Die Christdemokraten mit Spitzenkandidat Kai Wegner sind bei der nachgeholten Wahl in Berlin mit grossem Abstand stärkste Kraft geworden. Die SPD von Regierungschefin Franziska Giffey stürzte ab, konnte aber nach Auszählung aller Stimmen ganz knapp Platz zwei gegen die Grünen verteidigen. Die AfD legte zu und ist wieder im Abgeordnetenhaus vertreten, die FDP schied aus.
Die Berliner CDU schnitt am Sonntag so stark ab wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht und meldete Anspruch auf Bildung einer Regierung unter ihrer Führung an. Möglich wäre etwa ein Zweierbündnis entweder mit der SPD oder den Grünen. Doch könnten auch SPD, Grüne und Linke ihre bisherige Koalition fortsetzen – weiterhin mit Giffey an der Spitze, deren SPD unter den drei Parteien knapp die stärkste blieb.
Nach Auszählung aller Stimmen gewann die CDU bei der Wiederholungswahl etwa zehn Prozentpunkte hinzu und kommt auf 28,2 Prozent (2021: 18,0 Prozent). Die SPD liegt bei 18,4 Prozent (21,4), die Grünen ebenfalls (18,9). Doch hat die SPD nur 105 Stimmen Vorsprung. Die Linke rutschte auf 12,2 Prozent ab (14,1). Die AfD legte dagegen auf 9,1 Prozent der Wählerstimmen zu (8,0). Die FDP verlor deutlich und scheiterte mit 4,6 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde (7,1).
Vom Landeswahlleiter lagen in der Nacht zum Montag noch keine Angaben zur Mandatsverteilung vor. Laut Hochrechnungen von ARD und ZDF vom späten Abend kommt die CDU auf 48 bis 50 Sitze. Die Grünen erhalten demnach 31 bis 33 und die SPD 31 bis 32 Mandate. Die Linke kommt auf 21 bis 22 Sitze, die AfD auf 16.
CDU-Spitzenkandidat Wegner sprach von einem «phänomenalen» Erfolg und sagte: «Unser Auftrag ist es, eine stabile Regierung zu bilden.» Berlin habe den Wechsel gewählt. Er kündigte an, SPD und Grüne zu Sondierungen einzuladen. Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz schrieb auf Twitter: «Der klare Regierungsauftrag für die CDU ist der erste Schritt hin zu unserem Ziel, dass die Bundeshauptstadt besser funktioniert.»
Giffey sprach von einem schweren Abend für ihre SPD – «daran gibt es nichts zu deuteln». Doch sei es kein Automatismus, dass nun die CDU den Regierungschef stelle. «Auch ein Herr Wegner wird politische Mehrheiten organisieren müssen.»
Die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken sieht trotz hoher Zugewinne der CDU «keine Machtoption» für deren Spitzenkandidaten. «Kai Wegner hat ganz klar einen Abgrenzungs- und Spaltungswahlkampf betrieben», sagte sie am Sonntagabend in der ARD-Talkshow «Anne Will». Daher sehe sie wenige Möglichkeiten für ihn zu einer Regierungsbildung.
Die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sprach sich für eine Fortsetzung der Koalition mit SPD und Linken aus. «Die jetzige Regierungskoalition hat eine klare und stabile Mehrheit», sagte sie in der ARD.
Eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot wäre eine Kampfansage an Wegner, der die CDU nun wieder nach vorn geführt hat. Der 50-Jährige ist gebürtiger Berliner, Vater dreier Kinder und lebt im Bezirk Spandau. Ausserhalb der Stadt ist der Hertha-BSC-Fan wenig bekannt.
Die 44-jährige SPD-Landeschefin, die östlich von Berlin aufwuchs, war Bürgermeisterin im Bezirk Neukölln und stieg 2018 zur Bundesfamilienministerin auf. Wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit trat Giffey im Mai 2021 aus dem Kabinett zurück.
Die 54-jährige Umweltsenatorin Jarasch hat nun die Option, erste Grünen-Regierungschefin in Berlin zu werden und Giffey abzulösen. Die gebürtige Augsburgerin steht für eine Verkehrswende weg vom Verbrenner-Auto und einen ehrgeizigen Kampf gegen die Erderhitzung – was die politische Schnittmenge mit FDP und CDU verkleinert.
Der Erfolg der Berliner CDU dürfte der Bundespartei und dem Vorsitzenden Merz Auftrieb geben, denn in diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen in Bremen, Hessen und Bayern an. Für die SPD im Bund ist das Ergebnis ein Dämpfer, weil Giffey ihren Posten als Regierungschefin in Berlin verlieren dürfte. Die Bundes-FDP muss verkraften, nach einer Reihe empfindlicher Wahlschlappen ein weiteres Mal aus einem Landesparlament zu fliegen.
Wegen schwerwiegender Wahlpannen hatte das Landesverfassungsgericht die Wahl des Landesparlaments vom September 2021 und die Bezirkswahlen für ungültig erklärt – und eine Wiederholung angeordnet. Damals hatten lange Warteschlangen vor Wahllokalen sowie fehlende, vertauschte oder kopierte Stimmzettel bundesweit Schlagzeilen gemacht. An diesem Wahlsonntag lief alles glatt, wie Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler sagte: «Es freut mich sehr, dass sich diesmal alles im grünen Bereich bewegt hat.»
Wahlberechtigt zur Abgeordnetenhauswahl waren etwa 2,4 Millionen Menschen. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des Landeswahlleiters bei 63,1 Prozent. 2021 waren es 75,4 Prozent, doch wurde in dem Jahr gleichzeitig auch der Bundestag gewählt. (sda/dpa)