Es ist ein heikler Entscheid, mit dem sich das Kunstmuseum Bern in den vergangenen sechs Monaten herumschlug. Jetzt wird spekuliert, er sei gefallen: Wie die deutsche Medienagentur DPA am Freitag meldet, will die Kunstinstitution die Sammlung von Cornelius Gurlitt annehmen.
Gegenüber watson wollen weder das Kunstmuseum Bern noch das deutsche Kulturministerium in Berlin die Gerüchte bestätigen. Dennoch: Die Anzeichen verdichten sich, dass das Museum das millionenschwere Erbe Gurlitts annimmt.
Das ist Chance und Bürde zugleich. Was würde dieser Entscheid bedeuten? Die wichtigsten Fragen.
Die Sammlung Gurlitts umfasst rund 1600 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken, mutmasslich Raubkunst, entartete Kunst und Werke, die ihre Besitzer in der Not des Zweiten Weltkriegs weit unter Wert verkaufen mussten.
Die Provenienzforschung dürfte mehrere Jahre dauern. Bis heute weiss die Öffentlichkeit nur in Umrissen, welche Bilder die Sammlung umfasst und welche Werke von den Nazis geraubt und erpresst oder als entartete Kunst aus Museen entfernt wurden.
Im Juni 2013 wurde bekannt, dass die Herkunft der «Sitzenden Frau» von Henri Matisse und Max Liebermanns «Reiter am Strand» geklärt sei: Bei beiden Werken handle es sich um NS-Raubkunst.
Die Raubkunst-Frage ist die Krux an der Sammlung Gurlitt: Die Provenienzforschung ist aufwändig und ein juristisches Minenfeld. Schon jetzt fordern Rechtsvertreter möglicher Anspruchsberechtigter Transparenz, Einsicht in Geschäftsbücher, Korrespondenzen und Dokumente der Gurlitts. Hinzu kommt, dass das Testament möglicherweise angefochten wird.
So warnte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, vor einigen Wochen das Kunstmuseum Bern, das Gurlitt-Erbe voreilig anzunehmen. Das Museum öffne eine «Büchse der Pandora» und werde eine Prozesslawine auslösen. Das Berner Museum würde sich und die Schweiz beschädigen, wenn es die Bilder annähme, bevor die Herkunft geklärt sei, betonte Lauder.
Lauder ist nicht der einzige, der das Museum warnt, diesen Giftschrank zu öffnen. Doch es gibt auch Experten, die hervorheben, dass Bern mit der Aufarbeitung des Erbes die Chance erhalte, internationale Massstäbe bei der Aufarbeitung von Raubkunst zu setzen – wenn sie diese denn erfüllt. Museumsdirektor Matthias Frehner betonte mehrmals, sich im Falle einer Annahme an die Washingtoner Prinzipien zu halten, das heisst, die Kunst zu identifizieren und Anspruchstellern zurückzugeben.
Eine Aufarbeitung des umfangreichen Erbes geht ins Geld. Kostentreiber sind Provenienzforschung, Personal, Depotraum, Konservierung, Kuratierung und juristische Auseinandersetzungen. Auch steuerliche Fragen sind zu klären.
Noch offen ist, ob und wie sich die Kosten allenfalls durch den Verkauf von Bildern aus der Sammlung bestreiten lassen. Als der Münchner Kunstfund bekannt wurde, überbot sich die Presse mit Superlativen: hunderte von Millionen sei die Sammlung wert, ja gar von einer Milliarde war die Rede.
Doch solche Zahlen lassen sich kaum halten, denn zwischenzeitlich drang durch, dass sich in dem Konvolut nicht nur Ölgemälde grosser Meister, sondern auch viele Papierwerke und Grafiken befinden.
Was mit den Werken Gurlitts passiert, darüber ist noch kaum etwas bekannt. Mutmassungen zufolge soll die Herkunftsforschung in Deutschland verbleiben. Die unbedenklichen Bilder sollen nach Bern überstellt werden und Werke der entarteten Kunst sollen an die Museen zurückgehen.
Das Kunstmuseum Bern äusserte sich nie zu diesen Gerüchten. Antworten darauf dürfte die Pressekonferenz am Montag liefern. Sie findet um 11 Uhr in Berlin statt. (dwi)