Trotz der Rücknahme eines umstrittenen Dekrets zur Strafminderung bei Korruption haben am Sonntagabend erneut zehntausende Menschen gegen die rumänische Regierung demonstriert.
Fast 100'000 Demonstranten versammelten sich auf dem Siegesplatz in Bukarest, wo sich der Regierungssitz befindet. Sie kündigten an, das weitere Vorgehen der Regierung genau zu beobachten, denn für die Demonstranten war die Aufhebung der Verordnung nur ein Teilsieg.
Vor dem Präsidentensitz in Bukarest versammelten sich unterdessen rund 1200 Anhänger der Regierung. Sie riefen den konservativen Staatspräsidenten Klaus Iohannis zum Rücktritt auf. Auf Transparenten nannten sie Iohannis einen «Verräter». Dieser hatte sich den Protesten gegen das Vorhaben der linksgerichteten Regierung angeschlossen.
Der Parteichef der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, reagierte am Sonntagabend empört auf die Fortsetzung der Proteste und warf der Opposition vor, die Regierung stürzen zu wollen. «Wenn die Demonstrationen nach der Rücknahme des Dekrets weitergehen, dann wird klar, dass es sich um einen nach den Parlamentswahlen (im Dezember) geschmiedeten Plan handelt», um die Regierung zu stürzen.
Der Regierung aus Sozialdemokraten und Liberalen steht Staatspräsident Iohannis gegenüber, der zum Mitte-rechts-Lager gehört. Er hatte sich selbst an den Protesten gegen das Dekret beteiligt.
Regierung beugt sich dem Druck der Strasse
Rumäniens Regierung hatte nach tagelangen Massenprotesten die umstrittene Lockerung von Anti-Korruptionsgesetzen zurückgenommen. Sie beugte sich damit dem tagelangen Druck der Strasse. Auf einer Sondersitzung am Sonntag beschloss das Kabinett zudem, die Protokolle der Sitzung vom Donnerstag freizugeben, auf der der umstrittene Erlass verabschiedet worden war.
Das umstrittene Dekret hatte vorgesehen, dass Amtsmissbrauch und Korruption unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr strafbar sind. So sollte Amtsmissbrauch nur noch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Schadenssumme mindestens 200'000 Lei (rund 48'000 Franken) beträgt. Dies hätte Dragnea, dem Chef der regierenden Sozialdemokraten, eine Klage vom Hals schaffen können.
Darüber hinaus plante die Regierung eine Amnestie von Straftätern, die zu weniger als fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Von der Haftentlassung hätten rund 2500 Häftlinge profitiert - darunter mehrere Politiker, die wegen Korruption in Haft sitzen.
Der wegen Wahlbetrugs verurteilte und deshalb von öffentlichen Ämtern ausgeschlossene Dragnea gilt als treibende Kraft hinter der Politik von Ministerpräsident Sorin Grindeanu, dessen Kabinett erst vor wenigen Wochen die Regierungsgeschäfte übernommen hatte.
Die seit Donnerstag täglichen Demonstrationen gehörten zu den grössten in Rumänien, seit dort vor gut 27 Jahren Machthaber Nicolae Ceausescu gestürzt wurde. (sda/afp/reu)