Es rumort in der Branche der sogenannten Mehrwertdienste. Der Präsident des Branchenverbandes SAVASS, der Aargauer SVP-Politiker Ueli Giezendanner, geht auf Distanz – und der Geschäftsführer, der Berner Rechtsanwalt Hans-Ulrich Hunziker, muss sich mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beschäftigen. Gegen die Inkassofirmen Paypay AG und Obligo AG läuft im Kanton Schwyz eine Untersuchung.
Es liegt viel im Argen, wie die Konsumentenschützerin Sara Stalder im Interview mit watson erklärt ...
Frau Stalder, der Präsident des Branchenverbandes der Mehrwertdienste (SAVASS) ist still und heimlich zurückgetreten. Ihr Kommentar?
Sara Stalder: Herr Giezendanner hat als Präsident der SAVASS versagt. Er wusste von den unsauberen Machenschaften der Branche und hat nichts dagegen unternommen. Sein klammheimlicher Abgang ist feige.
Von dem Ehrenkodex, den er eingeführt hat, halten Sie nichts?
Nein. Dieser Ehrenkodex hat weder Sanktionsmöglichkeiten noch ist er verpflichtend. Es ist ein typisches Ablenkungsmanöver, um dem Gesetzgeber Sand in die Augen zu streuen, getreu dem Motto: Die Branche kann das selber regeln, es braucht keine verpflichtenden Gesetze.
Wie beurteilen Sie als Konsumentenschützerin die Mehrwertdienste?
Die Branche ist ausser Rand und Band geraten. Es ist praktisch alles erlaubt, denn die Anbieter unterstehen keinem Gesetz so richtig. Die Verantwortlichen haben immer wieder Schlupflöcher gefunden und so sind extrem viele Konsumenten über den Tisch gezogen worden.
Demnach gibt es nicht nur ein paar schwarze Schafe, sondern es besteht ein grundlegendes Problem?
Ja, weil die Branche bislang nicht reguliert ist. Insofern hat der Branchenverband – aus seiner Sicht – tatsächlich gute Arbeit geleistet. Das muss jetzt aber schleunigst geändert werden mit dem neuen Fernmeldegesetz. Das hat auch der Bundesrat in seinem Bericht im November endlich erkannt.
Was hat die Stiftung für Konsumentenschutz unternommen?
Wir standen wiederholt in Kontakt mit Herrn Giezendanner und anderen Branchenvertretern und haben klar und deutlich gesagt: So nicht! Aber da hat sich überhaupt nichts geändert. Er hat eine Lobbyorganisation geführt, bei der es einfach darum ging, alle Regulierungsversuche zu verhindern.
Die Bezeichnung «Mehrwertdienste» ist bei den aktuellen Geschäftsmodellen eigentlich irreführend.
Ja, die Anbieter haben den Begriff an die Wand gefahren. Es gäbe tatsächlich mehr Wert bei einzelnen Dienstleistungen, aber das ist völlig in den Hintergrund getreten. Wenn wir heute von Mehrwertdiensten sprechen, dann verwerfen die Konsumenten die Hände. Der Begriff wird mit Porno, Sex und überrissenen Tarifen verbunden.
Dabei wären Mehrwertdienste eigentlich eine gute Sache, wenn sie richtig umgesetzt würden. Die Kunden könnten einen bestimmten Dienst, der ihnen wirklich etwas Wert ist, auf dem Handy abonnieren. Die Realität sieht anders aus.
Sie sprechen die Sex-Abo-Fallen an.
Die Mehrwertdienste werden ausgenutzt, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, sie sind zu reinen Geldmaschinen – vielfach betrügerischen – verkommen. Was zunehmend passiert, ist, dass SMS mit Sex-Inhalten an Leute geschickt werden, hauptsächlich an Männer, die das gar nicht wollen. Für die Betroffenen ist es dann natürlich schwierig zu sagen, sie hätten beim Surfen im Internet nie etwas angeschaut. Tatsächlich werden aber willkürlich Schweizer Handynummern angeschrieben und mit fragwürdigen Angeboten «bedient».
Wie macht sich das Problem bei der Stiftung für Konsumentenschutz bemerkbar?
Wir haben seit ungefähr eineinhalb Jahren sehr viele Rückmeldungen von Betroffenen, die Rechnungen am Hals haben, respektive auch aggressive Betreibungsandrohungen. Das hat massiv zugenommen. Im Gegensatz zu vorher gehen die Rechnungen aber nicht mehr über den Fernmeldedienst-Anbieter. Früher konnten wir den Leuten einfach sagen, sie sollten nur für das bezahlen, was sie auch tatsächlich schulden. Mit dem Versenden der Rechnungen durch Inkassofirmen hat sich das geändert. Aber auch hier gilt es festzuhalten: Die Leute müssen solche unberechtigten Forderungen auf keinen Fall begleichen.
Da sind wir bei der Paypay AG und Obligo AG.
Ein grosses Problem ist, dass Firmen die Handynummern von Leuten ausfindig machen und unter fadenscheinigen Gründen oder schlichtweg falschen Vorgaben versuchen, an die Wohnadressen zu kommen. Dann werden die Rechnungen verschickt. Ein solches Geschäftsgebaren ist aus unserer Sicht reiner Betrug und wir verstehen nicht, warum man das nicht stoppt. Das zuständige Bundesamt ist auch informiert.
Der Rechtsanwalt Peter Dähler hat gesagt, der Straftatbestand des Betruges sei nicht erfüllt, bzw. es sei schwierig, dies den Firmen tatsächlich nachzuweisen.
Das ist so. Das Bundesamt für Kommunikation BAKOM und das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO stellen sich übrigens sogar auf den Standpunkt, dass systematischer Betrug vorliegen muss, damit sie überhaupt tätig werden könnten.
Warum unternimmt der Bund nichts?
Wie gesagt: Beim BAKOM heisst es, man könne nichts machen und die Ombudscom bezeichnet sich als nicht zuständig, weil die Rechnungen separat verschickt werden und nicht mehr durch die Fernmelde-Dienstleister (Swisscom und andere Provider, Anmerkung der Red.).
Dann gibt es noch das UWG, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Eine schwache Waffe.
Ja, da sind wir auch am Auflaufen. Wir haben insgesamt vielleicht rund 60 Strafanzeigen eingereicht, zu verschiedenen Branchen und Tatbeständen, aber die Aussichten auf Erfolg sind gering. Eine Strafanzeige ist kein wirklich mächtiges Instrument, aber etwas anderes können sich Konsumentenschutz-Organisationen wie die SKS schlicht nicht leisten. Wir merken aber auch, dass auf Seiten der Staatsanwaltschaft kein sehr grosses Interesse besteht, das UWG wirklich umzusetzen. Kurz: Es ist kein griffiges Instrument.
Wie können die Konsumenten besser geschützt werden?
Es braucht eine Regulierung, weil die Branche in neue Bereiche vorgedrungen ist, die nicht mehr der Gesetzgebung zur Telekommunikation unterstehen. Man muss die Definition, was Mehrwertdienste sind, erweitern und dafür sorgen, dass bei Missständen eingegriffen werden kann.
Wie beurteilen Sie in dem Ganzen die Rolle von Swisscom und Co?
Die Stiftung für Konsumentenschutz stand früher sehr stark im Gespräch mit den Providern. Das war auch eine unsägliche Situation: Die Betroffenen sollten für etwas bezahlen, das sie nie bestellt hatten. Das Abbestellen (von Premium-SMS oder anderen Diensten) funktionierte nicht und die Leute erhielten keinen Support. Jetzt ist es eine andere Geschichte. Die Provider merken, dass alle Telekommunikations-Unternehmen wegen der Mehrwertdienste in Verruf geraten. Das sollte meines Erachtens die Bereitschaft zum Handeln erhöhen.