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Neuer Dokumentarfilm enthüllt: Edward Snowdens Freundin ist zu ihm nach Moskau gezogen

Ausschnitt aus dem Film «Citizenfour».
Ausschnitt aus dem Film «Citizenfour».screenshot: youtube/film festivals and indie-films
«Citizenfour» feiert Premiere

Neuer Dokumentarfilm enthüllt: Edward Snowdens Freundin ist zu ihm nach Moskau gezogen

Mit ihrer Doku «Citizenfour» will Filmemacherin Laura Poitras dem NSA-Whistleblower näher rücken. Da sie aber selbst an den Enthüllungen beteiligt war, bleibt das, an sich packende, Porträt unvollständig.
11.10.2014, 12:1712.10.2014, 11:25
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Edward Snowden hat keine Ahnung, was auf ihn zukommt. Zwar tut er mutig: «Ich weiss schon, wie das für mich enden wird», schreibt er in einer ersten E-Mail an die Reporterin Laura Poitras. «Und ich akzeptiere das Risiko.»

Das wahre Risiko aber begreift der NSA-Whistleblower erst in einem Hotelzimmer in Hongkong, kurz nachdem er sich der Welt offenbart hat: Snowden hockt auf dem Bett, per Laptop kommuniziert er mit seiner Freundin Lindsay Mills, die in Hawaii zurückgeblieben ist.

Plötzlich merkt er, dass er sie vielleicht nie wieder sehen wird – «die Person, die du liebst, mit der du das Jahrzehnt verbracht hast».

Poitras hält die Kamera ganz nah auf sein Gesicht. Die Erkenntnis wandert über seine Miene, die Maske zerbricht: Vorhin noch der coole Enthüller, ist Snowden plötzlich selbst enthüllt – als einer, den die Konsequenzen des eigenen Tuns überrumpeln. Kalkweiss und verwundbar verschwindet er fast in den weissen Federkissen des weissen Hotelbetts.

Die Filmemacherin Laura Poitras.
Die Filmemacherin Laura Poitras.Bild: AP

Der Mann, der alles ans Licht zerrte

Es ist eine Schlüsselszene in «Citizenfour», Poitras' sonst etwas schwergängigem Porträt Snowdens und seiner Odyssee vom US-Whistleblower zum Asylgast Wladimir Putins. Die Dokumentation, die am Freitag beim New York Film Festival Premiere hatte, ist eigentlich zwei Filme in einem: einer über die unfassbaren NSA-Machenschaften – und einer über den Mann, der das alles ans Licht zerrte.

Letzterer Film ist der interessantere. Poitras – eine oscarnominierte US-Filmemacherin, die in Berlin lebt und die Snowden-Dokumente unter anderem auch für den «Spiegel» ausgewertet hat – begleitet den ehemaligen IT-Spezialisten mit der Kamera. Vom ersten, fast lachhaft klandestinen Treffen in Hongkong bis zuletzt, bis nach Moskau, seit Juni 2013 Snowdens unfreiwillige «Temporärdiaspora». Sie will den Menschen hinter dem Phantom zeigen, will herausfinden, weshalb er tat, was er tat.

Gelungen ist ihr das nur teilweise. Snowden bleibt weiter ein Enigma, er benutzt Poitras genauso, wie sie ihn benutzt, als Sprachrohr einer Message. Trotzdem bietet «Citizenfour» kurze, packende Einblicke in die Seele dieses weltberühmtesten «Leakers», den man bisher nur als «Held» oder «Verräter» kannte – zwei Klischees, auf die ihn die Fans, die Medien und die Machthaber in Washington reduziert haben.

Codename «Citizenfour»

Es ist ein Manko des Films und zugleich seine Stärke, dass Poitras ihrem Sujet so nahesteht. Schliesslich spielt sie im NSA-Skandal eine Hauptrolle: Die 50-Jährige, die mit Filmen über den Irak und Guantanamo das Missfallen der US-Regierung erregt hatte, war die Erste, der Snowden sein NSA-Wissen anvertraute – in verschlüsselten E-Mails, unterzeichnet mit dem Codenamen «Citizenfour». Erst in Hongkong stiess Glenn Greenwald vom «Guardian» hinzu.

«Ich werde mit einem Zauberwürfel spielen, damit ihr mich identifizieren könnt.»
Edward Snowden

Gemeinsam würde das Trio den grössten Politskandal der Internet-Ära aufreissen. Die Fakten – die masslosen Spitzeleien, die machtlosen Bürger, die lügenden Geheimdienstler, die hörige Politik – prägen den ersten und dritten Akt von «Citizenfour», da gibt es wenig Neues.

Der zweite Akt aber, der erst nach 20 Minuten beginnt, spielt in besagtem Hotelzimmer in Hongkong – und dort allein entfaltet sich die ganze klaustrophobische Dramatik des Falls.

«Wir treffen uns im Flur vor dem Restaurant im Mira Hotel», hat Snowden sie instruiert. «Ich werde mit einem Zauberwürfel spielen, damit ihr mich identifizieren könnt.» Vorgaben wie aus einem zweitklassigen Spionagethriller.

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Bild: REUTERS

Acht Tage lang verschanzen sie sich auf dem Zimmer, um die irrste Story ihrer Generation zu inszenieren: Snowden, Poitras, Greenwald und später auch Ewen MacAskill, der Geheimdienstreporter des «Guardian». Lange Momente des Schweigens ersticken ihre aufgeregten Gespräche – und untermalen ihre Einsamkeit. Einmal steht Snowden am Fenster und blickt durch die Gardine auf den Kowloon Park, zehn Stockwerke tiefer, unendlich fern.

Das Hotelzimmer wird zur Falle

Lakonisch rasselt er haarsträubende Fakten herunter, erklärt elektronische Files, jongliert mit NSA-Jargon. Sein Haar ist zerwuselt, er trägt wechselnde T-Shirts, am rechten Arm ist ein Muttermal sichtbar. Snowden versteckt sich hinter seinen Informationen, lehnt es ab, über sich zu sprechen: «Ich bin nicht die Story hier.»

Doch warum opfert er sich? Warum nimmt er in Kauf, dass sein Leben nie wieder so sein wird wie zuvor? Warum begeht er quasi Suizid?

«Ich fürchte mich nicht vor euch. Ihr werdet mich nicht zum Schweigen zwingen.»
Edward Snowden

Seine Deklamationen klingen verschwurbelt-heroisch. «Ich sah, wie die Versprechen der Regierung Obama verraten wurden», sagt er. «Ich bin mehr bereit, Einkerkerung zu riskieren oder andere persönlich negative Folgen, als ich bereit bin, die Beschneidung meiner intellektuellen Freiheit und der Freiheit derer um mich herum zu riskieren.» Und an den Staat: «Ich fürchte mich nicht vor euch. Ihr werdet mich nicht zum Schweigen zwingen.»

Über Snowdens wahre Hintergründe erfährt man nichts. Keine biografischen Details, keine Eigenrecherche, das Bild bleibt unvollständig. Poitras lässt nur ihn sprechen – und erlaubt so, dass er sich allein als Whistleblower definiert.

Schliesslich wird er natürlich doch selbst zur Story – als er sich zögernd zu erkennen gibt, in einem kurzen Video, das Poitras dreht. Und das sofort überall zur Sensation wird: Auf CNN, bei der BBC, selbst auf einer monumentalen TV-Wand in Hongkong prangt sein Konterfei.

Snowden bei einem Interview mit der ARD.
Snowden bei einem Interview mit der ARD.Bild: EPA/ARD

Das Zimmer wird zur Falle und Snowden wird immer paranoider. Zieht den Telefonstecker raus, hält eine Feuerübung für eine Finte, schliesst das Telefon wieder an. Reporter rufen an, er lügt: «Hier gibt es keinen Mr. Snowden.»

Die einzige Nachricht im Film

Er versucht sein Aussehen zu verändern: Kontaktlinsen statt Brille, Gel im Haar, ewig starrt er in den Spiegel, nichts hilft. «Was passiert, das passiert», murmelt er, doch seine Nonchalance ist da nur noch aufgesetzt.

Jetzt auf

Mit Hilfe von Menschenrechtsanwälten und Wikileaks-Gründer Julian Assange – in einer kurzen Gastrolle – flieht Snowden bis Moskau, wo er steckenbleibt. Dann die Überraschung: Poitras zeigt ihn in seinem Haus dort, durchs nächtliche Fenster wie ein Überwachungsvideo – und neben ihm seine Freundin Lindsay Mills. Es ist die einzige «News» dieses Films, hiess es doch, Mills habe sich von ihm getrennt.

Die letzte Szene spielt in einem Moskauer Hotelzimmer. Greenwald berichtet Snowden aufgeregt von seiner jüngsten Enthüllung, seinem nächsten Whistleblower. Sie reden in Code, schreiben das Wichtigste auf Zettelchen, die sie dann zerreissen: Der Überwachungsstaat hat auch hier längst seine Opfer gefordert.

Besagte jüngste Enthüllung jedoch – ein von Obama autorisiertes Drohnenprogramm – ist im April relativ sang- und klanglos verhallt.

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