6500 Frauen erkranken in der Schweiz jedes Jahr an Brustkrebs. Die Früherkennung kann helfen, den Krebs besser zu behandeln. Doch nicht alle Frauen in der Schweiz haben gleichermassen Zugang zu Brustkrebs-Screenings. Brustkrebs-Experte Michael Knauer erklärt, wieso ihn die aktuelle Entwicklung beunruhigt.
Herr Knauer, die Brustspezialisten warnen mit sehr drastischen Worten, dass Massnahmen zur Früherkennung von Brustkrebs gestrichen werden. Übertreiben sie nicht?
Michael Knauer: Nein. Mit der Umstellung auf den neuen Arzttarif Tardoc wird die Vergütung der Radiologen dramatisch gekürzt. Das bedeutet für uns, dass wir die Brustkrebs-Screenings nicht mehr annähernd kostendeckend durchführen können.
Wieso?
Die Tarife decken die Kosten nicht. Schon heute springen die Kantone und Krankenkassen ein. Jetzt fehlt das Geld für die Finanzierung der Programme. Die Quittung dafür zahlen die Frauen.
Können sich die Frauen nicht selber um die Vorsorge kümmern?
Der grosse Vorteil an den organisierten Programmen ist, dass die Kosten für die Vorsorgeuntersuchung übernommen werden, egal wie hoch die Franchise einer Versicherten ist. Die Brust-Screenings werden über die Grundversicherung finanziert. Zweitens wird jede Frau ab einem bestimmten Alter eingeladen, sofern sie in einem Kanton mit Brustkrebs-Programm lebt. Egal, welcher soziale Hintergrund, Migrantin oder jemand mit wenig Bildung, alle Frauen werden aufgeboten.
Sie sagen, es ist eine Frage des Preises. Verdienen die Radiologen tatsächlich zu wenig?
Der Tarif sieht wenig für diese Leistung vor. Es sind um die 65 Franken. Wenn nun viele Radiologien sagen, wir können das Screening nicht mehr anbieten für diesen Tarif, wird es schwierig. Nur dank der Unterstützung der öffentlichen Radiologien an den Kantonsspitälern und privaten Instituten können wir es stemmen, jährlich Tausende Frauen pro Jahr zu untersuchen.
Es geht ums Geld. Der Einschnitt um 50 Prozent ist gross – doch liesse sich die Leistung nicht günstiger als heute erbringen?
Vielleicht schon. Es ist absolut wichtig, dass wir die Wirtschaftlichkeit im Auge haben. Und ich glaube auch, dass durch die modernen Entwicklungen in der Mammografie durchaus Sparpotenzial vorhanden ist. Doch eine Reduktion von 50 Prozent ist dramatisch. Schwerer wiegt für mich aber, dass der Zugang nicht mehr gewährleistet wird. Das ist ein komplett falsches Signal. Da geben wir an anderen Orten im Gesundheitssystem so viel mehr Geld aus. Es darf nicht daran scheitern, ob es jetzt 20, 30, 50 Franken mehr oder weniger kostet. Insbesondere, wenn es so viele Frauen betrifft.
Was bedeuten die Programme für die Frauen?
Der Vorteil ist die Früherkennung von Krebs. Wir haben sehr gute Daten aus der Ostschweiz. Bei Frauen, die an diesem Programm teilnehmen, wird der Krebs in einem viel früheren Stadium erkannt. Das heisst weniger Brustamputationen, weniger Chemotherapie, insgesamt auch weniger Folgekosten. Und dann ist natürlich auch die Überlebenschance besser. Eine andere Studie aus Deutschland zeigt, dass die Sterblichkeit von Brustkrebs um 20 bis 30 Prozent zurückgeht. Wenn jedes Jahr 6500 Frauen an Brustkrebs erkranken, dann sind das ganz schön hohe Zahlen.
Warum dieser Rückschritt bei der Prävention?
Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das kein national einheitliches Screening-Programm kennt. Gesundheit ist Sache der Kantone. In der Zentralschweiz und in Zürich haben wir nach wie vor keine Früherkennungsprogramme. Dabei gibt es unter Experten keine Diskussion mehr: Bei Mammografien überwiegen die Vorteile.
Auch von wissenschaftlicher Seite wird das bestritten.
Tatsächlich gibt es leider immer noch Leute, die das Screening kritisch sehen. Mammografien haben nicht nur Vorteile. Beispielsweise, wenn man trotz Röntgen den Tumor manchmal nicht findet. Oder wenn die Mammografie den Verdacht auf einen Tumor äussert, sich der Befund am Ende aber als falsch herausstellt. Das ist für die betroffene Frau eine Katastrophe. Falsch-positive Befunde schüren Angst und Verunsicherung – und am Schluss kommt nichts raus. Wir sehen aber, dass organisiertes Screening der richtige Weg ist, weil sehr hohe Qualitätsstandards erfüllt sind – im Gegensatz dazu, wenn Frauen oder einzelne Ärzte die Vorsorge selbst organisieren.
Was heisst das?
Eine doppelte Lesung des Röntgenbilds mit zwei Radiologen, in Zukunft kommt auch KI noch dazu. Die Experten sind auf Brustbilder spezialisiert, sie schauen sich mehrere tausend Bilder pro Jahr an.
Kann nicht auch die Frauenärztin wichtige Vorsorgeuntersuchungen übernehmen?
Obwohl wir in St. Gallen schon lange ein Mammografie-Screening haben, kommt noch immer über die Hälfte der Frauen mit einem Tastbefund ins Brustzentrum. Aber dann ist der Krebs schon weiter fortgeschritten.
Ist die Altersgrenze nicht zu hoch angesetzt? Sollten Frauen vor 50 Jahren nicht auch Zugang zum Präventionsprogramm bekommen?
Tatsächlich hat es in den letzten Jahren eine Zunahme der Brustkrebsfälle bei jüngeren Frauen gegeben, die wir uns noch nicht gut erklären können. Aber die Mammografie bei jungen Frauen ist leider weniger aussagekräftig, weil das Gewebe sehr dicht ist. Bei diesen Frauen muss dann auch eine Ultraschalluntersuchung zusätzlich gemacht werden – dies wird zum Beispiel beim Screening in Österreich so gemacht, ist aber deutlich aufwendiger und teurer.
Was ist die Lösung des Problems?
Wir müssen einen Kompromiss zwischen Versicherern, Radiologen und den Organisatoren der Screening-Programme finden. Das heisst, den Tarif nicht ganz so massiv kürzen. Oder es springt jemand anderes für die Finanzierung ein, die Kantone beispielsweise oder die Krankenkassen mit einer zusätzlichen Finanzspritze.
Schaffhausen hat die Einführung des Programms sistiert. Kommt die Hilfe zu spät?
Nein. Wir läuten jetzt die Warnglocken, damit die Umstellung auf den neuen Tardoc gelingt, ohne die Programme aufzukündigen.
Ist das denn tatsächlich eine Option?
Der Leiter des Ostschweizer Screening-Programms «donna», Rudolf Morant, sagt, das Programm stehe auf der Kippe. Er hat aber den Kontakt zu den Tarifpartnern aufgenommen – auch die Krankenkassen sind an einer Fortführung der Programme interessiert.
Was, wenn es nicht gelingt?
Es macht qualitativ einen Riesenunterschied, wenn alle Frauen Zugang zur Vorsorgeuntersuchung haben. Wir sehen die Situation in anderen Ländern wie zum Beispiel den USA. Frauen mit weniger Bildung und weniger finanziellen Möglichkeiten kommen zum Arzt, wenn der Krebs schon fortgeschritten ist, und haben eine höhere Sterblichkeit. Das möchten wir unter allen Umständen vermeiden.
Wenn Vorsorgeuntersuchungen nicht mehr automatisch gedeckt sind, können sie sich viele schlicht nicht mehr leisten – so wie es heute schon bei der jährlichen Zahnkontrolle der Fall ist.
Das führt zu enormen Kosten, denn viele Menschen suchen erst dann Hilfe, wenn es bereits zu spät ist. Diese Folgekosten wird am Ende die Gesellschaft tragen müssen.
Darum: Hört auf, bei der Vorsorge zu sparen!
Die Schweiz ist in dem Punkt echt little USA.