Lieber Ralph
Ihre Fragestellung hat so einige Ebenen und ich habe mir ein paar Tage Gedanken gemacht, damit ich ja keine davon verpasse. Eine wirklich klare Antwort kann ich Ihnen leider nicht bieten, aber vielleicht bringt es öppis, wenn ich das Ganze mal etwas für Sie auseinandernehme.
Ihre Partnerin ist 44 und etwas unzufrieden mit sich selber. Das kennen wir auch bei Männern und nennen es dort salopp «Midlife-Crisis». Nur dass diese dann gern in schnelle Autos investieren und Frauen halt in sich. Aber der Mechano ist schon recht ähnlich. Mit ungefähr Mitte 40 kommt man an einen Punkt, wo man Bilanz zieht mit sich und dem Leben. Alles hinterfragt und gerne nochmals alles auf den Kopf stellt. Viele Beziehungen gehen dann in die Brüche, weil zu diesem «nochmals alles auf den Kopf stellen» oft auch ein neuer Partner/eine neue Partnerin gehört.
Das scheint bei Ihnen nun nicht wirklich ein Thema zu sein, Sie schreiben ja deutlich, dass Sie glücklich miteinander sind. Und dennoch wurden Sie jetzt auf die Probe gestellt. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie sich hintergangen und verletzt fühlen. Und ich kann auch gut verstehen, dass Sie jetzt so einiges hinterfragen. Ich bin selber auch sehr ambivalent, wenn es um solche Eingriffe im Gesicht geht, und finde überdies, dass die meisten der Frau keinen Gefallen tun. Aber darum geht es hier nicht wirklich. Sondern eher darum, dass der Eingriff trotz Ihrer klaren Abneigung dennoch stattgefunden hat.
Ihre Frau mag sehr schön sein und dennoch mit sich selber unzufrieden. Das ist leider ein sehr verbreitetes Problem und hat viel mit den Umständen, wie man erzogen worden ist, zu tun. Sehr viele heute erwachsene Frauen sind in einer Umgebung gross geworden, wo das hübsch und härzig und artig sein sehr wichtig war. Und während der Vater gelacht hat, wenn der grosse Bruder am Tisch laut gefurzt hat, war der Blick ein strafender, wenn es das Mädchen tat. Viele Frauen bekommen von früh auf eingeimpft, dass sie hauptsächlich gefallen müssen. Das ist mitunter ein Grund, warum so viele junge Mädchen lieber Model als Chirurgin werden wollen. Das Äussere ist bereits bei kleinen Mädchen ein Dauerthema (jöh, bisch Du e herzigi und hesch es schöns Chleidli aa ...) und bleibt es leider ein Leben lang. Da darf man sich dann später nicht wundern, wenn sich auch gestandene Frauen noch über ihr Aussehen definieren. Sich davon loszusagen ist eine grosse Kunst, die schönen Frauen vielleicht sogar noch schwerer fällt, als weniger Attraktiven.
Darum ist es dann auch so hart, wenn diese Schönheit plötzlich verblasst. Viele Frauen über 40 sagen, dass sie sich auf einmal wie unsichtbar gefühlt hätten. Als nicht mehr wirklich existent. Und dass Frauen wie Sharon Stone und Demi Moore mit ihren ü50 und je einer halben Million Beautysurgerybudget aussehen, als wären sie Ende 30, macht die ganze Sache auch nicht einfacher. Dass Sie die Freundin Ihrer Partnerin in der Frage erwähnen zeigt, es ja klar, dass der Vergleich eine grosse Rolle spielt. Und auch der Druck.
Ich bewege mich gottlob in einem Umfeld, wo das ganze Theater keinerlei Thema ist. Aber wenn ich mal wieder auf eine Vernissage oder auf eine sogenannte Szeneparty gehe, dann wird es mir auch bewusst, dass viele Frauen bereits schon mit Anfang 30 anfangen, ihr Gesicht mit allem Möglichen aufzuspritzen. Dass man in solchen Kreisen unter Druck gerät, ist drum nachvollziehbar und scheint auch bei Ihrer Freundin eine Rolle zu spielen.
Soviel zu den Motiven. Nun aber zur Tatsache, dass es hinter Ihrem Rücken passiert ist und wie es nun weitergehen soll. Sie sagen, Sie hätten darüber gesprochen und sich negativ geäussert. Wie ist Ihre Gesprächskultur bei anderen Themen? Kann sich Ihre Freundin gegen Sie durchsetzen? Wer entscheidet zum Beispiel, wohin man in Urlaub fährt? Ich kenne viele Menschen, die lieber schummeln und notlügen, als sich Konfrontationen direkt zu stellen. Dann lieber vor vollendete Tatsachen stellen und hoffen, dass der andere damit leben kann. Nicht sehr reif, wie ich finde. Aber dennoch sehr menschlich und leider auch sehr verbreitet.
Die Frage ist nun, was Sie damit machen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Sie sich, wenn das verletzte Ego und das aufgeschwollene Gesicht mal etwas verheilt sind, damit abfinden können. Natürlich können Sie ihr ewig böse sein über diesen autonomen Entscheid. Aber schlussendlich ist es das Gesicht Ihrer Freundin und die kann darüber bestimmen, was Sie damit macht. Das müssen Sie selbstverständlich nicht hinnehmen, es ist Ihr freier Entscheid, Ihre Sachen zu packen. Aber vielleicht versuchen Sie mal, das Thema von einer anderen Seite zu betrachten:
Es gibt leider viele Krankheiten, die das Äussere einer Person sehr verändern können. Brustkrebs ist nur eine davon, es gibt unzählige weitere. Natürlich kann man es nicht wirklich vergleichen, ob man einer Veränderung durch Krankheit oder Unfall ausgesetzt ist, oder sich das Gesicht liften lässt. Aber beides führt zu einer Veränderung der Optik. Wie sehr ist Ihre Gefühlswelt vom Aussehen der Person abhängig und wie viel von anderen Werten? Können Sie unter dem «neuen» Gesicht all die bekannten und geschätzten Qualitäten Ihrer Partnerin erkennen, oder dringen Sie gar nicht mehr durch? (Und bitte denken Sie jetzt nicht, dass ich Sie als oberflächlich abstempeln würde, wenn Sie es nicht könnten. Unsere Oberfläche ist nun mal die Hülle zur Aussenwelt. Das lässt sich einfach nicht wegreden.) Ich denke nur, dass es ein Versuch wert ist, sich dafür etwas Zeit zu nehmen.
Wie bereits angetönt; keinerlei wirkliche Antwort. Aber doch wenigstens ein Versuch der Erklärung. Alles Liebe Ihnen!
Ihre Kafi.