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Wie die Sprach-Lern-App Duolingo in die KI-Falle tappte

KI-generiertes Bild zum Duolingo-Maskottchen
Ein KI-generiertes Bild zur Illustration eines Artikels über KI – der Autor ist sich der Ironie durchaus bewusst. Bild: ChatGPT
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Wie Duolingo in die KI-Falle tappt – und es noch schlimmer macht

Die Chefs der weltweit populärsten Sprachen-Lern-App wollen mit einer neuen Geschäftsstrategie von generativer KI profitieren. Allerdings haben sie die Rechnung ohne die User gemacht.
30.06.2025, 19:3730.06.2025, 20:10
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Wer genau hinschaut, sieht in den Augen der Duolingo-Gründer die Dollarzeichen.

Der guatemaltekisch-amerikanische Informatikprofessor Luis von Ahn (46) und sein Schweizer Kompagnon, der ETH-Absolvent Severin Hacker (40), haben vor, ihr gemeinsames Unternehmen mit generativer KI in neue Gewinnsphären zu katapultieren.

Das Zauberwort aus dem Silicon Valley lautet Skalierung. Oder anders ausgedrückt: Wachstum auf Teufel komm raus. Um die Qualität kümmert man sich später.

Die beiden «Väter» der weltweit populärsten Sprachen-Lern-App behaupten, von der maschinellen Generierung des Schulungsmaterials profitierten fast alle.

Mehr Lerninhalte, günstiger produziert.

Allerdings sehen das die meisten User anders. Und die lauthals angekündigte «AI First»-Strategie hat sich bereits als Rohrkrepierer erwiesen.

Das KI-Debakel nimmt seinen Lauf

Duolingo-Geschäftsführer Louis von Ahn an einem TED-Talk.
Duolingo-Geschäftsführer Luis von Ahn an einem TED-Talk, an dem er erklärte, wie seine Lern-App gegen süchtig machende Social-Media-Plattformen besteht.Screenshot: YouTube
«Was sich nicht ändert: Wir werden ein Unternehmen bleiben, dem seine Mitarbeiter sehr am Herzen liegen.»
Versprechen der Duolingo-Führung

Über 130 Millionen Menschen haben Duolingo auf ihrem Handy installiert, um Sprachen zu lernen. Und dank generativer KI sollen es noch viel mehr werden.

Aber dann tappen die Chefs in die Falle.

Im April kündigt Luis von Ahn, der als Geschäftsführer von Duolingo fungiert, an, dass das Unternehmen schrittweise aufhören werde, Menschen für Jobs einzusetzen, die auch «von KI erledigt werden können». Und er veröffentlicht bei LinkedIn ein an die Belegschaft gerichtetes Schreiben, in dem die Duolingo-Führung die neue Strategie vorgibt: «AI First» (KI zuerst).

Duolingo-Geschäftsführer Louis von Ahn an einem TED-Talk, 2024.
Luis von AhnScreenshot: YouTube

Von Ahn streicht die Dringlichkeit des Vorhabens hervor:

«Wir können nicht warten, bis die Technologie hundertprozentig perfekt ist. Wir gehen lieber mit Eile vor und nehmen gelegentlich kleine Abstriche bei der Qualität hin, als langsam vorzugehen und den Moment zu verpassen.»

Der CEO des börsenkotierten US-Unternehmens kündigt also an, dass die User beim Sprachenlernen qualitative Einbussen hinnehmen müssen. Und dies, weil Duolingo durch KI massiv aufgepumpt werden soll.

Wohlgemerkt: Duolingo läuft es wirtschaftlich sehr gut. Das Geschäftsjahr 2024 wird mit einem Umsatz von 748 Millionen Dollar abgeschlossen, ein Plus von 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im März dieses Jahres werden mehr als 116 Millionen aktive Nutzer pro Monat gezählt und 9,5 Millionen zahlende Abonnenten.

Doch nun kippt die Stimmung.

Was folgt, ist ein veritabler Shitstorm. Auf den Social-Media-Plattformen hagelt es massenhaft Drohungen von Fans, sie würden Duolingo löschen. In den App-Stores häufen sich die vernichtenden Rezensionen.

«Duolingo ersetzt seine Mitarbeiter durch KI, weil es ihnen nur um die Einnahmen geht, und das zeigt sich. Die App ist voller Fehler, die nie behoben werden (...).»
App-Review eines enttäuschten Users

An dieser Stelle ist anzumerken, dass Duolingo in der Vergangenheit durch seine erfrischend freche Kommunikation bei TikTok und Co. aufgefallen war. Das Marketing-Team des Unternehmens verstand es, mit originellen Aktionen sehr viel Goodwill zu schaffen.

Doch nun nehmen die User-Proteste offensichtlich dermassen bedrohliche Ausmasse an, dass die erfolgsverwöhnten App-Macher reagieren müssen.

Zunächst löscht Duolingo all seine Beiträge auf TikTok und Instagram, wo es Millionen Follower hat. Dann folgt ein ziemlich bizarrer Auftritt. In einem aufwendig inszenierten Video tritt der Duolingo-Geschäftsführer einem mit Duolingo-Maske verkleideten Angestellten gegenüber, dessen Stimme künstlich verzerrt wird.

Duolingo versucht also, die Befürchtungen der User rund um die «AI First»-Strategie zu entkräften. Doch die Reaktionen sind wenig begeistert bis offen ablehnend.

Die Kehrtwende, die keine ist

Was Beobachter erstaunt: Die Duolingo-Führung wird von der Anti-KI-Stimmung völlig auf dem falschen Fuss erwischt. Er habe nicht mit einem solchen Gegenwind gerechnet, räumt von Ahn in einem Interview ein. Gleichzeitig stellt er die Kritik als übertrieben dar und lenkt mit Strohmann-Argumenten vom Versagen ab.

Als das offensichtlich nicht hilft, versucht sich der Duolingo-Gründer in einem weiteren Interview in Schadensbegrenzung. Generative künstliche Intelligenz sei kein Ersatz für die Arbeit der eigenen Mitarbeiter, betont er. Und er nimmt auch seine frühere Ankündigung, KI anstelle von Vertragspartnern einzusetzen, zurück.

Gleichzeitig behauptet der Duolingo-Chef: Er sehe KI als ein Werkzeug, «um unsere Arbeit zu beschleunigen, bei gleichbleibender oder besserer Qualität».

An die eigenen Angestellten gerichtet, verspricht er:

«Niemand muss diesen Wandel allein bewältigen. Wir entwickeln Workshops und Beratungsgremien und schaffen Zeit für Experimente, damit alle unsere Teams lernen und sich anpassen können.»

Das US-Wirtschaftsmagazin «Fortune» bringt das Dilemma der Duolingo-Führung auf den Punkt: Die Kritik am Unternehmen sei der jüngste Beweis dafür, dass «AI First» ein Konzept sei, das Investoren und Managern deutlich mehr gefalle als normalen Bürgern.

Und dies aus guten Gründen:

«Generative KI wird oft mit Unmengen an Inhalten trainiert, auf die möglicherweise illegal zugegriffen wurde; viele ihrer Ergebnisse sind bizarr oder falsch; und einige führende Köpfe der Branche lehnen Regulierungen dieser Technologie ab.»
quelle: fortune.com

«Fortune» stellt auch den grundsätzlichen Nutzen, den sich Unternehmen durch KI erhoffen, infrage. Abgesehen von gewissen Nischen machten sich die erhofften Produktivitätssteigerungen bislang nicht bemerkbar.

Dies deckt sich mit den praktischen Erfahrungen vieler User: Sie bemängeln die sinkende Qualität gewisser Lerninhalte. Der YouTuber Evan Edinger, ein treuer Duolingo-Fan mit einem beeindruckenden «Streak», verschaffte seinem Ärger in langen Videos Luft. Die KI-generierten Lerninhalte wirkten häufig seelenlos.

Das Fazit des enttäuschten YouTubers: Social-Media-Apps und Duolingo stellten das Sammeln von Daten und den Profit über das Wohl der Menschen.

Branchenkenner überrascht das nicht.

Das Geschäftsmodell aus dem Silicon Valley

«TechCrunch», ein amerikanisches Online-Medium, das vorrangig über die Start-ups im Silicon Valley berichtet, brachte die ursprüngliche Geschäftsidee hinter der Duolingo-App schon 2011 auf den Punkt:

«Wie kann man 100 Millionen Menschen dazu bringen, im Internet alles kostenlos in verschiedene Sprachen zu übersetzen?»

Im darauffolgenden Jahr machte der aus Guatemala stammende Informatik-Professor Luis von Ahn mit seinem Schweizer Doktoranden Severin Hacker die Idee zum Geschäft. Die beiden an der Carnegie Mellon University angestellten Forscher gründeten Duolingo.

Das Prinzip hinter ihrer Smartphone-App ist ebenso einfach wie bestechend: Die Zauberworte lauten Crowdsourcing und Gamification. Anstatt wildfremde Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, das sich wie unbezahlte Arbeit anfühlt, versucht man es ihnen als spielerische Lernerfahrung schmackhaft zu machen.

Genau dieses Erfolgsrezept hatte Luis von Ahn schon 2005 entdeckt. Damals war er noch Doktorand und liess andere Internet-Nutzer Bilder betrachten und beschriften, um mit den Metadaten die Suche zu verbessern. Noch im selben Jahr kaufte Google die Technologie.

2007 folgte von Ahns nächste lukrative Idee. Ebenfalls von der Carnegie Mellon University aus lancierte er «reCAPTCHA». Bei dem Projekt ging es darum, dass die Zeit, die beim Eintippen sogenannter CAPTCHA verschwendet wird, für etwas Sinnvolles genutzt wird.

Der Duolingo-Chef hat also schon früh auf die freiwillige, unbezahlte Mithilfe der User gesetzt. Und er wurde damit steinreich: Sein Vermögen beträgt (je nach aktuellem Börsenstande) rund 1,5 Milliarden US-Dollar.

Ein Reddit-User bringt die bei Freemium-Anbietern beliebte Geschäftsstrategie auf den Punkt:

«Locken Sie User mit niedrigen oder keinen Preisen und wenig Werbung an, subventioniert durch Ihr gesamtes Risikokapital. Gewinnen Sie User und Marktanteile. Führen Sie langsam immer mehr Monetarisierung ein, nachdem die User das Ökosystem bereits kennen und es möglichst nicht mehr verlassen möchten.»

Dazu passt, dass die Plattform in diesem Jahr die Preise für In-App-Käufe markant erhöht hat.

Und nun soll Duolingo also mit KI-generierten Lerninhalten in neue Gewinn-Sphären vorstossen.

Die auf generative KI ausgerichtete Geschäftsstrategie hatte sich schon 2023 abgezeichnet. Damals zeigten sich die Verantwortlichen in einem Beitrag im Firmenblog begeistert von den Möglichkeiten, die das hauseigene KI-Sprachmodell namens «Birdbrain» bot.

Bis vor Kurzem sei jede einzelne Übung, die von der KI vorgeschlagen wurde, von menschlichen Experten formuliert, überprüft und übersetzt worden. Doch nun verwende man zum Generieren der Übungen KI.

«Indem wir unseren menschlichen Unterrichtsexperten ein Werkzeug wie das Large Language Model zur Verfügung stellen, können wir dir noch mehr Duolingo bieten – und zwar schneller und besser als je zuvor!»

Noch im Mai hatte der als visionär gelobte Duolingo-Chef in einem Interview verlauten lassen, dass auch die herkömmliche Schulbildung viel besser mit KI skalieren könnte als mit menschlichen Lehrern.

«Duolingo-CEO sagt, dass es in unserer KI-Zukunft vielleicht noch Schulen geben wird, aber meist nur für die Kinderbetreuung.»
Schlagzeile des amerikanischen Wirtschaftsmagazins «Business Insider»

Die Schulen selbst wären demnach in Zukunft vor allem für die Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder da. Die Wissensvermittlung an sich würde aber grösstenteils von Maschinen übernommen werden.

Und wer profitiert davon?

Wenn wir als Gesellschaft vermehrt in KI investieren, statt in echte Pädagoginnen und Pädagogen, würde sich Duolingo und dem ganzen Silicon Valley ein gewaltiger Dienstleistungsmarkt erschliessen.

Wie wir aber bereits wissen, geht dieser Plan nicht auf. Und Duolingo tut gut daran, bei seinen KI-Plänen mehr als nur einen Gang zurückzuschalten.

Das letzte Wort soll der langjährige Duolingo-User und YouTuber Evan Edinger haben:

«Geld, die Gier, grosse Zahlen zu sehen, die immer grösser werden, muss einigen Leuten wirklich das Hirn zermartern, und dann können sie nichts anderes mehr sehen. Sie verlieren ein Stück Menschlichkeit.»

Und jetzt du!

Nutzt du Duolingo regelmässig? Was hältst du von den KI-generierten Inhalten und welche anderen Erfahrungen hast du mit der Sprachen-Lern-App gemacht?

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Quellen

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128 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Madison Pierce
30.06.2025 20:04registriert September 2015
Mir geht es nicht um KI oder nicht, sondern um die Qualität. Wenn sie mit KI die gleiche Qualität erreichen, hätte ich nichts dagegen. Das scheint aber (wie so oft) nicht der Fall zu sein.

Ein CEO, der öffentlich ansagt, er bevorzuge es, schnell und günstig zu sein, selbst wenn die Qualität leide, sollte mal zur Nachschulung in der Kommunikationsabteilung.
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Max der Denker
30.06.2025 20:04registriert Dezember 2022
Duolingo 2 Monate benutzt, um mein Portugiesisch auf ein echtes Kommunikationslevel zu verbessern. Dabei hat die App aber so viele Fehler als richtige Antworten - und vice-versa - herausgegeben, dass ich sie als nutzlos erachtet und wieder deinstalliert habe.
Lesen und die Sprache hören hilft mir definitiv mehr.
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mrmikech
30.06.2025 19:57registriert Juni 2016
Ich hab Babbel, ist Marktführer weil viel, viel besser als Duolingo.
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