Athen lässt nicht locker beim Thema deutsche Kriegsschulden: Am Mittwoch erneuerte Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras die Forderung nach Entschädigung für Naziverbrechen und sprach von einer historischen Pflicht.
Zugleich drohte Justizminister Nikos Paraskevopoulos mit einer Beschlagnahmung deutscher Besitztümer in Griechenland. Er sei bereit, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs zu Entschädigungen für die Ermordung von Zivilisten in der Nazi-Zeit durch eine Beschlagnahme umzusetzen, sagte Paraskevopoulos am Mittwoch.
Er berief sich dabei auf ein Urteil aus dem Jahr 2000. Am 10. Juni 1944 hatte eine Einheit der Waffen-SS 218 Einwohner der mittelgriechischen Ortschaft Distomo, darunter viele Frauen und Kinder, grausam ermordet.
Das Landgericht der Stadt Livadia verurteilte im Oktober 1997 Deutschland dazu, den 295 Klägern – Nachkommen und noch lebende Angehörige der Toten – Schmerzensgeld in Höhe von umgerechnet gut 28 Millionen Euro zu zahlen.
Die Regierung Deutschlands wies das Urteil zurück und beantragte Revision beim Obersten Gericht Griechenlands, dem Areopag. Sie berief sich auf das allgemein geltende Völkerrecht, wonach ein Staat nicht durch ein Gericht eines anderen Landes verurteilt werden darf.
Dennoch wies der Areopag im Mai 2000 die Revision zurück. Da Deutschland entsprechende Zahlungen ablehnte, sollte die Entschädigungssumme durch die Zwangspfändung deutscher Kultureinrichtungen zustande kommen.
2000 leitete Griechenland Massnahmen dazu ein, die das Goethe-Institut, das Deutsche Archäologie-Institut und die deutsche Schule in Athen betrafen. Der damalige griechische Justizminister verweigerte jedoch die erforderliche Genehmigung für eine Zwangspfändung.
Nicht nur das Thema Beschlagnahme deutschen Besitzes kommt von griechischer Seite jetzt neu auf den Tisch. Auch soll eine Parlamentskommission zu deutschen Reparationszahlungen die Arbeit wieder aufnehmen. Eine griechische Studie kommt laut Medienberichten auf insgesamt rund 162 Milliarden Euro ausstehender Reparationszahlungen.
Bislang drehte sich die Debatte vor allem um einen Zwangskredit, der sich nach griechischer Rechnung auf elf Milliarden Euro beläuft. Nach Ansicht griechischer Experten müsste dieser Kredit unabhängig von Forderungen nach allgemeinen Reparationszahlungen gesehen werden.
Der Zwangskredit, den die Nazis 1942 von der griechischen Notenbank erhoben hatten, betrug 476 Millionen Reichsmark. Dessen Rückzahlung war zwar vertraglich vereinbart worden, doch die Gelder bekam Griechenland nicht.
Deutschland ist sich seiner historischen Verantwortung für das durch den Nationalsozialismus verursachte Leid «absolut und ständig bewusst», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das ändere aber nichts an der Haltung, «dass die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen nach unserer Überzeugung abschliessend und final geklärt ist, abgeschlossen ist».
Das deutsche Finanzministerium hatte bereits vor einiger Zeit darauf verwiesen, dass die Bundesrepublik nach dem Krieg ein «umfangreiches System von Wiedergutmachungsregeln» geschaffen habe. Zudem schloss die Bundesrepublik mit Athen 1960 einen Vertrag zur laut Ministerium «abschliessenden» Wiedergutmachung von NS-Unrecht und zahlte 115 Millionen Mark.
Die grundlegende Regelung deutscher Reparationszahlungen sollte nach einem Beschluss der Londoner Schuldenkonferenz von 1953 zwar der Zeit nach einem Friedensabkommen vorbehalten bleiben, doch solch einen formellen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht.
An dessen Stelle trat aber laut Deutschland 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung zwischen den beiden deutschen Staaten sowie den vier einstigen Alliierten. Dieser sieht keine weiteren Reparationen vor.
Die Pfändungsdrohung aus Athen überschattete den Start der ersten Gespräche Griechenlands mit Experten seiner internationalen Geldgeber seit dem Amtsantritt der neuen Athener Regierung Ende Januar.
Am Nachmittag kamen dazu Vertreter der griechischen Regierung und Experten der bisherigen Gläubiger-Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Brüssel zusammen. Auch der Euro-Rettungsfonds EFSF war vertreten.
Eine Kommissionssprecherin sagte, die Gespräche dienten dazu, «die Details der Reformen voranzubringen», die Griechenland im Gegenzug für die Verlängerung seines Hilfsprogramms um vier Monate zugesagt habe. Ziel sei es, «spätestens bis Ende April» eine Einigung zu erzielen.
Mit Blick auf die griechischen Entschädigungs- und Reparationsforderungen sagte sie, dies sei «eine rein bilaterale Frage», weshalb Brüssel sie nicht kommentieren werde. (feb/sda/afp/dpa/reu)