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Gesellschaft & Politik

Wie die Berner Stadtbehörden in einer Nacht 32 Autos verschwinden liessen

Anwohner Ambühl zur surrealen Szenerie der leergefegten Strasse: «Ich stand da wie gelähmt».
Anwohner Ambühl zur surrealen Szenerie der leergefegten Strasse: «Ich stand da wie gelähmt». google streetview
Eine Lokalposse in 5 Akten

Wie die Berner Stadtbehörden in einer Nacht 32 Autos verschwinden liessen

Ende November, in der Nacht vor dem «Zibelemärit», lässt die Stadt Bern in einer Quartierstrasse über 30 Autos abschleppen. Wie man einen ganzen Strassenzug gegen sich aufbringt: Ein Lehrstück.
11.12.2014, 09:1424.01.2024, 13:11
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1. Akt: Der erzürnte Ambühl

Diese Geschichte handelt von Autofahrern. Von eifrigen Polizisten. Von einer noch eifrigeren Stadtbehörde, die es allen recht machen will und dabei an ihre Grenzen stösst. Handlungsort: Die Berner Tellstrasse, eine Quartierstrasse, im Nordosten der Stadt und nur einen Steinwurf vom Berner Fussballstadion «Stade de Suisse» (im Volksmund noch immer: Wankdorf) entfernt.

Auftritt Ambühl, Behörden, Polizei, Abschleppdienst

Giachen Ambühl* sagt: «Ich ging aus dem Haus und dann: Überraschung. Die Strasse war wie leergefegt.»

Polizei: «Wer nachweislich in den Ferien war, der bekommt keine Busse.»

Stadt Bern: «Wir verstehen den Frust der Anwohner und räumen Versäumnisse ein.»

Abschleppdienst: «Wir hatten 2007 schon einen ähnlichen Fall. Auch damals schleppten wir an der Tellstrasse 30 Autos ab.»

Polizei: «Die fehlbaren Lenker müssen 120 Franken Busse bezahlen. Dazu kommen 389.10 Franken Gebühren für das Abschleppen.»

Abschleppdienst: «In anderen Fällen, wenn Bäume geschnitten werden etwa, werden die fehlbaren Fahrzeughalter direkt kontaktiert. Aber in diesem Fall: keine Chance. Es waren einfach zu viele.»

Ambühl: «Ich bin sauer.»

Der Tatort

Beliebt bei Anwohnern, noch beliebter beim Abschleppwesen: Parkplätze entlang der Tellstrasse.
Beliebt bei Anwohnern, noch beliebter beim Abschleppwesen: Parkplätze entlang der Tellstrasse.google streetview

2. Akt: Pflichtschuldige Männer

Die frühen Morgenstunden des 24. November 2014, es ist die Nacht vor dem Zibelemärit. Der beginnt, so will es die Tradition, in aller Herrgottsfrühe. Aus allen Himmelsrichtungen sind dann mehrere Dutzend vollbesetzte Reisebusse schon in der Bundesstadt angekommen. 91 sind es dieses Jahr. Die müssen parkiert werden, das braucht Platz, Platz, den Bern nicht hat, Platz, den man sich mit handfesten Mitteln schaffen muss. Und will. Sowieso bei dem bisschen Blech.

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An diesem 24. November also, bietet die Stadt die Polizei auf, und diese wiederum den Abschleppdienst. Ab vier Uhr gilt in der Tellstrasse totales Halte- und Parkverbot. Ab halb fünf vollziehen pflichtbewusste Männer die Räumung aller verbliebenen Fahrzeuge, 32 an der Zahl. Um acht ist der Spuk vorbei, und man hat sich die Anwohner zum Feind gemacht.

Giachen Ambühl ist Mitte Zwanzig und langjähriger Anwohner der Tellstrasse. Er sagt: «Als ich Viertel vor acht auf die Strasse trat, war sie wie leergefegt. Dort, wo am Abend noch unzählige Wagen parkiert waren: nichts. Vor allem auch: keine Polizei. Nur ein Angestellter einer Sicherheitsfirma und der Abschleppdienst, der gerade noch das letzte Auto abtransportierte.»

Die Erzählungen Ambühls stehen stellvertretend für die der drei Dutzend betroffenen Autolenker, von denen man mit gutem Grund annehmen kann, dass ein Gutteil an oder um die Tellstrasse herum wohnt.

Wie andere auch: Ambühl hat die Beschilderung gesehen. Die Stadt habe sie sechs Tage zuvor anbringen lassen, sagen die Verantwortlichen. Absolutes Park- und Halteverbot stand da, ab dann und dann, bis dann und dann. Stimmt nicht, moniert die Interessensgemeinschaft IG Wankdorf in einem offenen Schreiben an die Stadt. Nur fünf Tage seien die Tafeln dagewesen.

3. Akt: Der grosse Ärger

Auftritt Ambühl, Behörden

Ambühl pokerte, und verlor – wie andere auch. «Wir dachten, dass bei der Frist ein Puffer einberechnet wurde. So, dass wir morgens wenigstens noch zur Arbeit hätten fahren können.»

Ambühl hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht: «Hätten wir gewusst, dass die Strasse zu Carparkplätzen für die Besucher des Zibelemärit umfunktioniert wird, hätten wir reagiert. Bei dieser allgemein gehaltenen Signalisation hätte es aber auch sein können, dass die zahlreichen Bäume entlang der Strasse geschnitten werden. Damit hätten sie nicht morgens um vier begonnen»

Stadt: «Wir haben für 100 verschiedene Anlässe nicht 100 Tafeln.»

Ambühl: «Wir dachten auch, das könne gar nicht sein, dass eine ganze Strasse leergeräumt sein muss. Die Tellstrasse ist eine Quartierstrasse, und es macht ja keinen Sinn, sie für diesen Zweck zu brauchen.»

Stadt: «Zusätzliche Zettel an den Tafeln wären abgerissen worden. Oder aber schmutzig.»

Ambühl: «All die leeren Plätze rund um das nahegelegene Wankdorf-Stadion! Warum nicht dort?»

Stadt: «In der Vergangenheit wichen wir auf das alte Schlachthofareal aus, wenn die angestammte Parkfläche beim Messegelände Bern Expo besetzt war. Das ist aber mittlerweile überbaut.»

Warum ausgerechnet die Tellstrasse?

Stadt: «Die Tellstrasse liegt in der Nähe der Autobahnausfahrt. Das war das wichtigste Kriterium.»

Ambühl: «Wo sonst hätten wir in dieser Nacht unsere Autos hinstellen sollen?»

Stadt: «Anderswo in derselben Parkzone.»

Ambühl: «In einer der angrenzenden Strassen wird gebaut, dort sind einige Parkplätze vernichtet worden. Die Parkmöglichkeiten im Quartier sind nochmals weniger geworden. Noch weniger! Man parkiert, wo man nur kann.»

Stadt: «Oder in einer der angrenzenden Parkzonen. Man hätte das toleriert. Mit einigen Umtrieben hätte man einen Parkplatz gefunden.»

Ambühl: «Die Sache mit den Parkplätzen ist in der Stadt Bern per se problematisch. Warum hat man keine konkreten Alternativen geboten?»

Stadt: «Weil es die in der Umgebung nicht gibt.»

Man erklärt sich. Krebst zurück. «Wir verstehen den Frust der Betroffenen und räumen Versäumnisse ein.»

Welche?

«Wir hätten mit Anwohnern und deren Interessensgemeinschaft besser kommunizieren müssen. Das hat nicht so recht funktioniert.»

Wird hier Abschlepp-Geschichte geschrieben?

Dabei schaut alles so beschaulich aus. Nichts deutet darauf hin, dass genau hier 2016 (unselige) Abschleppgeschichte geschrieben werden könnte.
Dabei schaut alles so beschaulich aus. Nichts deutet darauf hin, dass genau hier 2016 (unselige) Abschleppgeschichte geschrieben werden könnte. google streetview

4. Akt: Showdown beim Wylerbad

Auftritt Ambühl, Abschleppdienst, Polizei

Als Ambühl seinen ersten Ärger heruntergeschluckt hat, erbittet er Auskunft vom Mitarbeiter des Abschleppdienstes. Der will ihn zunächst abwimmeln, verrät dann aber doch: Ein Teil der Autos wird zum Wylerbad verfrachtet.

Zum Wylerbad?

Das Wylerbad, das städtische Frei- und Hallenbad, das nur läppische 300 Meter entfernt liegt von der Tellstrasse? Das Wylerbad. Ambühls Zorn mildert das keineswegs. Rund 390 Franken Abschleppgebühr für ein zerquetschtes Minütchen Fahrt: Er fühlt sich verschaukelt.

Von Lackmeierei keine Spur, hält man beim Abschleppdienst entgegen.

Abschleppdienst: «Der Betrag wäre derselbe gewesen, wenn wir die Fahrzeuge ans andere Ende der Stadt verschoben hätten. Es ist ein Pauschalbetrag. Zudem kamen die Autobesitzer so schneller wieder zu ihren Fahrzeugen.»

Sind, ganz generell gefragt – hinfahren, aufladen, abtransportierten – 390 Franken gerechtfertigt für eine Routineübung?

Abschleppdienst: «Der Betrag ist plausibel. Werden wir etwa von einer Versicherung avisiert, verrechnen wir einen ähnlichen Betrag».

Hätte man nicht wenigstens Mengenrabatt gewähren müssen? Und überhaupt: Welchen Unbill trifft jene, die ihr Auto nicht wegstellen konnten – weil sie in den Ferien weilten, oder aber auch krankheitsbedingt?

Polizei: «Keinen». Wessen Auto im Zeitraum zwischen Signalisierung und dem Beginn der Abschleppaktion nicht bewegt wurde, der soll schadlos davonkommen.

Wie stellt man das fest?

Abschleppdienst: «Bei der Signalisierung werden alle Autos mitsamt Parkplatz registriert, dann erneut vor dem Abschleppen. So wird sichergestellt: Der Fahrer hat das Fahrzeug bewegt und die Ausschilderung wahrgenommen.»

Hat er nicht, zahlt er nicht. Desgleichen jene Einzelmasken, die an der Tellstrasse, aufgeschreckt von nächtlichem Licht und Lärm, ihre Autos noch während der Abschleppaktion retteten.

Leichter Schlaf kann auch Segen sein.

5. Akt: Das Versprechen

Zurück zu jenem Morgen, an dem etwas später auch die Freundin von Giachen Ambühl das Haus verlässt. Vom Abschleppdienst, sagt sie, sei zu dem Zeitpunkt nichts mehr zu sehen gewesen. Eine surreale Szenerie, die restlos leergeräumte Strasse. Es ist jetzt halb Neun, und oben, ganz oben an der mehrere hundert Meter langen Quartierstrasse stehen einige Reisebusse, drei vielleicht, oder fünf. Der Gutteil der Strasse: leer.

Auftritt Behörden

Für 2016, teilt die Stadt Bern mit, für 2016 werde man erneut eine alternative Parklösung zur Bern Expo finden müssen. «Dann werden wir uns etwas anderes überlegen müssen».

Sonst sind an der Berner Tellstrasse, nach 2007, nach 2014, aller schlechten Dinge drei. Man soll ja nichts verschreien, aber das röche dann nach Weltrekord.

*Name von der Redaktion geändert.

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