In der Türkei darf ihn keiner gucken, den Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier über unbändige Fantasien und ungebändigte Lust einer Sexsüchtigen. Im deutschsprachigen Raum wollte «Nymphomaniac» dagegen kaum jemand sehen. Gerade mal 11'500 Besucherinnen und Besucher lockte der erste Teil des insgesamt vier Stunden langen Epos seit Februar in die Deutschschweizer Kinos. Auch in Deutschland floppte der Streifen.
Woran es liegen mag: Scham? Übersättigung? Lustlosigkeit? Fakt ist: Im zweiten Teil, der nun in die Kinos kommt, wird das mit dem Schämen für empfindsame Gemüter nicht weniger. Denn die Nymphomanin Joe (Charlotte Gainsbourg) lässt sich darin beispielsweise an ein Sofa gefesselt den Hintern mit einer Peitsche versohlen. Zwei Fremde streiten in einem Hotelzimmer darum, wie sie die Frau nehmen sollen, die in ihrer sich steigernden Geilheit inzwischen «bis zu zehn sexuelle Befriedigungen am Tag» braucht.
Wie im ersten Teil herrscht kein Mangel an erigierten Penissen und runden Busen – nun kommen geschundene Pobacken und lädierte Gliedmassen dazu. Psychogramm einer Nymphomanin. Kurz zurück zum Anfang, zum ersten Teil: Der Junggeselle Seligman (Stellan Skarsgård) sammelt die verprügelte Joe eines Winterabends in einer Gasse auf, nimmt sie mit nach Hause und lauscht fortan ihrer Lebensbeichte.
Ihre Anekdoten über Samenergüsse nutzt der belesene Eigenbrötler zu philosophischen Ergüssen – und umgekehrt. Ein Präludium von Bach inspiriert Joe zum Vergleich mit ihren Liebhabern: «Drei Stimmen, jede mit eigenem Charakter, aber in kompletter Harmonie». Im bildgewaltigen «Nymphomaniac – Volume II», mit 2:10 Stunden noch einmal 20 Minuten länger als der erste Teil, vollendet Lars von Trier seine künstlerische Collage. Und setzt auf unbehaglich-düstere Weise das Psychogramm einer Sexsüchtigen fort, das er auf sorglosere Art begonnen hatte.
Wachsende Verzweiflung bei Joe. Wo Joe in Part eins mit einer Freundin in einem Zug auf Männerjagd geht, wird sie in der Fortsetzung von ihrer Sucht zerfressen und treibt immer tiefer in den (auch kriminellen) Abgrund. Alle Versuche, sich von dem Schicksal als Nymphomanin zu lösen, sind zum Scheitern verurteilt: «Ich liebe meine dreckige, schmutzige Lust.» Charlotte Gainsbourg mimt dabei wunderbar intensiv eine hadernde, gierig-verzweifelte Joe, die durchs Leben stolpert und nicht gerettet werden kann. Am Ende fällt ein Schuss. Und doch sagte die Schauspielerin im Interview über ihre Figur: «Da ist für mich ein sehr positiver neuer Start.»
Während auf der Berlinale im Februar erstmals Lars von Triers eigene, über fünf Stunden lange Hardcore-Version des kompletten Films über die Leinwand lief, bekommen Kinobesucher jetzt den gekürzten zweiten Teil mit weniger, aber immer noch reichlich nackter Haut zu sehen. Wenn sie ihn denn sehen wollen.
(sim/sda/dpa)