Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro gerät wegen Betrugsvorwürfen bei der Wahl der 545 Mitglieder einer verfassungsgebenden Versammlung immer stärker unter Druck. Die Generalstaatsanwaltschaft forderte am Donnerstag die Annullierung der Wahl.
Die Behörde reichte vor Gericht einen Antrag ein, um die für Freitag geplante Konstituierung der Versammlung zu verhindern. Dies teilte sie über Twitter mit. Die Generalstaatsanwaltschaft begründete den Antrag mit dem Verdacht auf Manipulationen bei der Wahl am Sonntag.
Bereits am Mittwoch (Ortszeit) hatte die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz die Einleitung von Ermittlungen gegen die regierungstreue Wahlkommission bekannt gegeben. Ortega stand lange auf der Seite Maduros, ist nun aber zur erbitterten Gegenspielerin geworden.
«Zwei Staatsanwälte ermitteln in diesem Betrugsfall, nach einer Anzeige von Smartmatic», teilte Ortega Díaz mit. Sie bezeichnete die Einschätzung des Wahlmaschinenherstellers als «ein weiteres Element dieses betrügerischen, illegalen und verfassungsfeindlichen Prozesses».
Die für die Wahlcomputer zuständige britische Firma sagt, dass die Wahlbeteiligung massiv manipuliert worden sei. Es hätten nicht die offiziell verkündeten 8.1 Millionen Menschen abgestimmt. Einige Schätzungen gehen von 2.4 bis knapp vier Millionen Menschen aus.
Dies entspräche einer Wahlbeteiligung von 12 bis 20 Prozent. Wahlberechtigt waren 19.4 Millionen. Die 545 Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung könnten das Land zur Diktatur umbauen, sagt Smartmatic.
Maduro kontert Vorwürfe
Maduro wies die Vorwürfe zurück und bezeichnete sie als eine «Reaktion des internationalen Feindes». Ähnlich reagierte die regierungstreue Wahlbehörde: Die Anschuldigungen seien «unverantwortlich», erklärte Behördenchefin Tibisay Lucena.
Der Wahlbeteiligung kommt enorme Bedeutung zu. Sie ist Gradmesser für den Rückhalt zu den von der Opposition bekämpften Plänen.
Noch hat das Gremium die Arbeit nicht aufgenommen - wegen der Turbulenzen um die in London gemachten Enthüllungen verschob Maduro die Auftaktsitzung der Versammlung auf Freitag. Auch die Opposition verschob ihren für Donnerstag geplanten Protestmarsch auf diesen Tag.
Jetziges Parlament vor Entmachtung
Die verfassungsgebende Versammlung wird eine Art Parallel-Parlament, das jetzige Parlament wäre entmachtet. Es wird erwartet, dass das Land mit den grössten Ölreserven der Welt im Zuge der Reform hin zu einer Diktatur ohne Gewaltenteilung umgebaut werden könnte.
Maduro will auch härtere Strafen, die Justiz könnte noch stärker kontrolliert werden. Zudem soll die Immunität der bisherigen Abgeordneten aufgehoben werden: damit könnten Oppositionspolitikern, die Proteste gegen Maduro organisieren, lange Haftstrafen drohen.
Die 545 Mitglieder sollen die Verfassung reformieren und werden in der Nationalversammlung tagen. Dort hat das Parlament aber seinen Sitz, in dem das aus 20 Parteien bestehende Oppositionsbündnis «Mesa de la Unidad Democrática» über eine klare Mehrheit verfügt.
Als Kandidatin für den Vorsitz der Versammlung gilt Maduros Ehefrau Cilia Flores. Es gibt fast nur Vertreter des Regierungslagers im Gremium. Unklar ist, was mit den bisherigen Abgeordneten passieren soll. Die Opposition rief zur Verteidigung des Parlaments auf.
USA prüfen Erdöl-Importstopp
Weltweit reisst die Kritik am Vorgehen des linksnationalistischen Staatschefs in Venezuela nicht ab. Die USA als grösster Abnehmer prüfen einen Importstopp für Erdöl. Zudem wurde Maduro mit Finanzsanktionen belegt und mögliche Vermögen in den USA eingefroren.
US-Präsident Donald Trump nennt Maduro einen Diktator. Auch die EU prüft Sanktionen. Gemeinsam mit den USA erkennt sie die Versammlung nicht an. EU und US-Regierung fordern zudem, alle politischen Gefangenen freizulassen.
Seit Anfang April wird das von einer schweren Wirtschaftskrise getroffene Venezuela durch Unruhen erschüttert. Die konservative Opposition kämpft für die Absetzung Maduros. Im Verlauf der gewaltsamen Auseinandersetzungen wurden bereits mehr als 125 Menschen getötet. (sda/dpa/afp/reu)