*(Name von der Redaktion geändert)
Und ja, Loyalität zählt nicht viel. Der Arbeitgeber ist nicht dein Freund, du hast eine reine Zwecksbeziehung mit ihm.
Ihm hat man dann noch gesagt so hätte er nun mehr Zeit für seine kranke Frau zu Hause.
Als wären die Behandlungen und Medikamente etc. selbstzahlend🙄
Jahre später wurden dann die selbigen mittlerweile pensionierten Mitarbeiter angefragt ob sie im Stundensatz aushelfen wollen, da alte Aufträge rein kamen und keiner das nötige Wissen dafür hatte.
Und das von einer grossen und doch bekannten Firma.