Viele Asylsuchende können ihre Identität nicht mit Ausweispapieren belegen. In einem Pilotprojekt hat das SEM Handys und Laptops von Flüchtlingen zur Identitätsüberprüfung ausgewertet. Für die Flüchtlingshilfe ist das ein drastischer Eingriff in die Privatsphäre.
Die Tamedia-Zeitungen vom Samstag schreiben, das SEM habe von November 2017 bis Mai 2018 in den ehemaligen Empfangs- und Verfahrenszentren Chiasso und Vallorbe 565 freiwillig abgegebene Datenträger zur Identitätsüberprüfung evaluiert. In 15 Prozent der Fälle seien dabei nützliche Hinweise zur Identität oder zum Reiseweg der betroffenen Flüchtlinge gefunden wurden.
Daniel Bach, Sprecher des Staatssekretariat für Migration (SEM), bestätigte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA einen internen Bericht zum Pilotprojekt auf den sich die Zeitungen stützen. Der Bericht wurde allerdings nicht zur Verfügung gestellt und auch keine Details dazu bekannt gegeben.
Der SEM-Sprecher erklärte lediglich, dass die Ergebnisse des Pilotprojektes zeigten, dass diese Auswertungen «wichtige, zusätzliche Informationen zur Herkunft und Identität der Asylsuchenden sowie zum Reiseweg liefern können». Die Auswertungen seien auf freiwilliger Basis erfolgt und der Schutz der persönlichen Daten sei jederzeit gewährleistet gewesen.
Scharfe Kritik der Flüchtlingshilfe
Die Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH) kritisiert das Vorhaben scharf, private Handy- und Computerdaten von Asylsuchenden systematisch auszuwerten. Das ziele auf den «gläsernen Flüchtling» ab, wobei völlig unklar sei, ob die Behörden die Daten nicht auch für andere Zwecke als die Identitätsabklärung nutzten, erklärte Mediensprecherin Eliane Engeler auf Anfrage.
«Das Vorhaben ist rechtsstaatlich und aus Sicht des Datenschutzes höchst bedenklich und handelt sich um einen drastischen Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen», sagte Engeler.
Das Strafrecht regle die Auswertung von Handydaten sehr restriktiv, betonte die SFH-Sprecherin. Smartphones von mutmasslichen Straftätern dürften nur bei schweren Gesetzesübertretungen und bei begründetem Tatverdacht analysiert werden. Es gebe keine schlüssige Argumentation dafür, dass Schutzsuchende denselben oder gar strengeren Regeln unterworfen sein sollten.
Vorlage im Parlament hängig
Für den SEM-Sprecher ist die Datenauswertung ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Es brauche daher eine gesetzliche Grundlage für alle Auswertungen, die nicht auf freiwilliger Basis erfolgten. Eine Vorlage zur Datenauswertung sei derzeit im Parlament hängig.
Laut dem Zeitungsbericht wird die Staatspolitische Kommission des Nationalrates am kommenden Donnerstag über eine systematische Datenauswertung befinden.
Ob eine Asyl suchende Person in der Schweiz Schutz erhalte, hänge davon ab, ob sie glaubhaft machen könne, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung und schwere Menschenrechtsverletzungen drohen oder eine unzumutbare Lebenssituation, heisst es beim SEM. Wenn die betroffene Person ihre Angaben mit Handy-Daten unterlegen könne, könne dies durchaus auch im Interesse des Asylsuchenden sein.
Laut dem SEM-Sprecher können bis zu drei Viertel der Asylsuchenden in der Schweiz ihre Identität nicht mit Ausweispapieren belegen. Die Gründe, warum Asylsuchende zum Teil keinen Pass besitzen, sind nach Angaben der Flüchtlingshilfe vielfältig. In manchen Ländern gebe es keine Geburtsurkunden und die Leute hätten keine Identitätspapiere, wie zum Beispiel in teilen Afghanistans.
Oft würden den Flüchtenden die Pässe unterwegs von Schleusern oder anderen kriminellen Gruppen abgenommen. Aus Seenot gerettete Menschen könnten auch ihre Identitätspapiere verloren haben.
Gesetz in Deutschland
In einer Reihe von europäischen Ländern werden laut SEM Handydaten im Asylverfahren auf freiwilliger Basis ausgewertet. In Deutschland wurde dazu eine gesetzliche Grundlage geschaffen und die Daten können systematisch ausgewertet werden. (sda)