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«Boiler Room Scam»: Berner Ermittler überführen Online-Anlage-Betrüger

Frau mit Tablet, Symbolbild für Online-Betrug, Opfer von Cyberkriminellen.
Nach einer Strafanzeige 2019 im Kanton Bern begannen die Ermittlungen gegen die Online-Betrüger, die von der Ukraine aus operierten.Bild: Shutterstock

«Boiler Room Scam»: Wie Schweizer Ermittler gefährliche Cyberkriminelle überführten

Gemäss Berner Staatsanwaltschaft gibt es zehntausende Geschädigte.
08.11.2023, 09:2208.11.2023, 09:29
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Der Berner Kantonspolizei ist es mit Hilfe von ukrainischen und georgischen Strafverfolgungsbehörden gelungen, eine Gruppe von mutmasslichen Online-Anlagebetrügern zu identifizieren. Sie soll europaweit für finanzielle Schäden in hundertfacher Millionenhöhe verantwortlich sein.

Es gebe zehntausende Geschädigte, teilte die Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben des Kantons Bern am Dienstag mit. Die Täterschaft habe professionell agiert und ein ausgedehntes Konstrukt mit Strohfirmen und dazugehörigen Bank- und Kryptowährungskonten errichtet.

Hier erfährst du das Wichtigste.

Wie funktioniert der «Boiler Room Scam»?

Weit über hundert mutmasslich betrügerische Webseiten im Zusammenhang mit Online-Investitionen betreibe die Gruppierung. Es gehe um sogenannten «Boiler Room Scam».

Bei dieser Art von Online-Betrug würden Personen mit Hilfe von Werbeanzeigen oder attraktiv und professionell gestalteten Webseiten zu Investitionen animiert. Manchmal würden die potenziellen Opfer auch aktiv durch angebliche Finanz- oder Anlageberater vorwiegend telefonisch oder per E-Mail kontaktiert.

So werde versucht, Interessenten zu vermeintlichen Investitionen in Wertschriften oder Kryptowährungen zu bewegen, wobei grosse Renditen innerhalb kurzer Zeit versprochen würden.

Die Berner Kantonspolizei schreibt dazu auch, bei Rückfragen zur Auszahlung des Gewinns würden die Anleger meist hingehalten. In Einzelfällen sei es vorgekommen, dass kleinere «Gewinne» ausbezahlt worden seien, um das Vertrauen der Opfer zu gewinnen.

In seinem kürzlich veröffentlichten Halbjahresbericht hat das Nationale Zentrum für Cybersicherheit, das NCSC, vor dem sogenannten Vorschussbetrug gewarnt.

Wie wurde ermittelt?

Im vorliegenden Fall begannen die Ermittlungen im Oktober 2019 nach einer Strafanzeige im Kanton Bern. Das Opfer hatte sich auf einer Trading-Plattform registriert, woraufhin ein Agent telefonischen Kontakt aufnahm und die betroffene Person dazu bewegen konnte, eine Ersteinzahlung zu leisten.

In der Folge gewann der Agent das Vertrauen der geschädigten Person und forderte sie auf, ein Fernzugrifftool auf ihrem Computer zu installieren.

Berner Polizei-Spezialisten gelang es in der Folge, die Standorte der täterseitig genutzten Computersysteme zu lokalisieren, diese zu beschlagnahmen und so insgesamt mehr als 50 Terabyte (TB) Daten systematisch auszuwerten.

Gestützt darauf ergaben sich Hinweise, wonach die mutmasslichen Täter ein Call-Center in der Ukraine betrieben, woraufhin die Kantonspolizei Bern mit den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden in Kontakt trat. Im Zuge der gemeinsamen Ermittlungen konnten drei weitere Call-Center in der Ukraine identifiziert werden, die mutmasslich derselben Gruppe gehörte.

Was hat das mit dem Ukraine-Krieg zu tun?

Wegen des Kriegs in der Ukraine und weil ein in den Betrug involviertes Call-Center später umzog, mussten die Ermittlungen eine Zeit lang unterbrochen werden.

Nachdem 2022 zwei weitere Anzeigen wegen Online-Anlagebetrugs bei der Kantonspolizei Bern eingegangen waren, zeigte sich, dass die Verdächtigten inzwischen von Georgien aus tätig waren.

Im ersten Halbjahr 2023 fanden dann sowohl in der Ukraine als auch in Georgien verschiedene Ermittlungsmassnahmen, unter anderem Hausdurchsuchungen, Anhaltungen, Verhaftungen, Sicherstellungen von weiteren Computersystemen und Aktionen in den identifizierten Call Centern statt.

Darüber hinaus wurden mit Unterstützung von Europol und Eurojust anlässlich einer koordinierten Aktion in diversen Ländern zahlreiche Bankkonten gesperrt, die mutmasslich indirekt den identifizierten mutmasslichen Tätern gehören. Eurojust ist die EU-Justizbehörde.

Ist die Gefahr gebannt?

Nein.

Die Ermittlungen seien nach wie vor im Gange, steht in der Mitteilung. Es könne aktuell nicht ausgeschlossen werden, dass die Täterschaft nach wie vor grossflächig aktiv sei.

Wie eine Sprecherin der Berner Kantonspolizei auf Anfrage sagte, wurde in der Schweiz im Zusammenhang mit diesem Fall keine Person verhaftet. Gestützt auf einen Schweizer Haftbefehl befinde sich aber eine Person im Ausland in Auslieferungshaft. Gegen diese Person werde in der Schweiz ein gerichtliches Hauptverfahren angestrebt.

Wie kann man sich schützen?

Die Berner Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft warnen vor Vertrauen in «zwar seriös wirkende, dennoch oftmals mutmasslich betrügerische ‹Online Finanzinvestitionen› jeglicher Art.» Besondere Vorsicht sei geboten, wenn nach der Kontaktaufnahme jemand dazu auffordere, Fernzugriff-Instrumente auf den elektronischen Geräten zu installieren.

In einem auf der eigenen Website veröffentlichten Ratgeber-Beitrag rät die Berner Kantonspolizei:

  • Man solle sich nicht von professionell und schön gestalteten Websites, angeblichen Empfehlungen von Prominenten oder geschicktem Marketing blenden lassen.
  • Wenn ein Angebot zu gut töne, um wahr zu sein – etwa bei hoher Rendite innerhalb kurzer Zeit oder bedingungslosen Gewinnzusagen – sollten die Alarmglocken läuten.
  • Bevor man Dritten Geld anvertraut, sollte man im Internet Informationen über Anbieter und Produkte suchen. Warnende oder kritische Beiträge seien Alarmzeichen. Unter anderem könne man die offizielle Warnliste der Finanzaufsichtsbehörde des Bundes (FINMA) konsultieren.
  • Insbesondere wenn man in Kryptowährungen investieren wolle, solle man eine Zweitmeinung einholen und sich nicht scheuen, vorher ein vertrauenswürdiges Finanzinstitut, respektive die eigene Bank, zu kontaktieren.

Für weitere Ratschläge, siehe Quellen.

Quellen

(dsc/sda)

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