Am 28. Mai dieses Jahres verschwand das Walliser Dorf Blatten vor den Augen der Welt – ausgelöscht von einer gewaltigen Lawine aus Eis, Schlamm und Geröll. Ein extremes Ereignis, das sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat – und Teil einer globalen Entwicklung ist: Unsere Berge leiden. Und der Schuldige steht längst fest.
Tatsächlich trifft der Klimawandel die Bergregionen besonders stark. Bereits 2021 warnte eine Analyse der ETH Zürich davor, dass «die Kettenreaktionen des Klimawandels in den Alpen bald nicht mehr vereinzelt, sondern dauerhaft den Alltag beeinflussen werden».
Diejenigen, die regelmässig in den Alpen unterwegs sind, wissen es längst: Alpinistinnen, Alpinisten und Bergführende beobachten, wie sich das Gebirge verändert – mit direkten Folgen für ihre Touren und ihre Sicherheit. «Man kann sagen, dass das Alpinismus durch die Zunahme objektiver Gefahren immer anspruchsvoller wird», erklärt Rolf Sägesser, Ausbildungsleiter Sommer beim Schweizer Alpen-Club (SAC).
«Der Klimawandel wirkt sich ganz eindeutig auf unsere Arbeit aus», ergänzt Bergführer Yannick Diebold. «Wir müssen unsere Praktiken anpassen – und machen uns zunehmend Sorgen um unsere Sicherheit.»
Diese Einschätzung teilen auch viele Freizeitbergsteigerinnen und -bergsteiger. «Die Bedingungen sind eindeutig gefährlicher geworden», sagt etwa André, der seit rund zehn Jahren in den Schweizer Bergen unterwegs ist. Der Grund: Es liegt weniger Schnee, die Gletscher sind stärker zerklüftet und schwerer zu überqueren. Gleichzeitig nehmen Steinschläge zu – und setzen bereits früher in der Saison ein.
All das hat ganz konkrete Folgen. «Felsrouten werden zunehmend instabil, weil der Permafrost in grossen Höhen schmilzt», erklärt Yannick Diebold. Der Bergführer berichtet, dass manche Touren, die früher als sicher galten, heute deutlich risikoreicher sind. «Vor einigen Jahren noch wurden viele Hochgebirgszonen durch tiefen Bodenfrost zusammengehalten», sagt er.
André hat diese Erfahrung kürzlich selbst gemacht. Bei einer Tour auf einem Gletscher in der Zentralschweiz hörte er im Minutentakt Felsabbrüche – ohne sie sehen zu können. «Das war ein seltsames Gefühl», erinnert er sich. «Unter solchen Bedingungen sollte man sich nicht zu nah an die Hänge wagen – sonst wird es schnell gefährlich.»
Die Gefahr ist tatsächlich allgegenwärtig. «Wir sehen mehr Unfälle – oder Beinahe-Unfälle», betont Nicholas Bornstein, Direktor der Organisation Protect Our Winters (POW). «Ein Freund von mir wurde kürzlich von einem grossen Stein am Fuss getroffen. Das klingt vielleicht harmlos – aber hätte er den Kopf getroffen, hätte es tödlich enden können.»
Auch wenn er betont, keine Risiken einzugehen, gesteht André, dass er seine Touren mittlerweile anpassen – oder ganz streichen – muss. «Bevor wir eine Tour planen, rufen wir die Hüttenwarte an», erklärt er. «Sie kennen die lokalen Verhältnisse sehr genau.»
Vor zwei Jahren etwa musste der Alpinist auf eine geplante Tour im Wallis verzichten – wegen der Steinschlaggefahr. «Es war schlichtweg zu gefährlich», sagt er mit Bedauern.
Diese Situation kennt auch Marine nur allzu gut: «Wenn wir feststellen, dass es gefährlich ist, brechen wir gar nicht erst auf.» Ihr fällt auf, dass manche Routen – selbst solche, die sie früher bereits begangen hat – zunehmend technischer und anspruchsvoller werden. «Das ist einfach zu riskant für unser Niveau», sagt sie, obwohl sie auf rund zehn Jahre alpiner Erfahrung zurückblicken kann.
Wie André informiert sich auch Marine heute bei Leuten vor Ort, bevor sie eine Tour plant – etwas, das sie früher nie getan hat. Damals reichte die Karte. «Heute weiß man oft nicht, ob ein Gletscher noch gut zugedeckt ist oder ob die Bedingungen überhaupt einen Aufbruch erlauben», sagt sie. «Einige Gletscher-Routen werden zunehmend gefährlicher und schwieriger zu begehen», bestätigt auch Yannick Diebold.
Manchmal müssen selbst die Profis auf bestimmte Touren verzichten, berichtet Yannick Diebold. Sicher ist: Die Veränderungen zwingen sie zu noch mehr Vorsicht. Eine Belastung, die auf die Stimmung drückt – auch wenn der Umgang mit dem Unvorhersehbaren schon immer zum Beruf gehört hat. «Ich habe das Gefühl, dass viele Bergführerinnen und Bergführer heute erschöpfter sind», sagt er.
Und dabei geht es nicht nur um technische Vorbereitung. «Es braucht auch eine mentale Anpassung – es macht traurig, diese Entwicklungen mitanzusehen», erklärt der Bergführer weiter. «Wenn man Touren wiederholt, die man vor ein paar Jahren gemacht hat, stellt man manchmal fest: Alles hat sich verändert. Das ist nicht unbedingt leicht – und schon gar nicht schön.»
Alle Gesprächspartner sind sich in einem Punkt einig: Neu ist diese Entwicklung nicht. Doch sie beschleunigt sich spürbar. «Diese Tendenz hat sich in den letzten zwei, drei Sommern deutlich verstärkt», bestätigt Nicholas Bornstein. Yannick Diebold stimmt zu: «Man beobachtet ganz klar eine Beschleunigung dieser Phänomene. Es ist eine rasante Entwicklung – und sie geht in eine beunruhigende Richtung.»
Die Gletscher sind dafür das sichtbarste Beispiel. «Sie sind die Botschafter des Klimawandels», sagt Nicholas Bornstein. «Wenn man sie anschaut, wird einem das Ausmass des Problems bewusst – plötzlich ist alles sehr greifbar.»
«Seit etwa zehn Jahren überqueren wir regelmässig den Aletschgletscher», erzählt André. «Er ist deutlich kleiner geworden – und sieht jedes Jahr völlig anders aus. Es ist schrecklich mitanzusehen.»
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Anfang Juli meldete der Schweizer Gletschermessdienst GLAMOS, dass das im Winter angesammelte Eis in den Alpen bereits vollständig geschmolzen sei – normalerweise geschieht das erst im August oder September. Mit anderen Worten: Jede weitere Schmelze in diesem Jahr bedeutet einen direkten Verlust an Gletschermasse.
Diese Entwicklung verändert auch die Saisonalität der Aktivitäten im Gebirge. «Wegen des Gletscherrückgangs, der abnehmenden Schneemengen und der steigenden Permafrostgrenze beginnt die Hochtourensaison immer früher – und dauert in der Regel weniger lang», erklärt Rolf Sägesser. Und der Verantwortliche des Schweizer Alpen-Clubs ergänzt:
«Wir planen unsere Touren generell früher in der Saison», sagt André. «Im Juli und August steigen wir seltener in grosse Höhen auf, weil es einfach weniger sicher ist.» Laut Nicholas Bornstein treffen immer mehr Bergführerinnen und Bergführer dieselbe Entscheidung.
Auch die Berghütten bleiben von der Entwicklung nicht verschont. Einer Studie des SAC aus dem Jahr 2024 zufolge könnte mehr als ein Drittel der Hütten künftig instabil werden – durch die fortschreitende Permafrost-Schmelze. Rund 40 Gebäude sind zusätzlich direkt von Felsstürzen bedroht. «In den kommenden Jahren wird sich diese Situation weiter zuspitzen und den SAC sowohl in der Planung und bei der Umsetzung von Maßnahmen als auch finanziell stark fordern», erklärt Rolf Sägesser.
Yannick Diebold warnt ausserdem: Wenn nichts unternommen wird, wird sich die Lage weiter verschärfen. «Die Realität, vor der Fachleute schon lange warnen, ist mittlerweile auch bei uns angekommen», sagt er. «Diese Phänomene machen nicht an Landesgrenzen halt – und wir werden immer stärker davon betroffen sein.»
«Jahrelang wurden uns die Kosten jeder einzelnen Massnahme gegen den Klimawandel vorgehalten – jede Handlung wurde im Namen der Wirtschaft blockiert», kritisiert er scharf.
Und der Bergführer zieht ein klares Fazit: «In Blatten hat man zum Glück auf die Wissenschaft gehört und das Dorf rechtzeitig evakuiert. Könnten wir das nicht grundsätzlich tun – auf die Wissenschaft hören, um vorzubeugen statt hinterher zu reparieren?»