Aufgeregt und angespannt, so unsere Erwartungshaltung: Auch wenn man das Hin und Her um seinen Namen aussen vor lässt, so hat uns der Alfa Romeo Junior, der erste Alfa mit vollelektrischem Antrieb, doch nachdenklich gestimmt. Zugegeben, sein Look ist verführerisch, aber wie lässt sich der Elektroantrieb mit der überaus sportlichen DNA der Marke verbinden? Zumal der erste Versuch in Sachen Elektromobilität, als dem Tonale ein Hybridantrieb verpasst wurde, nicht wirklich gelungen ist.
Es steht viel auf dem Spiel, so viel, dass Alfa Romeo zum ersten Mal die grössten Teststrecken in seinem «Centro Sperimentale» in Balocco für die Presse geöffnet hat. Auf dem Testgelände – seit 1962 der Hotspot für Forschung und Entwicklung zunächst von Alfa Romeo, dann der Fiat-Gruppe (FCA) und jetzt von Stellantis – befinden sich sowohl eine für die Formel 1 zugelassene Rennstrecke als auch eine über 20 km lange Piste, die einer Landstrasse mit unterschiedlichen Geländeformen, Kurven und Belägen nachempfunden ist.
Wir setzten uns ans Steuer des Junior Veloce, des elektrischen Spitzenmodells mit 280 PS (im Gegensatz zu den bei Modelleinführung im Frühjahr genannten 240 PS).
Die Message des Ingenieurteams ist auf Anhieb klar: Der Junior ist zwar ein E-Auto, aber trotzdem ein echter Alfa Romeo. Es stimmt natürlich, dass er sich einen Teil der technischen Basis mit dem Jeep Avenger, dem Fiat 600, dem Peugeot e-2008 und anderen teilt. Es stimmt ebenso, dass sich die Bedienelemente und Systeme auch in anderen Produkten der Stellantis-Gruppe finden. Es stimmt weiterhin, dass die Qualität der Kunststoffe und ihre Verarbeitung bei diesem Preisniveau zu wünschen übrig lassen. Und es stimmt auch, dass der Junior in Polen hergestellt wird.
Aber in Sachen Fahrwerkstechnik hat der Italiener «aus Mailand» nichts mit seinen Cousins aus dem Konzern gemein. Und schon allein in dieser Hinsicht ist die Wette aufgegangen! Hinzu kommt eine absolut sportliche Innenausstattung mit wunderschönen Schalensitzen.
Mit einem mechanischen Torsen-Sperrdifferential an der Vorderachse, einer speziellen Federung und verstärkten Stabilisatoren sorgt der Junior Veloce für eine echte Verwandlung der eCMP-Plattform von Stellantis. Er ist leicht im Handling, meistert Kurven problemlos, unterdrückt Roll- und Wankbewegungen, ist agil. Die Traktion ist makellos, die Lenkung direkt und frei von Antriebseinflüssen, und die Einheit reagiert äusserst vernünftig auf abrupte Lenkbewegungen.
Obwohl der Junior Veloce mit 20-Zoll-Felgen ausgestattet ist, bügelt er Strassenunebenheiten bravourös aus, ohne Bodenhaftung zu verlieren oder vom Kurs abzukommen. Eine schmeichelhafte Beurteilung, die er sich für seine in diesem Segment einzigartige Leistung mehr als verdient hat. Nur das Gefühl beim Betätigen des Bremspedals könnte beim Übergang von der Energierückgewinnung bis zum Eingreifen der mechanischen Bremsen etwas feiner abgestimmt sein.
Trotzdem haben wir viel Spass, und das Bedauern, keinen echten Alfa-Motor unter der Haube zu hören, schwindet schlussendlich von Kurve zu Kurve.
Mit seinem 280 PS starken Motor beschleunigt der Junior Veloce in 5,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h; die Höchstgeschwindigkeit ist auf 200 km/h begrenzt. Auch dies ist sehr ansehnlich, allerdings ist es schade um die sehr lineare Leistungsentwicklung, denn wir hätten eine etwas höhere Ansprechempfindlichkeit erwartet. Umso mehr, als Alfa ein für ein Elektroauto recht niedriges Gewicht angibt: 1590 kg.
Wohlgemerkt, der Alfa Romeo Junior ist in erster Linie für den Einsatz in der Stadt und der Agglomeration bestimmt. Nur wenige, wenn überhaupt, werden über Rennstrecken heizen. Wir haben jedoch zu keinem Zeitpunkt irgendeine Schwäche bei der Leistungsabgabe oder beim Bremsen festgestellt, obwohl wir dem Fahrzeug einiges abverlangt haben. Dies zeugt von einer mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Konsequenz vorangetriebenen Entwicklung.
Auch die vom Hersteller versprochene Reichweite von rund 330 km bei normaler Nutzung können wir weder bestätigen noch dementieren: Die offizielle WLTP-Zulassung ist noch im Gang. Im Vergleich zur direkten Konkurrenz liegt dieser Wert aber im unteren Bereich. Die 51-kWh-Batterie lässt sich mit einem Schnellladegerät mit maximal 100 kW in etwa 30 Minuten von 10 auf 80 % aufladen. Und damit du dich problemlos durch enge Gassen schlängeln und rangieren kannst, wurde der Wendekreis auf 10,5 m begrenzt.
Wir verabschieden uns daher mit einer gewissen Erleichterung aus Balocco. Der Junior Veloce besitzt eine ausgewiesen sportliche Note, ist dennoch praktisch und komfortabel und bricht so mit der Tradition der Elektro-SUVs im B-Segment. Gut gemacht, das Angebot ist sehr verlockend!
Als Topmodell im Junior-Sortiment wird der 280 PS starke Veloce sehr wahrscheinlich für rund 50 000.00 Franken angeboten werden (die endgültigen Preise sind noch nicht bekannt). Dieser Preis entspricht dem des Volvo EX30 mit 272 PS, der jedoch eine grössere Reichweite vorweisen kann, bzw. dem Smart #1 Brabus mit 428 PS. Allerdings bietet weder der eine noch der andere das gleiche Fahrvergnügen wie der Alfa Romeo.