Seit Monaten vergeht kaum ein Tag, an dem in Serbien nicht Zehntausende auf die Strasse gehen. Mit Trillerpfeifen, Schlachtrufen und Plakaten protestieren sie gegen Korruption, Machtmissbrauch und den autoritären Regierungsstil von Aleksandar Vučić. Auslöser der Proteste war der Einsturz eines Vordachs beim Bahnhof in der Stadt Novi Sad, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen.
Mitte März versammelten sich in der Hauptstadt Belgrad rund 300'000 Menschen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Präsident Vucic geht mit Härte gegen die Bevölkerung vor, macht «die Kroaten» und Medien aus dem Kosovo für die Unruhen verantwortlich.
Mit Sorge verfolgt auch Novak Djokovic die Geschehnisse. Als er Mitte März in Belgrad ein Basketballspiel besuchte, trug er einen Hoodie mit der Aufschrift «Students are Champions». Djokovic solidarisierte sich mit den Studierenden, die die grössten Massenproteste in der Geschichte des Landes ausgelöst haben.
Dabei ist es gar nicht so lange her, seit sich Novak Djokovic von Serbiens Machthaber Aleksandar Vučić hat vereinnahmen lassen. Dafür wurde der erfolgreichste Spieler in der Geschichte des Männertennis als Verteidiger des Serbentums hochstilisiert.
Von Djokovic wird erwartet, dass er nicht nur auf dem Tennisplatz für seine Heimat kämpft, sondern auch gegen die Unabhängigkeit Kosovos. Wie vor zwei Jahren, als er bei den French Open auf Kyrillisch eine Botschaft auf die Kameralinse schrieb:
Zuvor war es in mehreren Gemeinden im Kosovo zu Protesten ethnischer Serben gekommen. Soldaten der Nato-Mission KFOR hatten diese gewaltsam aufgelöst. Die serbische Minderheit des mehrheitlich ethnisch-albanischen Kosovos lebt vorwiegend im Norden des Landes, dort bilden hingegen die Serben die Mehrheit. Viele Serben erkennen den Kosovo und dessen Regierung nicht an und wollen zu Serbien gehören.
Der Kosovo hatte sich 2008 von Serbien abgespalten, Serbien betrachtet diesen als serbische Provinz. Im Gegensatz zu den Vereinten Nationen anerkennt die Schweiz Kosovos Unabhängigkeit, wie die meisten europäischen Staaten.
Novak Djokovic begann in Kopaonik mit dem Tennis. Das Dorf liegt an der serbisch-kosovarischen Grenze. Während des Balkankrieges deckten die Nato-Truppen die Gegend drei Monate lang mit einem Bombenteppich zu.
Als öffentliche Person fühle er sich dafür verantwortlich, Unterstützung zu zeigen, sagte Djokovic damals. «Speziell als Sohn eines im Kosovo geborenen Mannes.» Vater Srdjan kam in Zvecan, im heutigen Kosovo, zur Welt, stammt aber aus Montenegro. Mutter Dijana ist die Tochter kroatischer Eltern und wuchs in Belgrad auf.
Im Jahr 2008, nach seinem ersten Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open, hatte der damals 20-Jährige eine Videobotschaft für eine Kundgebung in Belgrad aufgenommen, die unter dem Motto «Kosovo ist Serbien» stand.
Damals sagte Djokovic:
Serbiens Politik dankte Djokovic' Voten wie dieses mit Ergebenheit. Wie 2022, als er aus Australien ausgeschafft wurde, weil er sich nicht gegen Covid-19 hatte impfen lassen wollen.
Global wurde Novak Djokovic damals als Impfskeptiker wahrgenommen, während Vater Srdjan eine Kundgebung organisierte und seinen Sohn als «Führer der freien Welt, der armen und unterdrückten Länder und Völker» bezeichnete und mit Jesus verglich.
Während eine Belgrader Zeitung den australischen Ministerpräsidenten als Henker bezeichnete, sprach Staatschef Aleksandar Vučić von einer Hexenjagd. Ganz Serbien stehe hinter Djokovic.
Nun aber scheint sich Djokovic immer mehr von seiner Heimat, oder vielmehr von deren Politik zu entfremden. Schon 2023 hat er das Novak Tennis Center in Belgrad an die Stadt zurückgegeben. Und seinen Wohnsitz hat er seit Jahren in Monte Carlo und in Marbella.
Das 8,5-Millionen-Anwesen in Spanien steht inzwischen zum Verkauf. Djokovic plant seine Zukunft nach der Karriere. Offenbar sieht er diese für sich, seine Frau und seine zwei Kinder nicht etwa in Serbien, sondern in Griechenland.
Wie griechische Medien berichten, weilte Djokovic im Juni mehrere Tage im Land, besuchte Schulen und soll ein Luxusanwesen im Ort Marousi nördlich der Hauptstadt Athen besichtigt haben.
In Wimbledon bestätigte Djokovic zudem, dass er sich mit Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsosakis und dem Geschäftsmann Petros Stathis getroffen hat. Das Ergebnis: Ein «Golden Visa». Dieses erhalten Nicht-EU-Bürger für fünf Jahre, sofern sie für mindestens 250'000 Franken Investitionen im Land tätigen. In Djokovics Fall soll es um Beteiligungen an Sportanlagen gehen.
Athen statt Belgrad, Mitsotakis statt Vucic. Es scheint, dass Novak Djokovic Serbien in nicht allzu ferner Zukunft den Rücken kehrt. Und damit der berühmteste Sohn des Landes.