«Alles muss sich ändern, damit alles gleich bleibt», sagt der junge Adlige Tancredi im Roman «Der Leopard» von Giuseppe Tomasi de Lampedusa. Der Ausgang der deutschen Wahlen zeigt, dass sich unsere Nachbarn für das Gegenteil dieses legendären Satzes entschieden haben. Offenbar gilt in Berlin das Motto: «Alles bleibt gleich – bis sich plötzlich alles ändern muss.»
Obwohl Deutschland in diesem Sommer von den schwersten Unwettern seit Menschengedenken heimgesucht wurde und obwohl nur Ewiggestrige darin kein offensichtliches Zeichen sehen, dass der Klimawandel zu einer Realität geworden ist, haben dies die Wählerinnen und Wähler mit einem Schulterzucken abgetan.
Auch der globale Schock der Corona-Krise, der wohl stärkste Eingriff in unser Leben seit dem Zweiten Weltkrieg, hat keine erkennbaren Spuren hinterlassen. Die Deutschen haben sich für «Augen zu und durch» entschieden.
Das Wahlresultat besagt, dass sie weiterwursteln wollen, sei es mit einer Regierung unter Olaf Scholz – die wohl wahrscheinlichste Variante –, oder einer wie auch immer gearteten bürgerlichen Koalition der Mitte.
Grosse Würfe sind in jedem Fall nicht zu erwarten. Dabei wäre genau das dringend nötig. Angela Merkel hinterlässt einen riesigen Reformstau. Deutschland hat über Jahrzehnte viel zu wenig in Infrastruktur, Bildung und eine digitalisierte Wirtschaft investiert.
Es ist fraglich, ob sich daran etwas ändern wird. Rot-Grün hat keine Mehrheit, die Schuldenbremse aufzuheben. Im Gegenteil: Der Chef der FDP, Christian Lindner, mahnt bereits an, die Schulden zu reduzieren. Von einer eher unwahrscheinlichen Mitte-rechts-Regierung wären grundlegende Reformen ohnehin nicht zu erwarten.
Das Verdikt der Wahlen war abzusehen und leider typisch für das, was sich in westlichen Demokratien abspielt: Die Unfähigkeit, offensichtliche Probleme zu lösen, allen voran wirksame Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durchzusetzen. Vergessen wir nicht: Auch wir haben ein CO2-Gesetz verworfen und müssen uns nun offenbar mit einem zahnlosen Kompromiss abfinden. So gesehen halten uns die Deutschen den Spiegel vor die Augen.
Faule Kompromisse sind das Einzige, was in westlichen Demokratien offenbar heute noch möglich ist. Ein So-Tun-als-ob ist jedoch gefährlich in einer Zeit, in der die Polarisierung der Gesellschaft immer neue Höhepunkte erreicht. In einer Zeit, in der Kulturkriege toben, Stadt gegen Land aufgehetzt und selbst eine Pandemie politisiert wird. Es führt dazu, dass Extremisten Aufwind erhalten. Heute schon muss in Bern das Bundeshaus und in Washington das Kapitol vor faschistoiden Mobs geschützt werden.
Ist die Politik blockiert, geschieht das Gleiche, wie wenn die Hauptstrasse nicht mehr passierbar ist. Der Verkehr weicht auf die Seitenstrassen aus. Andere müssen es richten, die Technologie beispielsweise, oder die Zentralbanken. Doch bei allem Respekt: Mit Software und tiefen Leitzinsen lässt sich viel, aber nicht alles erreichen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass das Chaos der Demokratie autoritäre Herrscher begünstigt. Diese werden sich nicht zweimal bitten lassen.
Der Philosoph Plato hat einst die Königsherrschaft propagiert, die Vorstellung, dass ein weiser und gütiger Herrschaft eine Gesellschaft zum Wohle aller autoritär lenkt. Leider sind autoritäre Herrscher selten weise und schon gar nicht gütig. Sie sind von Natur aus bösartig – oder sie werden es im Amt. Sie werden wissen, wie man eine Reformblockade und eine zersplitterte Politiklandschaft zum eigenen Vorteil ausnutzen kann. Niemand sollte dies eigentlich besser wissen als die Deutschen.