Social Media sind grossartig. Finde ich. Solange sie denn sozial sind. Einige Phänomene, die sich durch den ständigen Online-Austausch manifestiert haben, finde ich nämlich ziemlich bescheuert.
Dazu gehört, neben der Tatsache, dass jeder und jede unter einem Pseudonym seinen Frust an fremden Menschen auslassen kann, auch dieses vermaledeite «First World Problem».
Dieses wird sehr gerne verwendet, um anderen zu vermitteln, ihre Probleme seien nicht der Rede wert und man solle sich gefälligst mal wieder besinnen, wo man eigentlich lebe.
Grundsätzlich ist dieser Gedanke nachvollziehbar — wenn es denn darum geht, dass «man sich am Deckel der Kaviardose den künstlichen Fingernagel abgebrochen hat» oder «die Standheizung am SUV heute Morgen schon wieder nicht funktioniert hat». Von diesen Beispielen rede ich jedoch ausdrücklich nicht.
Denn, das Problem: Die Phrase wird eben gerade nicht nur bei solchen Extremfällen gebraucht. Kürzlich postete eine Facebook-Freundin den komplett versplitterten Screen ihres neuen Smartphones und fragte, ob jemand eventuell noch ein altes Handy zuhause rumliegen habe, das sie sich zur Überbrückung ausleihen könnte. Und sie brachte zum Ausdruck, dass sie untröstlich sei.
Da dauerte es keine vier Minuten und schon fiel es: First. World. Problem.
Was soll das? Oder in Internetsprache: WTF, Dude?
Nur, weil man in der Schweiz lebt und die Mittel hat, sich ein Smartphone zu leisten, darf man nicht traurig sein, wenn einem dieses nach drei Tagen des Besitzes auf den Boden knallt und kaputtgeht? Wer sagt, dass meine Freundin nicht monatelang dafür gespart hat?
Ein anderes Beispiel ist, wenn man erzählt, dass es einem nicht gut gehe, einem alles über den Kopf wachse, man überfordert sei — und dann kommt wer und sagt: «Geh’ mal nach Indien/Kambodscha/Kongo/etc. Dann weisst du, wie’s ist, wenn’s einem wirklich schlecht geht.»
Nicht nur ist dieser Vergleich unsinnig, er vermittelt gleichzeitig der Person in Not, ihr Schmerz sei unberechtigt. Und: Er soll möglichst deutlich zeigen, wer in der Unterhaltung moralisch überlegen ist, nämlich der First-World-Problemizer. Als ob jemand, der mit dieser Drittwelt-Schwellenland-Vergleichsgeschichte ankommt, nie einen schlechten Tag hat. Oder Liebeskummer. Oder einen Wutanfall, weil jemand anders vergessen hat, Kaffee zu kaufen.
Fakt ist: Wir leben nun mal in der ersten Welt, was ein unglaubliches Glück ist. Und ja, wir müssen nicht jeden Tag ums Überleben kämpfen. Das bedeutet doch aber nicht, dass wir immer und überall happy und zufrieden sind. Seien wir doch einfach dankbar dafür, dass es uns hier und jetzt gut geht, anstatt anderen sagen zu wollen, welche ihrer Gefühle eine moralische Daseinsberechtigung haben und welche nicht.
Die einzige Person, die unsere Probleme als First World Problems bezeichnen darf, sind wir selbst.
Schmerz ist subjektiv, in der dritten genauso wie in der ersten Welt. Und Gefühle wie Herzschmerz oder Enttäuschung sind keine Third oder First World Problems, es sind schlicht und einfach World Problems.