Zwei Forscherinnen, eine Frage: Wird es in Zukunft normal sein, beim Zmittag in einen Burger zu beissen, für den nie ein Tier sterben musste?
Ja, sagt Christine Schäfer, die am Gottlieb Duttweiler Institut zu Food-Themen forscht. Die Vorteile punkto Tierwohl und Umweltbelastung lägen auf der Hand. «Gut möglich, dass unsere Enkel dereinst fragen werden: ‹Habt ihr wirklich einmal Tiere getötet, um ihr Fleisch zu essen?›»
Ja, meint auch die Psychologin Bernadette Sütterlin, die an der ETH am Institut für Umweltentscheidungen das Verhalten von Konsumenten untersucht und gerade mehrere Studien zur Akzeptanz von Laborfleisch durchgeführt hat. «Allerdings werden sich die Konsumenten nicht von heute auf morgen an den Gedanken gewöhnen, In-Vitro-Fleisch zu essen.» Die beiden Expertinnen identifizieren folgende Knackpunkte:
In insgesamt vier Studien haben Bernadette Sütterlin und ihr Team an der ETH untersucht, wie Konsumenten auf Fleisch reagieren, das im Labor aus tierischen Zellen hergestellt wurde. Es zeigte sich: Bisher hält sich die Euphorie in engen Grenzen.
So ist die Bereitschaft, konventionell produziertes Fleisch zu essen rund doppelt so hoch wie jene, In-Vitro-Fleisch zu konsumieren. Bio-Fleisch schlägt die Kunst-Variante gar um Faktor drei. «Die Natürlichkeit von Lebensmitteln hat für die Menschen einen sehr hohen Stellenwert», bilanziert Sütterlin, «und In-Vitro-Fleisch wird alles andere als natürlich wahrgenommen».
Obwohl die Studienteilnehmer explizit darauf hingewiesen wurden, dass das Fleisch aus dem Labor umwelt- und tierfreundlicher ist als jenes aus dem Stall, war die Akzeptanz von letzterem höher. Paradox: Die Erwähnung von Laborfleisch führte sogar dazu, dass die Sympathiepunkte für herkömmliches Fleisch in die Höhe schossen.
Trotzdem geht Sütterlin wie Schäfer davon aus, dass sich In-Vitro-Fleisch über kurz oder lang durchsetzen wird – und zwar bei einer Mehrheit der Bevölkerung. «Schliesslich geht der Trend seit mehreren Jahren hin zu einer bewussten, ökologischen und tierfreundlichen Ernährung.»
Die Ergebnisse der ETH-Studien lassen darauf schliessen, dass die Haltung der Konsumenten nicht in Stein gemeisselt ist. «Je nachdem, wie die Informationen zu In-Vitro-Fleisch den Befragten kommuniziert wurden, waren sie offener oder weniger offen gegenüber Laborfleisch.»
Sütterlin folgert daraus, dass die Marketingstrategie der Hersteller zentral sein wird. «Der Fokus muss auf dem authentischen Geschmack und Geruch sowie den positiven Auswirkungen für Tier und Umwelt liegen – eine detaillierte Thematisierung der Produktionsprozesse ist hingegen kontraproduktiv.» Was künstlich anmute, werde abgelehnt und mit höheren Risiken in Verbindung gebracht. «Das zeigt das Beispiel der Gentechnologie exemplarisch.»
Auch Schäfer streicht die Wichtigkeit der Kommunikation heraus. Geistern Begriffe wie «Frankenstein-Schnitzel» durch die Medien, verdirbt dies so manchem Gourmet den Appetit. Die Hersteller versuchen Gegensteuer zu geben, indem sie auf den Begriff des «Clean Meat» setzen, der zum Zeitgeist passt und positiv besetzt ist.
Ob Laborfleisch zum Kassenschlager wird oder eher ein Nischenprodukt bleibt, dürfte nach Schäfers Einschätzung entscheidend vom Preis abhängen. «Solange gezüchtetes Fleisch teurer ist als solches aus herkömmlicher Produktion, wird es primär eine Kundschaft ansprechen, die für Fragen des Tierwohls und der Ökologie sensibilisiert ist.»
Kehrt das Verhältnis – und dies hält die GDI-Expertin im Fall einer Massenproduktion durchaus für denkbar – stehe einem Siegeszug des Laborfleischs wenig im Weg. «Fleisch, für das Tiere sterben mussten, wäre in dem Fall kaum mehr zu rechtfertigen», glaubt Schäfer.
Interessant wird sein, wie die Vegetarier und Veganer auf das Angebot ansprechen. Wer das Schlachten von Tieren ablehnt, kann theoretisch guten Gewissens in einen Labor-Burger beissen. «Gut denkbar, dass eine Bewegung von Clean-Meat-Vegetariern entsteht, die gegenüber dieser Art von Fleisch offen sind», so Schäfer.
Aktuell tüftelt die Forschung auch an Produkten aus pflanzlichem Protein, die exakt wie Fleisch schmecken und riechen sollen. Aus heutiger Sicht sei es schwierig abzuschätzen, welche der beiden Varianten langfristig die grösseren Erfolgschancen hat, meint Schäfer. «Warten wir doch einmal ab, bis die Produkte tatsächlich in den Regalen liegen und die Konsumenten die Gelegenheit erhalten, sie zu probieren.»
Das holländische Start-up Mosa Meat, an dem sich die Coop-Tochter Bell finanziell beteiligt, will sein Laborfleisch in den nächsten drei Jahren zur Marktreife bringen. Bis zur Markteinführung in der Schweiz dürfte es laut einem Bell-Sprecher aber noch «einen Moment länger dauern».