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Iran: Medien warnen bei Wahlen vor «Beginn einer Ära der Radikalisierung»

«Beginn einer Ära der Radikalisierung» – das läuft gerade bei den Wahlen im Iran

03.03.2024, 15:26
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Erzkonservative steuern Sieg entgegen

Bei der Parlamentswahl im Iran führt in der Hauptstadt wie erwartet ein Bündnis erzkonservativer Kandidaten. Ersten Ergebnissen zufolge konnte die Liste der «Treuhänder» mit dem schiitischen Gelehrten Hamid Rassai an der Spitze in Teheran 18 von 30 Sitzen gewinnen, wie Staatsmedien am Sonntag berichteten. Der amtierende Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf, der für die konservative Liste der einflussreichen «Stabilitätsfront» angetreten war, sicherte sich seinen Einzug ins Parlament.

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Hamid Rassai gilt als erzkonservativer Hardliner.Bild: www.imago-images.de

Auch in anderen Landesteilen zeichnete sich ein Sieg der Fundamentalisten ab. Laut einer Auswertung der staatlichen Nachrichtenagentur Irna gewannen Anhänger des konservativen Lagers im Rest des Landes mindestens 156 der 290 Sitze im Parlament. Reformpolitiker kamen hier demnach auf 35 Mandate. Innerhalb der Lager gibt es unterschiedliche politische Strömungen, erste Machtkämpfe deuten sich bereits an. In einigen Wahlkreisen und auch in Teheran wird es Stichwahlen geben, da mehrere Kandidaten nicht die erforderliche Mindestzahl an Stimmen gewinnen konnten.

Historisch niedrige Wahlbeteiligung

Rund 61 Millionen Menschen waren am Freitag dazu aufgerufen, ein neues Parlament und den sogenannten Expertenrat zu wählen, der sich im Todesfall des mächtigen Religionsführers mit dessen Nachfolge befasst. In der Hauptstadt Teheran war zuletzt wenig Wahlstimmung zu erkennen. Viele Menschen sind nach gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte desillusioniert und blieben aus Protest den Abstimmungen fern. Es waren die ersten Wahlen nach den von Frauen angeführten Protesten im Herbst 2022.

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Die Wahlbeteiligung im Iran war historisch tief – vor allem in der Hauptstadt Teheran.Bild: keystone

In Teheran lag die Wahlbeteiligung inoffiziellen Daten zufolge bei nur 24 Prozent, wie regierungsnahe Medien berichteten. Landesweit gingen demnach 41 Prozent der Wählerinnen und Wähler an die Urnen - eine historisch schlechte Beteiligung. Auch in der schiitischen Pilgerstadt Ghom, dem religiösen Machtzentrum Irans, lag die Wahlbeteiligung bei nur etwa 50 Prozent. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

Beobachtern äusserten bereits Zweifel an der Wahlbeteiligung, die ungefähr auf dem Niveau der letzten Wahl von 2020 liegt. Die Massenproteste im Herbst 2022 hätten den enormen Unmut in der Gesellschaft widergespiegelt, sagte Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). «Die tatsächliche Zahl der Menschen, die in Wahlen überhaupt noch einen Kanal für politischen Wandel sehen, dürfte daher deutlich niedriger liegen.»

Medien warnen vor Radikalisierung

Medien attestierten selbst moderat-konservativen Gruppen eine Niederlage. Die Onlinezeitung «Entekhab» betitelte einen Leitartikel folglich mit der Überschrift: «Beginn einer Ära der Radikalisierung» und beschrieb darin einen Machtausbau der Hardliner.

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Ebrahim Raisi, Präsident des Irans, gibt seine Stimme ab.Bild: keystone

Spitzenkandidat Hamid Rassai zum Beispiel wurde bei den letzten Wahlen disqualifiziert, «vielleicht wegen seiner unnachgiebigen, harten Äusserungen», schrieben die Autoren. «In Abwesenheit der schweigenden Mehrheit nehmen meist die Minderheiten an den Wahlen teil», hiess es in dem Leitartikel weiter.

Rial stürzt ab

Irans Währung stürzte unterdessen auf ein Rekordtief. In den Wechselstuben erreichte der inoffizielle Euro-Kurs am Samstag erstmals mehr als 640'000 Rial. In den vergangenen zehn Jahren hat die Landeswährung angesichts politischer Isolation, internationaler Sanktionen und einer ungewissen Zukunft inzwischen mehr als 93 Prozent an Wert verloren.

Ausschluss von Kandidaten

Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 theokratische und republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Kandidatinnen und Kandidaten gehen nicht mit Parteien ins Rennen, sondern organisieren sich über Listen. Die aktuelle Legislaturperiode endet am 26. Mai.

Der Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet vorab über die ideologische Eignung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten auswählen. Der Wächterrat schloss dieses Mal rund 5000 Bewerber aus. Dennoch kandidiert eine Rekordzahl von 15'000 Iranerinnen und Iranern.

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15'000 Iranerinnen und Iraner kandidierten fürs Parlament – zahlreiche weitere wurden ausgeschlossen.Bild: keystone

Auch Expertenrat gewählt

Neben dem Parlament wurde auch der Expertenrat gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Ajatollah Ali Chamenei gilt als mächtigster Mann im Iran, im April wird das Staatsoberhaupt bereits 85 Jahre alt. Nur 144 Kandidaten waren für den Rat zugelassen. Begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen. Für Kritik sorgte vor den Wahlen die Disqualifikation des moderaten Ex-Präsidenten Hassan Ruhani, der bereits seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats ist.

Das Parlament ist Irans gesetzgebende Institution. Die eigentliche Macht konzentriert sich aber auf die Staatsführung mit Religionsführer Chamenei an der Spitze. Auch der Präsident wird alle vier Jahre vom Volk als Regierungschef gewählt und ernennt die Minister. Daneben hat auch der Sicherheitsrat weitreichende Befugnisse. Irans Elitestreitmacht, die Revolutionswächter (IRGC), haben in den vergangenen Jahrzehnten ihren Einfluss auf allen Ebenen ausgebaut und sind zu einem Wirtschaftsimperium aufgestiegen.

«Mittlerweile haben es selbst loyale Konservative wie der ehemalige Präsident Ruhani oder der bisherige Parlamentssprecher Ghalibaf schwer, machtpolitisch Fuss zu fassen», erklärte die Politikwissenschaftlerin Zamirirad. «Das deutet darauf hin, dass die Staatsspitze in dieser kritischen Übergangsphase nichts mehr dem Zufall überlassen will und die Räume zugunsten der Hardliner noch enger steckt als bisher.»

(dab/sda/dpa)

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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Martin Baumgartner
03.03.2024 16:29registriert Juni 2022
Das bedeutet wohl:
Mehr Unterdrückung gegen die Opposition.
Mehr Geld und Waffen für die Huthi und die Hisbolla.
Mehr Uran-Anreicherung (natürlich für friedliche Zwecke).
Weiter Lieferung von Drohnen für "befreundete Nationen".
Weitere Forschung für den Bau von Interkontinentalraketen.

Wir können unsere Zukunft nicht voraussagen, aber wir können uns darauf vorbereiten!
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TheRealSnakePlissken
03.03.2024 17:31registriert Januar 2018
Ungefähr soviel Auswahl wie bei „Wahlen“ in Ruzzland. 🙄
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_kokolorix
03.03.2024 16:47registriert Januar 2015
Seit wann dürfen die Iraner wählen? Jeder der gegen das regierende Regime votet, riskiert sein und seiner Familie Leben!
Und bei der nächsten Wahl sind dann auch schon die dran, welche die Wahl boykottieren …
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