Blogs
Schweiz

Mord an Sektenguru Wollensak: Keine Genugtuung für Opfer

Sektenopfer Lea Laasner.
Sektenopfer Lea Laasner.bild: hugo Stamm
Sektenblog

Grausame Erinnerungen: Der Mord an Sektenguru Wollensak ist für seine Opfer keine Genugtuung

03.09.2016, 07:4611.11.2020, 12:41
Hugo Stamm
Mehr «Blogs»

Sekten geniessen eine Art Schonzeit. Für die letzten weltweiten Schlagzeilen sorgten die Sonnentempler mit ihrem Massenmord und Massensuizid in den Jahren 1994/95 und 1997.

Inzwischen hat sich das Bild der Sekten in der öffentlichen Wahrnehmung verändert: Viele Leute neigen dazu, Sekten zu verharmlosen. Der Trend zur Beliebigkeit führt oft zur Haltung: Ach, lasst doch den Leuten ihren Glauben, wenn er sie glücklich macht.

Menschen als willfährige Werkzeuge

Der Mord am 61-jährigen Sekten-Guru Arno Wollensak von dieser Woche sollte uns aber in Erinnerung rufen, wie ein radikaler Glaube aus radikalen Narzissten nach wie vor skrupellose Sektenführer machen kann: Sektenführer, die Menschen zu willfährigen Werkzeugen ihrer krankhaften Bedürfnisse indoktrinieren, sie ausbeuten und peinigen.

Und das ist er: Arno Wollensak in seinem Sektenzentrum von Belize.
Und das ist er: Arno Wollensak in seinem Sektenzentrum von Belize.

Eines dieser Opfer war Lea Laasner. Sie war als 13-jähriges Mädchen vom deutschen Sektenführer mehrfach sexuell und mental missbraucht und gepeinigt worden. Die esoterische Sekte mit rund 40 Anhängern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – unter anderem die vierköpfige Familie Laasner – hatte sich nach Belize abgesetzt, um sich der Kontrolle durch europäische Behörden zu entziehen. Lea und ich haben darüber zusammen das Buch Allein gegen die Seelenfänger geschrieben.

Flucht aus der Sekte

Nach rund sieben Jahren gelang Lea unter spektakulären Umständen die Flucht, die Sekte wurde gesprengt. Ein Teil der Anhänger blieb im Bann des Gurus, so auch Leas Mutter. Lea Laasner holte die Schulbildung nach, machte die Matura, studierte Psychologie und schloss mit dem Master ab. In dieser Zeit klagte sie ihren Peiniger an.

Dieser wollte sich vor Gericht mit der Strategie verteidigen, Lea Laasner habe die Geschichte erfunden, um sich ins Rampenlicht zu stellen. Als ein Glaubwürdigkeitsgutachten die Integrität von Lea Laasner bestätigte, tauchte Wollensak unter. Trotzdem hielten seine Anhänger weiterhin zu ihm und unterstützten ihn finanziell.

Der Guru wurde international ausgeschrieben. Vor rund einem Jahr kamen ihm die Zielfahnder des Bundeskriminalamts und der Polizei in Uruguay auf die Spur. Wollensak hatte Dokumente gefälscht, einen neuen Namen angenommen und ein Anwesen in Uruguay gekauft. Zusammen mit seiner Frau, die wegen Gehilfenschaft angeklagt war, wurde er verhaftet.

Die Leiche am Strand

Die Justizbehörden lehnten aber das Auslieferungsbegehren von Deutschland ab. Die Begründung: Die sexuellen Übergriffe seien verjährt. Nach deutschem Recht waren sie dies zwar nicht – aber Wollensak wurde trotzdem freigelassen.

Sektenblog

Am vergangenen Sonntag fand ein Spaziergänger den deutschen Guru am Strand des südosturuguayischen Dorfes La Floresta tot auf. Er trug Handschellen, hatte gefesselte Füsse, war halb im Sand eingegraben und hatte einen Plastiksack über den Kopf gestülpt. Mord!

Die Polizei konnte ihn erst am Dienstag identifizieren.

«Ich selbst hätte Arno sehr gerne in einem Gerichtsprozess wiedergesehen und dann natürlich hinter Gittern.»
Katharina Meredith, Sektenopfer

Der oder die Mörder müssen nicht im Sektenumfeld gesucht werden. Uruguayische Medien vermuten, dass der mit Geldproblemen kämpfende Wollensak im Gefängnis mit zwielichtigen Gestalten aus dem Drogenmilieu in Kontakt gekommen war und sich womöglich auf krumme Geschäfte eingelassen hat. Der Mord könnte ein Racheakt gewesen sein.

Hatte er Kontakt mit Drogendealern?

Lea Laasner, die den Preis für Zivilcourage gewann, hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und will sich nicht mehr zum Mord an ihrem Peiniger äussern.

Ihre Leidensgenossin Katharina Meredith aus Zug, die ebenfalls als Mädchen in der Sekte missbraucht wurde, sagt zum Mord am Guru: «Viele von Arnos alten Anhängern haben ihm nichts Gutes gewünscht, aber so eine Gewalttat ist keine Gerechtigkeit. Ich selbst hätte Arno sehr gerne in einem Gerichtsprozess wiedergesehen und dann natürlich hinter Gittern. Dennoch zieht Arno W.'s Tod einen Schlussstrich unter die Geschichte. Ich weiss, dass er nun niemanden mehr verletzen kann.»

Dabei war Arno Wollensak einst aufgebrochen, um mit seinen Anhängern pionierhaft ein Rezept für den spirituellen Aufstieg ins Licht und somit ins absolute Heil zu ergründen. Sein Wahn endete im Sektendrama. Er zerstörte über weite Teile das Leben von rund 40 Menschen.

Das Tagebuch der Christa Krüsi
Ein ähnliches Drama wie Lea Laasner und Kathrin Meredith erlebte die Winterthurerin Christina Krüsi. Auch sie ist ein Sektenopfer.

Am 11. September findet um 11 Uhr die Vernissage ihres Buches «Himmel und Hölle – Das Tagebuch der Christina Krüsi» und ihrer dazugehörigen Kunstausstellung statt – eine Lehrstunde in Sachen Sektenproblematik.

Kunstkreis 49, Bahnstrasse 3, 4932 Lotzwil

Immer noch bei der Sekte – oder schon tot

Leas Mutter ist immer noch im Bann der Rumpfsekte. Ihre Tante war ursprünglich auch Mitglied. Später kam sie beim Versuch, sich ausschliesslich von Licht zu ernähren (Lichtnahrungs-Prozess), ums Leben. Sie verdurstete und verhungerte. Auch bei ihr führte die esoterische Verblendung in den Tod.

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

Du kannst Hugo Stamm auf Facebook und auf Twitter folgen.

Auch hier wurden Menschen von einer Sekte verführt und versklavt: Die «Colonia Dignidad» – das vermeintliche deutsche Idyll in Chile

1 / 37
Colonia Dignidad – das vermeintliche deutsche Idyll in Chile
Die ehemalige Colonia Dignidad, heute «Villa Baviera». Die von dem deutschen Sektenchef Paul Schäfer gegründete Siedlung liegt rund 340 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago.
quelle: x01744 / â© ivan alvarado / reuters
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
23 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
23
Mario Fehr will keine ukrainischen Roma-Familien mehr aufnehmen – heftige Kritik von Links

Die linke Ratsseite inklusive einzelner Vertreter der GLP haben am Montag im Kantonsrat harsche Kritik an Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) geübt. Dass er gewisse Grossfamilien aus der Ukraine nicht mehr aufnehmen will, bezeichneten sie als «beschämend».

Zur Story