Ich konnte nie etwas mit diesen körperbetonten Sportarten anfangen. Vor einigen Jahren im Sprachaufenthalt in Frankreich, als gleichzeitig die Rugby-WM und das US Open liefen, bin ich fast verzweifelt, weil meine Schlummermutter nicht einsehen wollte, dass Rubgy im Vergleich zu Tennis ein primitives Köpfe-Aufeinanderprallen ist. Und weil schon mein Vater dem runden Leder nachjagte, habe ich früh erkannt, dass König Fussball den Eishockey-Bodychecks vorzuziehen ist.
Überflüssig zu betonen: Kampfsportarten waren ein rotes Tuch für mich. Nie wäre ich in der Schweiz auf die Idee gekommen, einen Boxkampf zu besuchen. Aber wie heisst es so schön: «Wenn du in Rom bist, mach es wie die Römer.» Also bin ich diese Woche in Bangkok an eine Muay-Thai-Fight-Night gegangen, besser bekannt als Thaiboxen – der Nationalsport Thailands.
Die Veranstaltung beginnt mit einem ruhigen Moment: Alle erheben sich, um der Königshymne zu lauschen. Danach klettern zwei junge Burschen, wohl keine 20 Jahre alt, über die Seile in den Ring. Doch die beiden schlagen sich nicht gleich die Köpfe ein, sondern bewegen ihre eingeölten, schmalen, aber voll durchtrainierten Körper zuerst zu den Klängen traditioneller thailändischer Musik. Mit dem Ritual zollen sie ihren Trainern Respekt.
Die beiden Jugendlichen sind voll fokussiert. Dass sie heute Abend mehrere 100 Zuschauer haben, weil der Kampf bei einem grossen Einkaufszentrum im Herzen Bangkoks stattfindet, scheint sie nicht zu beeindrucken.
Dann geht es los: Kick in die linke Rippengegend des Gegners, Faust auf die rechte Wange, ein verfehlter Angriff mit dem Ellbogen – im Muay Thai ist praktisch alles erlaubt. Die beiden dreschen ohne grosses Abtasten aufeinander ein. Bereits in der zweiten Runde bleibt einer der beiden liegen, ein Kick unter eine rechte Rippe war zu viel für ihn.
Als nächstes gehen zwei junge Frauen aufeinander los. Ihre Schläge und Kicks sind zwar etwas weniger hart, aber dafür verkloppen sie sich in umso höherer Kadenz. Eine der beiden ist ein zierliches, hübsches Mädchen, während des Kampfes hat sie aber einen animalischen Killerblick.
Die Augen sind es auch, die mich bei den nachfolgenden Fights der höheren Gewichtsklassen am meisten faszinieren. Aber nicht nur die Augen der Kämpfer, sondern auch jene des Publikums. Alle starren gebannt auf das Geschehen, einige scheinen gedanklich selbst im Ring zu stehen.
Mir geht es genauso. Ich bin beeindruckt, wie sich die Kämpfer beherrschen können, obwohl sie einen Schlag nach dem anderen einstecken müssen und ihnen der Gegner zu alledem noch provozierend ins Gesicht grinst. Mich würde es wahnsinnig machen.
Mich macht es wahnsinnig. Das Gejohle der Menge wird von Minute zu Minute lauter. Die nie verstummen wollende Schlangen-Beschwörungsmusik im Hintergrund wirkt hypnotisierend. Der Adrenalinspiegel steigt. Am liebsten würde ich meinem Gegner – beziehungsweise dem Gegner meines favorisierten Boxers – selbst eine verpassen.
Nach zwei Stunden ist der letzte Kampf plötzlich vorbei. Und während ich mich noch darüber ärgere, dass die Punktrichter ein Unentschieden gezählt und nicht meinen Favoriten zum Sieger erklärt haben, haben sich die beiden Kämpfer längst voreinander verneigt und sich gratuliert. Das Verhalten ist sportlich, der gegenseitige Respekt gross.
Ich erinnere mich an die zahlreichen Theater, die ich auf dem grünen Rasen schon miterlebt habe – ob zwischen Real Madrid und Barcelona oder dem FC Küttigen und dem FC Fislisbach – und denke mir: Da könnte sich so mancher Fussballer noch eine Scheibe abschneiden.