Eine Instagram-Story, die es auch Leuten in der Region Bern in den Feed spült, lässt aufhorchen. Darin wird vor einem angeblichen Sexualstraftäter gewarnt, der frei herumlaufe. Mit Foto und Vorname.
Im etwas wirren Aufruf wird geschrieben, der Mann habe versucht, Mädchen «abzustechen» und habe Minderjährige vergewaltigt und geschlagen. Nun werde er von der Polizei gesucht. Er sei häufig mit einem Mercedes und einem BMW unterwegs, habe Wohnsitze im Kanton Zürich sowie in der Region Bern.
Die Berner Kantonspolizei hält auf Anfrage fest, man könne zu konkreten Einzelpersonen keine Auskünfte erteilen, der Daten- und Persönlichkeitsschutz gelte für alle, auch für mutmassliche Straftäter. Zudem kämen öffentliche Posts einer Vorverurteilung gleich und könnten Ermittlungen erschweren oder gefährden.
Man rate generell «sehr dringend» davon ab, solche Postings zu teilen und weiterzuverbreiten. «Man kann sich sogar strafbar machen», sagt Polizeisprecherin Sarah Wahlen. Betroffene könnten Anzeige erstatten, wenn sie öffentlich angeprangert werden, etwa wegen Verleumdung. Das gilt auch dann, wenn die Anschuldigungen im Posting zutreffend sein sollten.
Wäre tatsächlich ein Straftäter auf freiem Fuss, der für die öffentliche Sicherheit eine Gefahr ist, prüfe die Polizei eine Information der Öffentlichkeit. Der polizeiliche Appell ist deshalb, man solle solche Postings schlicht und einfach ignorieren.
Öffentliche Such-Aufrufe via Social Media nehmen zu. Zuletzt waren es häufig vermisste Personen, nach denen im Kanton Bern gesucht wurde, etwa im Fall eines 13-jährigen Mädchens aus der Region Thun oder eines älteren Berners, der zuletzt im Kanton Neuenburg gesehen wurde. Während das Mädchen nach einigen Tagen wieder auftauchte, ist der vermisste Mann gemäss den jüngsten Kommentaren unter dem Facebook-Post von Anfang Woche weiterhin verschwunden.
Die Tendenz, Dinge selber in die Hand zu nehmen, für die eigentlich die Polizei zuständig ist, sei zwar verständlich, gerade wenn Leute vermisst werden, sagt Polizeisprecherin Sarah Wahlen. Dennoch sieht sie die Entwicklung kritisch. Sie rät auch bei Vermisstenanzeigen davon ab, via Social Media Suchen zu starten. Dies könne einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellen, vor allem deshalb, weil solche Posts rasch weiter verbreitet und nie mehr vollständig gelöscht werden können. Vielmehr solle man die Polizei ihre Arbeit machen lassen.
Im Tessin war kürzlich ein besonders krasser Fall von Selbstjustiz bekannt geworden. Jugendliche hatten zahlreiche pädophile Männer in Fallen gelockt und böse verprügelt. Auch hier gilt: Wer die Justiz in die eigenen Hände nimmt, muss sich am Ende häufig selber vor der Justiz verantworten.