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Sekten geniessen eine Art Schonzeit. Für die letzten weltweiten Schlagzeilen sorgten die Sonnentempler mit ihrem Massenmord und Massensuizid in den Jahren 1994/95 und 1997.
Inzwischen hat sich das Bild der Sekten in der öffentlichen Wahrnehmung verändert: Viele Leute neigen dazu, Sekten zu verharmlosen. Der Trend zur Beliebigkeit führt oft zur Haltung: Ach, lasst doch den Leuten ihren Glauben, wenn er sie glücklich macht.
Der Mord am 61-jährigen Sekten-Guru Arno Wollensak von dieser Woche sollte uns aber in Erinnerung rufen, wie ein radikaler Glaube aus radikalen Narzissten nach wie vor skrupellose Sektenführer machen kann: Sektenführer, die Menschen zu willfährigen Werkzeugen ihrer krankhaften Bedürfnisse indoktrinieren, sie ausbeuten und peinigen.
Eines dieser Opfer war Lea Laasner. Sie war als 13-jähriges Mädchen vom deutschen Sektenführer mehrfach sexuell und mental missbraucht und gepeinigt worden. Die esoterische Sekte mit rund 40 Anhängern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – unter anderem die vierköpfige Familie Laasner – hatte sich nach Belize abgesetzt, um sich der Kontrolle durch europäische Behörden zu entziehen. Lea und ich haben darüber zusammen das Buch Allein gegen die Seelenfänger geschrieben.
Nach rund sieben Jahren gelang Lea unter spektakulären Umständen die Flucht, die Sekte wurde gesprengt. Ein Teil der Anhänger blieb im Bann des Gurus, so auch Leas Mutter. Lea Laasner holte die Schulbildung nach, machte die Matura, studierte Psychologie und schloss mit dem Master ab. In dieser Zeit klagte sie ihren Peiniger an.
Dieser wollte sich vor Gericht mit der Strategie verteidigen, Lea Laasner habe die Geschichte erfunden, um sich ins Rampenlicht zu stellen. Als ein Glaubwürdigkeitsgutachten die Integrität von Lea Laasner bestätigte, tauchte Wollensak unter. Trotzdem hielten seine Anhänger weiterhin zu ihm und unterstützten ihn finanziell.
Der Guru wurde international ausgeschrieben. Vor rund einem Jahr kamen ihm die Zielfahnder des Bundeskriminalamts und der Polizei in Uruguay auf die Spur. Wollensak hatte Dokumente gefälscht, einen neuen Namen angenommen und ein Anwesen in Uruguay gekauft. Zusammen mit seiner Frau, die wegen Gehilfenschaft angeklagt war, wurde er verhaftet.
Die Justizbehörden lehnten aber das Auslieferungsbegehren von Deutschland ab. Die Begründung: Die sexuellen Übergriffe seien verjährt. Nach deutschem Recht waren sie dies zwar nicht – aber Wollensak wurde trotzdem freigelassen.
Am vergangenen Sonntag fand ein Spaziergänger den deutschen Guru am Strand des südosturuguayischen Dorfes La Floresta tot auf. Er trug Handschellen, hatte gefesselte Füsse, war halb im Sand eingegraben und hatte einen Plastiksack über den Kopf gestülpt. Mord!
Die Polizei konnte ihn erst am Dienstag identifizieren.
Der oder die Mörder müssen nicht im Sektenumfeld gesucht werden. Uruguayische Medien vermuten, dass der mit Geldproblemen kämpfende Wollensak im Gefängnis mit zwielichtigen Gestalten aus dem Drogenmilieu in Kontakt gekommen war und sich womöglich auf krumme Geschäfte eingelassen hat. Der Mord könnte ein Racheakt gewesen sein.
Lea Laasner, die den Preis für Zivilcourage gewann, hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und will sich nicht mehr zum Mord an ihrem Peiniger äussern.
Ihre Leidensgenossin Katharina Meredith aus Zug, die ebenfalls als Mädchen in der Sekte missbraucht wurde, sagt zum Mord am Guru: «Viele von Arnos alten Anhängern haben ihm nichts Gutes gewünscht, aber so eine Gewalttat ist keine Gerechtigkeit. Ich selbst hätte Arno sehr gerne in einem Gerichtsprozess wiedergesehen und dann natürlich hinter Gittern. Dennoch zieht Arno W.'s Tod einen Schlussstrich unter die Geschichte. Ich weiss, dass er nun niemanden mehr verletzen kann.»
Dabei war Arno Wollensak einst aufgebrochen, um mit seinen Anhängern pionierhaft ein Rezept für den spirituellen Aufstieg ins Licht und somit ins absolute Heil zu ergründen. Sein Wahn endete im Sektendrama. Er zerstörte über weite Teile das Leben von rund 40 Menschen.
Leas Mutter ist immer noch im Bann der Rumpfsekte. Ihre Tante war ursprünglich auch Mitglied. Später kam sie beim Versuch, sich ausschliesslich von Licht zu ernähren (Lichtnahrungs-Prozess), ums Leben. Sie verdurstete und verhungerte. Auch bei ihr führte die esoterische Verblendung in den Tod.