Die SPD hat die Bundestagswahl nach dem Ergebnis der Auszählung aller Wahlkreise gewonnen. Erstmals seit mehreren Jahren legte sie wieder zu und kam auf 25,7 Prozent, wie in der Nacht zu Montag auf der Website des Bundeswahlleiters ersichtlich war – ein Plus von mehr als 5 Prozent im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2017. Die CDU/CSU stürzte dagegen nach 16 Jahren Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel mit 24,1 Prozent auf ein Rekordtief. Die Grünen errangen mit 14,8 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte und wurden drittstärkste Kraft. Die FDP verbesserte sich auf 11,5 Prozent. Die AfD rutschte mit 10,3 Prozent vom dritten auf den fünften Rang. Die Linke stürzte auf 4,9 Prozent.
Die SPD hat mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz nach aktuellsten Hochrechnungen tatsächlich die Wahlen für sich entschieden. Aber der Weg für Olaf Scholz ins Kanzleramt dürfte steinig werden. Denn der Genosse muss eine Regierung bilden. Und das könnte schwierig werden. Mit den Grünen kann der Rote gut – aber er braucht einen dritten Partner. Da kommt nur die FDP in Frage. Die will zwar auch regieren – aber wohl lieber mit den Christdemokraten. Das wird eine harte Nuss für Olaf Scholz zum Knacken. Denn kriegt er das Dreierbündnis nicht zustande, war es das mit dem Kanzleramt für die Sozialdemokraten. FDP-Chef Christian Lindner darf sich brüsten: Er ist in der Rolle des Königsmachers.
Nein. Kann die SPD keine Regierung festmachen, dürfen es die Zweitplatzierten probieren. Dann käme doch wieder die Union um CDU-Chef Armin Laschet zum Zug. Die Union würde die FDP ins Boot holen – und müsste die Grünen überzeugen, anstatt mit Wunschpartner SPD nun mit ihnen zu regieren. Die Ökopartei will gerne mitregieren, der «Deal» ist also nicht unmöglich. Wenn den Grünen das Umweltministerium in Aussicht gestellt wird, könnten sie weich werden. Möglich sind auch weitere Bündnisse wie aus SPD, Union und FDP – aber solche Koalitionen sind eher unwahrscheinlich.
Das könnte sich hinziehen. Olaf Scholz will allerdings bis Weihnachten die neue Regierung gebildet haben. Auf die Frage des ARD-Reporters in der «Elefanten-Runde» am Abend, ob er ausschliessen könne, dass Angela Merkel am 31. Dezember diesen Jahres ihre 17. Neujahrsansprache als Regierungschefin halte, entgegnete Scholz milde lächelnd:
Die Antwort verrät: Solange keine neue Regierung gebildet ist, bleibt Noch-Kanzlerin Angela Merkel kommissarisch im Amt und mit ihr die aktuelle Bundesregierung. Merkel dürfte darauf hoffen, dass die Partner rasch zusammenfinden. Nicht nur einmal hat sie angedeutet, dass sie sich nach politischem Ruhestand sehnt.
Nicht unbedingt. Das gute Ergebnis haben die Genossen vor allem ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz zu verdanken. Der 63-Jährige meisterte den Wahlkampf von allen Bewerbern mit Aussicht auf das Kanzleramt – neben Scholz also Armin Laschet und die Grüne Annalena Baerbock – am souveränsten. Die Partei profitierte also von der Strahlkraft ihres Kandidaten als geeigneter Krisenmanager Deutschlands. Die SPD gab sich geschlossen – doch in Wahrheit ist die Partei noch immer in zwei Lager gespalten. Die linke Parteiführung hätte nichts gegen eine linke Parteiführung gehabt, hat aber aus Machtkalkül dem Pragmatiker Scholz für die Bundestagswahlen den Vortritt gelassen. Wie lange die Ruhe hält, ist ungewiss.
Etwa 15 Prozent holen die Grünen bei den Wahlen - und das ist ein Erfolg für den einstigen Bürgerschreck der 80er Jahre. Die fulminanten Umfragewerte vom Frühjahr, die die Grünen an der Spitze aller Parteien sahen, widerspiegelten nicht der Realität. Annalena Baerbock scheiterte nicht nur an eigenen Fehlern und mangelnder politischer Erfahrung – das Gros der Deutschen misst dem Klimaschutz hohe Bedeutung bei, sieht die Grünen aber eher in der Rolle des mitregierenden Juniorpartners. Auch ein Robert Habeck hätte die Grünen kaum zum Wahlsieg getragen.
Das ist eine sehr steile These. Die AfD hat sich eher festgesetzt im deutschen Parteienspektrum. Sie ist nicht mehr in erster Linie Protestpartei, Wählerbefragungen haben ergeben, dass der AfD inzwischen durchaus Kompetenzen zugesprochen werden - etwa in Fragen der Migration und der inneren Sicherheit. Allerdings wurde ihr Aufstieg abgebremst, etwas weniger deutlich auch in Ostdeutschland, wo sie deutlich stärkere Werte hat als im Westen des Landes. In Sachsen etwa erhielt die AfD am Sonntag die meisten Stimmen aller Parteien. Wird die Union auf Bundesebene nun tatsächlich in die Opposition verbannt, ist die AfD die Rolle als stärkste Oppositionskraft los. Das könnte ihre Position schwächen, zumal, wenn die Union der AfD Themen abgräbt.
Die Zeitungen kommentieren neben dem Erfolg für die lange totgesagte SPD vor allem den Absturz der Union. «Die politische Tektonik ist gebrochen, das Land verliert die letzte der sogenannten Volksparteien», schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Die Union habe einen schlechten Wahlkampf gemacht und sei nicht geschlossen aufgetreten. «Die Union hat sich ihren Absturz redlich verdient», so die Zeitung in der heutigen Ausgabe: «Triumphales Gehabe verbietet sich angesichts der Verteilung der Wählergunst. Diese Wahl erteilt keinen Regierungsauftrag, sondern einen Auftrag zur Kompromisssuche». Das «Handelsblatt» schaut auf den möglichen neuen Kanzler Olaf Scholz – und verweist auf die schwierige Regierungsbildung. Scholz «hielt fast schon stur an seinem Plan fest, die bessere Angela Merkel zu sein». Eine SPD-geführte Regierung sei noch lange keine ausgemachte Sache: «Dennoch könnte Scholz zum tragischen Helden werden. Es gibt genug Kräfte bei den Grünen, die lieber eine Jamaika-Regierung mit der FDP und der Union eingehen wollen. Die Strategen sehen darin die Chance, die SPD als grösste linke Kraft in vier Jahren abzulösen.»
Beim wichtigsten Partner der Schweiz könnte eine lange Phase ohne neue Regierung eintreten – just in einer Zeit, in der die Schweiz nach dem gescheiterten Rahmenabkommen ihr Verhältnis zur EU neu aufstellen und auf Support der in Brüssel mächtigen deutschen Regierung setzen möchte. Scholz steht für eine Vertiefung der EU, er setzte sich auf EU-Ebene für eine globale Mindeststeuer für Apple, Facebook oder Google ein. Der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul Seger, sagt im Interview mit CH Media, dass mit einer SPD-geführten Regierung das Thema wohl noch etwas «straffer behandelt wird als mit einer CDU-geführten Regierung». Allerdings, fügt Seger hinzu: «Eine Richtungsänderung erwarte ich nicht».