Ab heute dürfen Insekten legal auf Schweizer Tellern landen. Trotzdem werden Heuschrecken-Häppchen in Restaurants und tiefgefrorene Mehlwurmburger in Einkaufsläden zu Beginn eher die Ausnahme als die Regel sein. Vielerorts herrscht Zurückhaltung.
Bereits Aristoteles huldigte dem Verzehr von Zikadenpuppen. Weltweit essen rund zwei Milliarden Menschen regelmässig Insekten. Nach langem Zögern des Bundesrats dürfen die proteinreichen Tierchen nun auch in der Schweiz als Lebensmittel angeboten werden.
Die Produzenten und Händler von Insekten stehen in den Startlöchern. Doch ein Boom nach der Delikatesse ist kurz- und mittelfristig nicht zu erwarten. Das legt eine Umfrage der Nachrichtenagentur sda bei Detailhändlern, Gastronomen und Marktforschern nahe.
Nur Versuchsbetrieb
Der Gastronomiekonzern SV Group mit schweizweit rund 330 Betrieben macht sich gemäss eigenen Angaben «für nachhaltige Ernährung» stark und beobachtet «die neusten Entwicklungen» mit Interesse. Mögliche Produkte auf Basis von Insekten würden aber erst evaluiert. Insektengerichte gebe es vorderhand nur versuchshalber.
Bezüglich Nachfrage zeigt sich der Kantinenbetreiber wenig optimistisch: «Mittelfristig denken wir, dass es wohl noch etliche Zeit brauchen wird, bis Insektenmenüs tatsächlich mehrheitsfähig sind», sagt SV-Group-Sprecherin Manuela Stockmeyer.
Gegen Insekten auf dem Teller spreche vor allem eines: der Ekel, den viele Menschen verspürten. Aber auch der Geschmack, der sich so gar nicht festhalten liesse, sei ein triftiges Gegenargument. Deshalb müssten die Produkte längerfristig von Aussehen, Geschmack und der Konsistenz her überzeugen, sagt Stockmeyer. «Das ist aber eine längere Geschichte, die nicht von heute auf morgen geschieht.»
Ungewohnte Kost hat es schwer
Auch weitere Gastronomen beobachten zuerst einmal, was nach der Freigabe der drei Insektenarten (Mehlwurm, Grille und Wanderheuschrecke) auf dem Markt geschehen wird. Die Umfrage der sda zeigt: Fast kein Gastronom möchte seinen Gästen mit Insektenmenüs die Lust aufs Essen vermiesen.
Der Branchenverband GastroSuisse schreibt auf Anfrage, dass es offen sei, «ob und inwiefern der Gast ein Interesse an solch ungewohnter Kost entwickeln wird». Der Umgang mit Insektenprodukten für den Verzehr werde in unserem Kulturkreis wohl eher anspruchsvoll sein.
GastroSuisse geht davon aus, dass die Insektenküche vorerst eher ein Nischenmarkt sein wird. Massgebend werde dabei auch das Verhalten grosser Zulieferer sein.
Sushi nährt Hoffnung
Der grösste solche Zulieferer in der Schweiz ist derzeit die Firma Entomos im luzernischen Grossdietwil. Sie produziert Insekten als Lebensmittel und bereitet sich seit sieben Jahren auf die Marktlancierung vor. Geschäftsführer Urs Fanger hat derzeit alle Hände voll zu tun. «Es läuft unglaublich viel.»
Im Gegensatz zu den Gastronomen strotzt Fanger vor Zuversicht. «Das Potenzial ist gross», sagt er der sda. Er belegt dies mit Ergebnissen aus der Marktforschung. Demnach zeigen sich zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung bereit, Insekten zu essen. Wenn diese 800'000 Menschen im Jahr hundert Gramm solcher Produkte ässen, ergebe dies ein Potenzial von achtzig Tonnen, sagt Fanger.
Dass rund die Hälfte der Bevölkerung angibt, erst einmal abzuwarten, beunruhigt Fanger nicht. Zwar werde es noch Generationen dauern, bis Insektengerichte zum Standard gehörten. Das sei aber normal. Das Beispiel Sushi, das vor Jahrzehnten eingeführt wurde und sich heute im Markt etabliert hat, zeige: «Ähnlich könnte es sich mit den Insekten verhalten.»
Teure Delikatesse
In verschiedenen Reaktionen oft kritisch bewertet wird der Preis. Gute Insektenprodukte sind relativ teuer. Ein Kilo Mehlwürmer aus der EU kostet rund dreissig Franken. Der Kilopreis bei Grillen liegt bei rund 120 Franken, bei Heuschrecken bei rund 160 Franken.
Laut Fanger ist Schweizer Ware zurzeit etwa drei Mal teurer. Dies werde sich aber ändern: «Mit steigender Nachfrage können auch die Schweizer Insekten günstiger hergestellt und angeboten werden.» Eine Prognose in Sachen Umsatz- und Verkaufszahlen wagt der Geschäftsführer von Entomos nicht.
Die Konkurrenz aus dem Ausland sei vorhanden, sagt Fanger. «Es wird aber nur wenigen gelingen, legal in die Schweiz zu importieren.»
Coop fliegt auf Insekten
Grossverteiler Coop, der in den kommenden Wochen die ersten Insektenprodukte in seinen Regalen anbieten wird, bezieht die Ware vom Start-up-Unternehmen Essento. Dieses greift auf Insekten von Partnern in Holland und Belgien zurück, wie Essento-Mitgründer Christian Bärtsch auf Anfrage sagt.
Er erwartet «von Beginn weg ein grosses Interesse an den Produkten». Anfänglich würden die Spezialitäten wohl vor allem von besonders probierfreudigen und interessierten Menschen gekauft. Bärtsch hofft vor allem aufs urbane Umfeld.
Coop will frühzeitig auf den Trend aufspringen. «Es gibt einige Kunden, welche an kulinarisch interessanten Neuheiten interessiert sind», sagt Sprecher Ramón Gander. Er geht davon aus, «dass Insekten auch in der Schweiz Teil der normalen Ernährung werden». Coop bietet zu Beginn einen Burger und Hackbällchen auf Insektenbasis an.
Schlechte Erfahrungen in Belgien
Etwas zurückhaltender ist die Migros. «Wir werden das Thema Insekten für die menschliche Ernährung weiter verfolgen und zu gegebener Zeit entscheiden», teilt Sprecherin Monika Weibel auf Anfrage mit. Es sei schwer zu beurteilen, wie gross die Nachfrage nach Insektenmenüs sein werde. «Einen Hype erwarten wir nicht.» Auch Discounter wie Aldi, Lidl und Volg verzichten laut der «Handelszeitung» vorerst auf Insektenprodukte.
Die vielerorts ausgeprägte Zurückhaltung fusst auch auf Erfahrungen in anderen Ländern, wie Thomas Brunner von der Berner Fachhochschule vermutet. «In Belgien zum Beispiel, wo es Insektenlebensmittel schon länger im Supermarkt gibt, hat man gesehen, dass das Interesse daran sehr schnell wieder einschlief.» In Bewertungen schnitten die Produkte mittelmässig ab. «Das war einfach nicht gut genug.»
Möglich wäre laut dem Forscher, Insektenprodukte zunächst in Sushi-Restaurants anzubieten. Wenn sie dort überzeugten, könnten sie den Sprung auch zu den etwas zurückhaltenderen Konsumenten schaffen. Denn sicher ist: Mit über 2000 bekannten essbaren Arten gäbe es zumindest hinsichtlich Variationen viel Potenzial für weitere Insektenmenüs. (sda)