Einmal nach Bern ins Bundeshaus: Wie Einheimische wollen auch Touristen aus dem Ausland sehen, wo die Schweizer Politik gemacht wird. Die mit Anekdoten angereicherten Führungen zu Politik, Architektur, und Geschichte stossen auf viel Interesse.
Sightseeing an einem Ort, wo andere arbeiten. «Bitte treten Sie näher, damit der Durchgang frei bleibt», fordert Parlamentsführer Nicholas Rüegg von den Parlamentsdiensten seine Gruppe auf Englisch auf. Die rund drei Dutzend Besucher bewegen sich fast lautlos auf den weichen Teppichen in der Kuppelhalle des Parlamentsgebäudes.
«Ein wenig wie Asterix»
Figuren, Skulpturen und Bilder erklären die Schweizer Geschichte, Wirtschaft und Gesellschaft - immer vom Standpunkt von 1902, dem Jahr, in dem das Parlamentsgebäude eröffnet wurde. Einige Handykameras richten sich auf die drei mächtigen Eidgenossen über dem Treppenaufgang - sie wiegen zusammen 24 Tonnen.
Danach gilt es, zu raten, welcher der vier Landsknechte auf den Treppenpfosten für die französischsprachige Schweiz steht. Ratlos schauen sich die Menschen um. «Der hier, vorne rechts», löst Rüegg seine Frage schliesslich selbst auf: «Der ähnelt mit seinem Schnurrbart doch Asterix ein wenig.» Schmunzeln im Publikum.
Weiter geht es in den Ständeratssaal - in den Vorzimmern mit der eindrücklichen Prägetapete wird im Vorbeigehen rasch das Handy zum Fotografieren gezückt. Dass die 46 Ständevertreter und -vertreterinnen mehrsprachig und das ohne Dolmetscher verhandeln, erntet ein paar verhaltene «Ahs» und «Ohs».
Heiterkeit im Nationalratssaal
Die Gäste dürfen sich in die Sessel der Ratsmitglieder setzen und erfahren nun, dass die Schweiz zwar eine der ältesten Demokratien Europas ist, aber eine der letzten vollständigen, wie Rüegg mit Verweis auf das Frauenstimmrecht sagt. «Wann ist es eingeführt worden?», will ein Herr zum Stimmrecht für die Frauen noch wissen.
Erklären muss Rüegg auf die Frage einer Asiatin auch, wie die beiden Kammern ihre Differenzen aushandeln. Und ein Besucher fragt nach, wie man Ratspräsidentin oder Ratspräsident wird. «Bitte stellen Sie die Stühle sorgfältig zurück. Es geht weiter», sagt Rüegg nach den Antworten.
Heiterkeit im Nationalratssaal: Rüegg hat soeben die technische Installation an den Pulten erklärt, die verhindern sollen, dass jemand schummelt und für den Sitznachbarn mit abstimmt. Namen nennt er dabei nicht. Und wer weiss, dass sich auf dem Gemälde von der Rütliwiese an der Stirnseite des Saales ein Fisch verbirgt?
Fisch im Fels
Rüegg erklärt den Besuchern, dass sich der Genfer Künstler Charles Giron hier dem Hörensagen nach einen «Poisson d'avril», einen Aprilscherz, erlaubt habe: Weil dem Architekten der in den Wolken platzierte nackte Friedensengel mit dem Olivenzweig missfallen habe, habe sich Giron mit dem Fisch in der Felswand ob dem Rütli gerächt.
Falscher Marmor - «die Schweiz war nicht immer so reich wie heute», sagt Rüegg dazu - beschäftigt die Gäste in der ungewöhnlich leeren und stillen Wandelhalle. «Hier treffen sich Parlamentarier, Bundesräte, Lobbyisten und Journalisten», sagt Rüegg. «In der Schweiz kennt deshalb jeder die Wandelhalle aus dem Fernsehen.»
Rüegg stellt die Darstellungen der sechs Tugenden vor, die Politikerinnen und Politiker verfolgen sollen: Wahrheit, Weisheit, Patriotismus, Wohlstand, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Eine Anekdote besage, dass dem Land alles gelinge, wenn sich Politiker und Volk gleichermassen an diese Tugenden hielten.
Die Darstellung des Fremdenverkehrs als Wirtschaftszweig zeigt den Wandel seit 1902: Während das Wandgemälde als Gäste einen Deutschen, einen Franzosen, einen Engländer und ganz zuhinterst ein Gesicht mit asiatischen Zügen darstellt, ist es heute umgekehrt: Die Mehrheit der Besucher stammt aus Asien, eine Minderheit hat europäische Gesichtszüge.
«Keine Führung ist wie die andere»
Es sei eher eine ruhige Gruppe gewesen, sagt Nicholas Rüegg nach der Führung. Manchmal würden sehr viel mehr Fragen gestellt und es gebe auch engagierte Diskussionen, etwa über das Frauenstimmrecht und die Neutralität. Oder es ergäben sich Gespräche über Schweizer Vorfahren und Auswanderer. «Keine Führung ist wie die andere.»
Rund 100'000 Menschen pro Jahr sehen sich das Parlamentsgebäude an; Touristen kommen vor allem in den Monaten Juli und August. Dann sind die Rundgänge praktisch immer ausgebucht. (sda)