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Sind die Amerikaner zu dumm für die Demokratie?

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Sind die Amerikaner zu dumm für die Demokratie?

Wieder droht ein Shutdown. Eine zweite Amtszeit von Donald Trump ist ein realistisches Szenario. Geht «die Mutter aller Demokratien» vor die Hunde?
24.09.2023, 13:3325.09.2023, 17:00
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China befindet sich in einer Wirtschaftskrise. Wladimir Putin führt Russland ins Elend. Ganz anders sieht es bei der Supermacht USA aus. Die amerikanische Wirtschaft ist weit besser als alle anderen aus der Pandemie gekommen. Der «Economist» hat kürzlich gar aufgezeigt, dass sie derzeit so stark ist wie schon lange nicht mehr.

Und trotzdem: Schon Ende dieses Monats könnten weite Teile der amerikanischen Verwaltung temporär geschlossen werden. Einen vernünftigen Grund dazu gibt es nicht. Doch eine Handvoll von «Verrückten» wie Matt Gaetz, Marjorie Taylor Green und Lauren Boebert nutzen die hauchdünnen Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus aus und erzwingen einen Shutdown, der allen schadet.

Former President Donald Trump speaks during a commit to caucus rally, Wednesday, Sept. 20, 2023, in Maquoketa, Iowa. (AP Photo/Charlie Neibergall)
Hat Chancen, wiedergewählt zu werden: Donald Trump.Bild: keystone

Gleichzeitig ist es nach wie vor denkbar, dass Trump die Wahlen nächstes Jahr gewinnt und ein zweites Mal ins Weisse Haus einzieht. Die Folgen wären fatal. Anders als in seiner ersten Amtszeit wird es dann keine «Erwachsenen» wie den ehemaligen Verteidigungsminister Jim Mattis oder den Stabschef John Kelly mehr geben, die Trump stoppen könnten.

Ein Team arbeitet bereits daran, wie die «checks and balances» der US-Demokratie ausgehebelt und Trump regieren kann wie sein Vorbild Wladimir Putin. Gewinnt Trump, wird seine zweite Amtszeit deshalb ein einziger Rachefeldzug eines pathologischen Narzissten – er verspricht seinen Anhängern bereits, er werde «Vergeltung» üben – und das prominenteste Opfer wird die amerikanische Demokratie sein.

Das alles wirft die Frage auf: Sind die Amerikaner zu dumm für die Demokratie? Ja, meint Jason Brennan. Der Philosoph und Politologe an der Georgetown University in Washington hat schon vor sieben Jahren mit seinem Buch «Against Democracy» Aufsehen erregt. Darin stellt er klipp und klar fest:

«Die meisten meiner Mitbürger sind – was die Politik betrifft – inkompetent, ignorant, irrational und moralisch unzuverlässig. Trotzdem haben sie Macht über mich. Sie können Leute mit grosser Machtfülle in Stellung bringen und die Autorität des Staates gegen mich verwenden. Sie können mich zwingen, Dinge zu tun, die ich nicht will und in denen ich keinen Sinn sehe. Sie können Macht über mich ausüben, die sie nicht rechtfertigen können, und mir politische Massnahmen auferlegen, die sie niemals unterstützen würden, wären sie informiert und würden sie rational handeln.»

An Beispielen für seine These mangelt es Brennan nicht. Hier ein paar wenige Beispiele:

  • Die meisten Wählerinnen und Wähler wissen bei Wahlen nicht, wer in ihrem Bezirk kandidiert.
  • Sie wissen nicht, wer die Mehrheit im Kongress hat.
  • Sie haben keine Ahnung, wie viel Geld der Staat für Entwicklungshilfe ausgibt, und überschätzen den Betrag um ein Vielfaches.
  • Sie haben auch keine Ahnung, wie hoch die Sozialausgaben sind.

Brennan unterteilt die Wählerschaft in drei Gruppen: in Hobbits, Hooligans und Vulkanier. Die Hobbits sind ignorant und opportunistisch. Sie wählen mal so, mal so. Die Hooligans sind die Parteisoldaten, die blind den Parolen ihrer Anführer folgen. Hobbits und Hooligans machen gemäss Brennan 90 Prozent der Wählerschaft aus. Den kümmerlichen Rest bilden die Vulkanier. Sie allein verhalten sich rational und kennen sich auch in den Sachfragen aus.

So weit, so schlecht. Doch es kommt noch schlimmer. Politik ist gemäss Brennan alles andere als eine Form von Volkshochschule. «Die meisten Formen von politischem Engagement versagen nicht nur, wenn es darum geht, uns zu erziehen, sie machen uns abgestumpfter und korrupt», stellt er fest. Das führt dazu, dass aus den meisten Hobbits mit der Zeit Hooligans werden und so die Demokratie zur Herrschaft des Mobs verkommt.

Diese Entwicklung lässt sich tatsächlich in den meisten westlichen Demokratien feststellen. In den USA ist sie besonders ausgeprägt. Dort hat die Polarisierung inzwischen massive Ausmasse angenommen, die an die Zeit der Religionskriege erinnern. Die Rivalität ist von blankem Hass geprägt.

Demokratie-Kritiker Jason Brennan. Er ist einer der Referenten einer dreiteiligen Veranstaltung, die vom UBS Center for Economics in Society organisiert wird. Sein Vortrag ist an der Veranstaltung «De ...
Demokratie-Kritiker Jason Brennan. Er ist einer der Referenten einer dreiteiligen Veranstaltung, die vom UBS Center for Economics in Society organisiert wird. Sein Vortrag ist an der Veranstaltung «Demokratien in Gefahr» zu hören. Sie findet am 13. November im Kongresshaus Zürich statt. Mehr Informationen unter: https://www.ubscenter.uzh.ch. Die Veranstaltungsreihe beginnt am 24. Oktober mit einem Vortrag von Wolfgang Schäuble, dem ehemaligen deutschen Finanzminister. Am 7. November folgt ein Auftritt des Psychologen Steven Pinker.Bild: Corbis Historical

Eine Demokratie, die zu einer Mob-Herrschaft verkommen ist, kann gefährliche Auswüchse haben. Brennan erinnert daran, dass Hitler demokratisch an die Macht gekommen sei. Deshalb schlägt er eine Alternative vor: die Epistokratie, die Herrschaft der Weisen.

Demokratie sei nicht per se etwas Edles, so Brennan. Sie habe keinen Wert an sich. Sie sei vielmehr ein Instrument, so wie ein Hammer, und stelle man fest, dass dieser Hammer seinen Zweck nicht mehr erfülle, müsse man sich nach einer Alternative umschauen.

Brennan fordert nicht die Abschaffung der Demokratie, sondern eine Verbesserung hin zu einer Epistokratie. Konkret könnte dies bedeuten, dass Wählerinnen und Wähler eine Prüfung bestehen müssen, bevor sie zur Urne schreiten dürfen. Oder die herkömmlichen politischen Institutionen werden durch Experten-Gremien ergänzt. Obwohl Brennan nicht darauf eingeht, drängt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Expertensystemen auf. Die Diskussionen darüber werden sicher noch kommen.

So zutreffend Brennans Kritik an der Demokratie ist, so vage sind seine Vorschläge bezüglich Epistokratie. Ja, sie sind gar gefährlich. Wladimir Putin, Viktor Orban und Xi Jinping werden diese Vorschläge mit Freude zur Kenntnis nehmen. Ihre «gelenkten Demokratien» werden sie gerne in Epistokratien umtaufen. Das Resultat ist alles andere als erfreulich.

Winston Churchill The Crown season 1
Hatte wohl recht: Winston Chruchill.Bild: Netflix/Getty

So berechtigt die Kritik an der Demokratie ist – letztlich hat deshalb das legendäre Zitat von Winston Churchill nach wie vor Gültigkeit. Es lautet: «Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allen anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.»

Und ja, wenn ihr euch wieder mal darüber ärgert, dass die Idioten um euch herum falsch gewählt haben, denkt an den verstorbenen Punk-Musiker Ian Dury. Dieser hat einst in einem Lied über Dummköpfe gesungen: «Wenn alles gesagt ist, bist du auch nur ein Dummkopf.»

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205 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Linus Luchs
24.09.2023 14:44registriert Juli 2014
Jason Brennans Analyse trifft auf jede Demokratie zu, auch auf unsere. In den USA ist man auf dem Weg zur demokratischen Zerstörung der Demokratie einfach ein gutes Stück voraus.

Was brauchen wir als Gegenmittel? Möglichst viele informierte und selbständig denkende Bürger*innen. Und dazu brauchen wir starke, unabhängige Medien und ein unabhängiges Schulsystem, das nicht "Kompetenzen" vermittelt, sondern Bildung. Zudem brauchen wir Gesetze, die es verhindern, dass sich Konzerne und Milliardäre die Meinungsbildung kaufen können: eine Regulierung der Parteien- und Kampagnenfinanzierung.
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Padi76b
24.09.2023 14:39registriert Dezember 2020
Für die Ausübung von einfachen Berufen braucht es eine Ausbildung und Zertifizierung und für verantwortungsvolle Jobs wie Arzt oder Jurist braucht es mehrere Jahre Studium. Aber Politiker – einer der verantwortungsvollen Jobs überhaupt – kann jeder Idiot werden. Das finde ich schon lange sehr problematisch, denn man sieht immer wieder, wie viele Politiker einfache Zusammenhänge nicht verstehen oder grundlegende Wissenschaft ignorieren und verleugnen. Also vielleicht sollte es eher eine Prüfung und Zertifizierung für Politiker geben anstatt für Wähler.
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Reto Schnurrenberger-Stämpfler
24.09.2023 13:51registriert Dezember 2019
Einen auf Panik machen ist halt offenbar immer um ein Vielfaches geiler als sich bewusst mit etwas auseinanderzusetzen und ja auch da nähern sich die verfluchten Pole immer mehr an.
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