Andrang am Rednerpult wegen Selbstbestimmungsinitiative

Andrang am Rednerpult wegen Selbstbestimmungsinitiative

30.05.2018, 05:0830.05.2018, 05:08

Der Nationalrat berät heute Mittwoch über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Zur Debatte steht auch ein Gegenvorschlag, der von Teilen der CVP und der FDP unterstützt wird. Das Thema bewegt: Rund 80 Ratsmitglieder haben sich auf der Rednerliste eingetragen.

Den Initianten geht es primär um Volksentscheide. Diese sollen umgesetzt werden, auch wenn eine angenommene Initiative gegen internationales Recht verstösst. Mit der Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» will die SVP festlegen, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht Vorrang hat - unter dem Vorbehalt von zwingenden Bestimmungen wie dem Folterverbot.

Völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, müsste die Schweiz neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Für das Bundesgericht sollen zudem nur noch jene Verträge massgebend sein, die dem Referendum unterstanden.

Unverlässlicher Partner

Im Ständerat war die Initiative chancenlos, und auch die Staatspolitische Kommission des Nationalrates stellt sich dagegen. Die Schweiz habe als Kleinstaat ein grosses Interesse an der Einhaltung völkerrechtlicher Regeln, argumentieren die Gegnerinnen und Gegner. Die Initiative würde den Ruf der Schweiz als verlässlicher Partner gefährden.

Umstritten ist die Frage, ob dem Stimmvolk ein Gegenvorschlag vorgelegt werden soll. Der Ständerat lehnte das mit 27 zu 15 Stimmen ab, die Nationalratskommission mit 14 zu 11 Stimmen.

Vorrang unter Bedingungen

Gemäss dem Vorschlag, der im Nationalrat zur Diskussion steht, hätte das Landesrecht dann Vorrang vor dem Völkerrecht, wenn der Verfassungs- oder Gesetzgeber bewusst vom Völkerrecht abgewichen ist und die völkerrechtliche Norm nicht dem Schutz der Menschenrechte dient.

Im Ständerat stand eine Version zur Diskussion, die nicht nur ein bewusstes, sondern ein ausdrückliches Abweichen vom Völkerrecht zur Bedingung gemacht hätte. Der Gegenvorschlag ist nahe an der sogenannten Schubert-Praxis des Bundesgerichts.

Gegen starre Kollisionsregel

Die Befürworter argumentieren, diese Praxis werde faktisch nicht mehr angewendet. Deshalb wäre es sinnvoll, sie in der Verfassung zu verankern. Die Gegner warnen, der Gegenvorschlag hätte die gleichen negativen Auswirkungen wie die Initiative.

Ein pragmatischer Umgang mit Normenkonflikten ist aus ihrer Sicht sinnvoller als eine starre Kollisionsregel. Es gebe einen guten Grund dafür, dass die Schubert-Praxis nicht in der Verfassung verankert sei, hiess es im Ständerat.

«Nachtruhe, ausser wir feiern»

Daniel Jositsch (SP/ZH) verglich die aktuelle Situation mit einer Hausordnung, in der steht, dass um 22 Uhr Nachtruhe herrscht. Findet ein Geburtstagsfest statt, wird aber ein Auge zugedrückt. Die Verfechter des Gegenvorschlags wollten nun gewissermassen eine Hausordnung, in der stehe: «Nachtruhe ist um 22 Uhr, ausser wir feiern.»

Das bedeute aber, dass es in diesem Haus eigentlich keine Nachtruhe gebe, stellte Jositsch fest. Mit dem Gegenvorschlag würde - wie mit der Initiative - in die Verfassung geschrieben: «Wir halten Verträge ein, ausser wir wollen mal nicht.»

Keine echte Klärung

Der Bundesrat hatte die Initiative ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Aus seiner Sicht wäre bei einem Ja zur Initiative vieles unklar. Zum Beispiel bliebe offen, wann Verträge gekündigt werden müssten. «Das haben wir schon bei der Masseneinwanderungsinitiative erlebt», sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga im Ständerat.

Sie wies auch darauf hin, dass die Selbstbestimmungsinitiative im Fall dieser Initiative nichts ändern würde, da die Personenfreizügigkeit dem Referendum unterstand. Für das Bundesgericht wäre der Vertrag also weiterhin massgebend.

Reaktion auf Urteil

Eine Annahme der Selbstbestimmungsinitiative könnte aus Sicht der Gegnerinnen und Gegner indes dazu führen, dass die Schweiz Bestimmungen der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) nicht mehr anwenden müsste, da diese nicht dem Referendum unterstand.

Auslöser für das Volksbegehren war ein Urteil des Bundesgerichts zur Wegweisung eines Ausländers. Das Bundesgericht hielt darin fest, es sei in der Beurteilung von Ausschaffungsfällen trotz Annahme der Ausschaffungsinitiative an die EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden. (sda)

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