Sie schleichen nachts durch dunkle Pfade, spähen russische Stellungen für die ukrainische Artillerie aus und töten Kollaborateure, die mit der Besatzungsmacht Russland zusammenarbeiten. Oft sind es kleine Einheiten, die hinter den feindlichen Linien operieren – in Städten und Dörfern, die die russische Armee besetzt hat.
Die Untergrundarmee besteht aus Hobbyjägern, Bauern oder Jugendlichen, die sich mit Computern, Funk oder mit Drohnen auskennen. Diese irregulären Truppen haben vor allem eines gemeinsam: Sie verteidigen ihre Heimat mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.
Für Moskau dagegen sind die zahlreichen Partisanenkämpfer in der Ukraine das Symbol einer fatalen Fehlkalkulation vor diesem Krieg. So hatte die russische Armee zumindest in Teilen des Landes damit gerechnet, mit Jubel und Blumen empfangen zu werden. Daraus wurde nichts und stattdessen versetzt der Widerstand der Zivilbevölkerung Russland auch militärisch immer wieder schmerzvolle Nadelstiche.
Für den Kreml läuft seine sogenannte Spezialoperation nicht nach Plan, im Nordosten werden russische Truppen weiter zurückgedrängt. Nun will Wladimir Putin wahrscheinlich die besetzten Gebiete in der Ukraine annektieren.
Aber wie will Russland Regionen kontrollieren, in denen es als Besatzungsmacht von der Bevölkerung abgelehnt wird? Die ukrainischen Partisanen werden somit zum Endgegner für den russischen Präsidenten in seinem Krieg.
Mit Blick auf drohende Referenden in Cherson und Saporischschja rief der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Bewohner der von Russland besetzten Gebiete Anfang August zum Widerstand auf. Sie sollten den ukrainischen Streitkräften über sichere Kanäle Informationen zum Feind oder über Kollaborateure übermitteln, sagte Selenskyj am 10. August in seiner abendlichen Videoansprache. Dabei erwiesen sich die Partisanenkämpfer als effektive Waffe gegen die vermeintliche militärische Übermacht Russlands.
«Der Sinn des Partisanenkrieges ist es, die feindliche Besatzungsmacht zu zermürben. Wenn Russland nicht sicher sein kann, dass einzelne Versorgungskonvois unterwegs angegriffen werden, dann braucht sie Sicherungstruppen. Und alles, was man als Sicherungstruppen von der Front abzieht, fehlt dort natürlich», erklärte Oberst a. D. Wolfgang Richter dem ZDF-Magazin «Frontal». «Insofern hat der Partisanenkrieg mit seinen wenigen Kräften durchaus eine militärische Wirkung.»
Doch der militärische Nutzen geht für die Ukraine mittlerweile offenbar weit darüber hinaus, wie die «New York Times» berichtet. Demnach hätten Untergrundkämpfer in den vergangenen Wochen eine immer wichtigere Rolle in dem Krieg übernommen und die Moral der russischen Streitkräfte erschüttert. Ihre Operationen sollen vom ukrainischen Militärgeheimdienst und von Spezialeinheiten überwacht werden.
Partisanenkämpfer agieren zwar oft autark, im Verborgenen, und sind je nach Region unterschiedlich stark aufgestellt und ausgerüstet. Trotzdem kann den paramilitärischen Einheiten im Ukraine-Krieg eine Vielzahl von Aufgaben zugeordnet werden:
Die Ukraine musste nach der russischen Annexion der Krim damit rechnen, dass Russland angreifen könnte. Auch mithilfe westlicher Ausrüstung und Ausbildung wurde die Armee gestärkt, aber das allein hätte gegen die russische Militärübermacht wahrscheinlich nicht ausgereicht. Deshalb wurde der Partisanenkampf zu einem Eckpfeiler der ukrainischen Verteidigungsstrategie gegen Putins imperialistischen Traum.
«Das Ziel ist, den Besatzern zu zeigen, dass sie nicht zu Hause sind, dass sie sich nicht niederlassen sollten, dass sie nicht bequem schlafen können», sagte ein Guerillakämpfer der «New York Times». Seinen Namen gibt er aus Sicherheitsgründen nicht bekannt. Aber sein Codename ist Svarog, benannt nach einem heidnisch-slawischen Gott des Feuers.
Laut Svarog stellte die Ukraine ein Partisanenprogramm auf. Seine Angaben können zwar nicht verifiziert werden, aber sie decken sich mit ukrainischen Medienberichten. Schon vor dem Krieg wurden sie teilweise an Wochenenden von paramilitärischen Einheiten ausgebildet. Sie sollten sich unter die Zivilbevölkerung mischen, Sprengfallen stellen, Bomben legen und gezielt Menschen mit Pistolen erschiessen können.
Während Svarog laut «New York Times» an einem öffentlichen Programm teilnahm, gab es offenbar auch geheimere und besser strukturierte Trainings der Regierung. Dabei sollen in vielen Regionen in der Ukraine auch Waffenlager angelegt worden sein.
Nach der Invasion, sagte Svarog, sei er zu einem Lagerschuppen ausserhalb von Melitopol geleitet worden, wo er laut eigenen Angaben Sprengstoffplatten, Zünder, Kalaschnikow-Gewehre, einen Granatwerfer und zwei mit Schalldämpfern ausgestattete Pistolen fand. Melitopol, die südukrainische Stadt, in der Svarog tätig ist, hat sich seitdem zu einem Zentrum des Widerstands entwickelt.
Der Widerstand der Partisanen zehrt an den Kräften der russischen Armee und greift vor allem auch die Moral von Putins Soldaten an. Ihnen wurde versprochen, dass sie als Befreier in die Ukraine gehen, nun werden sie von einem unsichtbaren Feind erschossen, in die Luft gesprengt oder vergiftet.
Die Ukraine dagegen versucht natürlich, die Wirkung ihrer Untergrundarmee als besonders grossen Erfolg zu verkaufen, damit die Angst auf russischer Seite weiter wächst.
Trotzdem ist unklar, an welchen Einsätzen in den vergangenen Monaten Guerillakämpfer beteiligt waren, aber es gibt Indizien:
Die oben aufgeführten Aktionen sind vor allem die militärischen Operationen der Partisanen in der Ukraine. Aber der Widerstand durch die Zivilbevölkerung verteilt sich auch auf andere Bereiche:
Fest steht: Die Ukrainer, die sich dem Widerstand im Untergrund anschliessen, leben gefährlich. Sie gelten laut Genfer Konvention nicht als Soldaten, wenn sie in Kriegsgefangenschaft geraten. Nach internationalem Recht werden Zivilisten zu Kombattanten, wenn sie beginnen, an Feindseligkeiten teilzunehmen. Wenn sie in Gefangenschaft geraten, droht ihnen ein Urteil nach russischem Besatzungsrecht. Sie werden laut ukrainischen Berichten verhört und gefoltert.
Trotzdem nehmen viele Menschen diese Gefahr in Kauf, um ihr Heimatland zu verteidigen. Die geplanten Scheinreferenden in Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson werden ihre Risikobereitschaft wahrscheinlich noch einmal erhöhen. Besonders im Süden der Ukraine sind die Wahllokale natürlich symbolträchtige Ziele für Anschläge.
Aber die ukrainischen Guerillas werden ihren Kampf auch dann fortsetzen, wenn Moskau ihre Regionen nach russischem Recht annektiert hat. Mutmasslich wird somit der Kampf auch hinter der Frontlinie weiter eskalieren und auch hier ist unklar, ob Putin an dieser Front überhaupt gewinnen kann.
Gleichzeitig sollten sie sich aber auch bewusst sein, dass die Mittel des Partisanenkriegs sich auch irgendwann gegen die eigene Bevölkerung und gegen die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit richten könnten.
Aber ich sehe im Moment auch keine realistischere Möglichkeit, als "Böses mit Bösem zu bekämpfen"...